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Fachliches und Festliches

10.05.06 - Am Wochenende feierte der Quellenhof in Bad Wildbad sein zehnjähriges Bestehen. Hochkarätige Referenten waren zu Gast, die therapeutischen Abteilungen stellten sich vor und ein Kulturprogramm rundete die Feier ab.

Am 6. Mai 1996 wurde der erste Patient in der Neurologischen Rehabilitationsklinik Quellenhof in Bad Wildbad aufgenommen. Zehn Jahre später – auf den Tag genau – feiert der Quellenhof sein Jubiläum mit einem wissenschaftlichen und kulturellen Programm. In einem Fachsymposium näherten sich hochkarätige Referenten dem Thema „MS – mehr Selbstkompetenz – mehr Sicherheit“. Durch die Veranstaltung führte PD Dr. Peter Flachenecker, Chefarzt des Quellenhofs. Außerdem stellten die therapeutischen Abteilungen des Quellenhofs der Öffentlichkeit ihre Arbeit vor. Im Rahmen der gleichzeitig stattfindenden 9. Kulturtage rundeten zwei musikalische Veranstaltungen und eine Ausstellung das Programm des Festwochenendes ab.

Mit einem Plädoyer für die Akademische Medizin begann Prof. Dr. K.V. Toyka, Direktor der Neurologischen Universitätsklinik Würzburg, als erster Referent das Symposium. Wissenschaft sei immer ein Wagnis, so sein Credo, deshalb dürfe das Erfahrungswissen nicht vernachlässigt werden, auch wenn es noch nicht durch wissenschaftliche Studien evaluiert sei. Es dürfe nicht zu der Schlussfolgerung kommen, dass ein Medikament nicht wirksam sei, nur weil es nicht (für jede Indikation) wissenschaftlich getestet ist. Prof. Toyka stellte die MS-Therapie-Konsensus-Gruppe (MSTKG) vor, die sich zum Ziel gesetzt hat:

  • klar zu definieren, welche Therapien sich eindeutig als wirksam erwiesen haben,
  • zu überprüfen, welche Therapien wahrscheinlich wirksam (sein können),
  • Leitlinien für denkbare und sinnvolle Kombinationstherapien zu entwickeln,
  • Wissen von anderen Immunkrankheiten auf die Therapie der MS zu übertragen.

Die MSTKG erarbeitet therapeutische Grundlagen, die sich auf Erfahrungswissen beziehen. Dies bedeutet Sicherheit für die Patienten, übt aber auch Druck auf Politik und Sponsoren aus, die Kosten für wissenschaftliche Studien aufzubringen.

Rehabilitation als Ausbildungs- und Trainingsprogramm stellte Prof. Dr. Jürg Kesselring vor, Chefarzt des Neurologischen Rehabilitationszentrums Valens. Im Mittelpunkt der Reha-Maßnahme steht der Patient, der selbst bestimmt, was er lernen will. Das eigentliche Lernen findet auf verschiedenen Ebenen statt: auf zellulärer Ebene, auf Gewebeebene, auf Systemebene und auf Verhaltensebene. So entstehen beispielsweise während des gesamten Lebens immer wieder neue Verbindungen von Nervenfasern, es stabilisieren sich jedoch nur die, die auch benutzt werden. Etwas neu zu erlernen ist prinzipiell auch in jedem Krankheitsstadium der MS möglich. Prof. Kesselring wies auf die besondere Bedeutung von Copingstrategien hin. Hier sei es wichtig, die Aufmerksamkeit auf die Ressourcen statt auf die Defizite zu lenken. „Patienten sollten daran denken, was ihnen alles möglich ist, und nicht, was sie alles nicht mehr können“, so Prof. Kesselring, „sie sollten aktiv werden und soziale Kontakte pflegen.“

Auch die Immuntherapie kann auf eine zehnjährige Entwicklung zurückblicken. Über die aktuellen Fortschritte in der Immuntherapie informierte Prof. Dr. Peter Rieckmann, Leitender Oberarzt der Neurologischen Universitätsklinik Würzburg. Als Voraussetzung für eine erfolgreiche Entwicklung dieses Therapiefeldes in den letzten Jahren nannte er u.a. ein besseres Krankheitsverständnis und vermehrtes Wissen über die Krankheitsaktivität. Mittels MRT können Läsionen im Zentralnervensystem sichtbar gemacht werden, die kontinuierlich vorhanden sind, auch wenn der Patient aktuell keinen Schub hat. „Die MS schläft nie“, so Prof. Rieckmann, „deshalb ist bedeutsam, wann man sinnvollerweise mit einer Therapie beginnen sollte.“ Anhaltspunkte für einen frühen Therapiebeginn können sein: über zehn sichtbare Läsionsherde im MRT bzw. mehrere Symptome einer MS sind vorhanden. Neuere Ansätze in der Therapie versuchen zu verhindern, dass eigene Immunzellen die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Außerdem wird angestrebt, Schubrate und Schubschwere zu reduzieren und die Behinderungsprogression zu verzögern.

Um die symptomatische MS-Therapie ging es bei dem Vortrag von Prof. Dr. T. Henze, Chefarzt der Neurologischen Rehabilitationsklinik Nittenau. Eine MS-Erkrankung kann viele Symptome umfassen, es können Motorik und Koordination betroffen sein, beispielsweise bei Spastik oder Tremor. Es können aber auch die Hirnnerven in Mitleidenschaft gezogen sein, vegetative und neuropsychologische Funktionsstörungen auftreten sowie Fatigue oder Schmerzen. Eine strukturierte Liste zur Abfrage der Störungen sei sinnvoll, so Prof. Henze. Daran anschließen sollte sich eine leitlinienorientierte Therapie sowie die Festlegung realistischer Behandlungsziele. Ein weiteres Anliegen hatte der Mediziner: Die erektile Dysfunktion aus der Tabuzone zu holen. Denn neben mechanischen Hilfsmitteln gibt es mittlerweile auch wirksame Medikamente.

Der Nachmittag stand im Zeichen der therapeutischen Abteilungen des Quellenhofs. So konnten interessierte Patienten und Gäste beispielsweise die Handhabung von Rollstühlen ausprobieren, Blutzucker, Blutdruck und Puls überprüfen, eine Ganganalyse machen lassen und feststellen, ob sie noch fit fürs Autofahren sind. Die Aktionen fanden in den Therapiebereichen des Quellenhofs statt, so dass ein Einblick in die Räumlichkeiten möglich war. Bei Führungen in kleinen Gruppen wurde das Therapieangebot erläutert.

Im Foyer bot eine Ausstellung Informationen über die Geschichte der MS. Die Bilder und Texte stellten die unterschiedlichen Krankheitserscheinungen anschaulich dar, vor allem die Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen.

Am Abend des ersten Festtages lud der Quellenhof Musikliebhaber zum Auftritt der Pops Wilson Band ein. Pops Benjamin Parker Wilson, der Begründer der Formation, war bereits 2001 zu Gast bei den 5. Kulturtagen und begeisterte erneut sein Publikum mit besonderen Arrangements aus Blues, Funk und Jazz. Als passionierter Vibraphonist, der in Europa lebt, gab Pops Wilson der Musik seine charakteristische Note.
Das Jazzfrühstück bildete am Sonntagmorgen einen gelungenen Abschluss. Der Jazz-Pianist Bernd Czerny und sein Brazil-Trio erfüllten den Quellenhof mit südamerikanisch angehauchten Klängen. Neben Bossas, Sambas und Baiao wurden auch manche Jazz-Klassiker entstaubt. Die in Rio gebürtige Vokalistin ließ den Funken der Lebensfreude auf Patienten und Gäste der Rehaeinrichtung überspringen.

Redaktion: AMSEL e.V., 01.09.2006