Spenden und Helfen

Einfluss der Immuntherapie auf kognitive Funktionen bei MS

Prof. Hayrettin Tumani und Dr. Ingo Uttner, beide Universität Ulm, über die Notwendigkeit weiterer fundierter Studien.

Kognitive Funktionen bei MS

Kognitive Funktionseinbußen können unabhängig vom Vorliegen anderweitiger neurologischer Einschränkungen schon früh im Krankheitsverlauf einer MS mit einer Häufigkeit von bis zu 65 % auftreten. Sie stellen ein ernsthaftes Problem mit erheblichen Auswirkungen auf den privaten und beruflichen Alltag der Betroffenen und ihrer Angehörigen dar. Typische Störungen sind Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, Gedächtnis- und Sprachstörungen sowie Beeinträchtigungen des problemlösenden Denkens. Trotz der vielfältigen Behandlungsoptionen gibt es bisher nur wenige Studien, die den Effekt einer Immuntherapie auf Kognition untersucht haben. Unter der Vielzahl der erprobten Behandlungsmöglichkeiten haben sich als Standardtherapie für den Schub Glukokortikoide und für die Langzeitprophylaxe Interferon-beta Präparate und Glatirameracetat etabliert. Die folgende Darstellung gibt einen Überblick über die bisher bekannten Auswirkungen dieser Therapien auf kognitive Leistungen.

Einfluss von Immunsupression auf die Kognition -
Glukokortikoide

Glukokortikoide werden wegen ihrer entzündungshemmenden, gewebeabschwellenden und immunsuppressiven Eigenschaften schon seit langem in der Therapie der MS eingesetzt. Als Mittel der Wahl bei der Behandlung des akuten Krankheitsschubes gilt die Hochdosis- Pulstherapie mit Kortikosteroiden. Potentielle Nachteile ergeben sich aus der starken Wirkung von Glukokortikoiden auf psychische Funktionen, die eine wesentliche Rolle bei der Steuerung affektbedingter und kognitiver Prozesse spielen. Außerdem können die bei der MS schon in frühen Krankheitsstadien zu beobachtenden neuropsychologischen Störungen durch die Therapie weiter verstärkt werden.

Die Wahrscheinlichkeit, neuropsychologische Funktionsstörungen zu entwickeln, ist besonders hoch, wenn über längere Zeit Kortison verabreicht wird. Die hier beobachtbaren Defizite können bis hin zu Psychosen und demenzähnlichen Symptomen reichen, die auch nach Absetzen der Medikation noch Azathioprin und Cyclophoshamid. Allerdings sind diese Ansätze deutlich weniger gebräuchlich und entsprechende Studien zur Kognition fehlen. fortbestehen können. Trotz der beeindruckenden Beweislage für die leistungsmindernden Effekte von Kortikosteroiden wurde die Frage, inwieweit sich die Hochdosis-Pulstherapie auf die kognitiven Leistungen von MS-Patienten auswirkt, bislang kaum systematisch untersucht.

In einer doppelblinden und randomisierten Studie an 30 Patienten mit schubförmig verlaufender MS im frühen Krankheitsstadium, die wir mit 500 mg bzw. 2000 mg Methylprednisolon (MP) über jeweils 5 Tage behandelten, fanden wir nach Abschluss der Therapie am Tag 6 signifikante, im weiteren Verlauf (Tag 60) jedoch vollständig zurückgebildete Beeinträchtigungen des deklarativen Gedächtnisses. Das Ausmaß dieser Defizite war unabhängig von der verabreichten MP-Dosis, was mit einem Deckeneffekt sehr hoher Glukokortikoid-Dosen auf die Gedächtnisfunktionen zusammenhängen könnte. Alle übrigen untersuchten kognitiven Funktionen (Arbeitsgedächtnis, implizites Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Planen/ Problemlösen) zeigten dagegen unter MP-Therapie keine Verschlechterung.

Einfluss von Immunmodulation auf die Kognition -
Kognition bei MS-Patienten nach Langzeittherapien

Bei der immunmodulierenden Therapie der MS sind die Interferon-beta Präparate und Glatirameracetat als Basistherapeutika etabliert. Weitere Verfahren sind u. a. Mitoxantron, Immunglobuline, Azathioprin und Cyclophoshamid. Allerdings sind diese Ansätze deutlich weniger gebräuchlich und entsprechende Studien zur Kognition fehlen.

Interferon-beta

Die Langzeitauswirkungen einer INFbeta Therapie wurden bislang lediglich in wenigen Studien untersucht. In einer kleineren Studie wurden 23 Patienten mit schubförmiger MS, die ein Jahr lang IFN-beta 1b erhielten, mit unbehandelten MS-Patienten verglichen. Ärzte und Studienteilnehmer kannten das verabreichte Medikament. In der behandelten Gruppe waren kognitive Leistungen wie Aufmerksamkeit und Gedächtnis signifikant besser als in der unbehandelten Gruppe.

In einer deutlich größeren Studie zur Erfassung kognitiver Effekte von IFN-beta 1a wurde in einer plazebo-kontrollierten Therapiestudie 166 Patienten mit schubförmiger MS im Verlauf von zwei Jahren eine umfassende neuropsychologische Testbatterie vorgegeben.
Signifikante positive Effekte der IFN-beta Therapie zeigten sich hinsichtlich Informationsverarbeitung, Lernen und Gedächtnis sowie in Form eines positiven Trends für die Raumwahrnehmung und das Problemlösen. Aufmerksamkeitsspanne und Wortflüssigkeit als weitere untersuchte Parameter veränderten sich nicht. Die günstigen Auswirkungen der IFNbeta 1a Langzeittherapie auf kognitive Funktionen wurde auch an Patienten mit sekundär chronisch progredientem Verlauf demonstriert. So zeigte sich ein deutlicher positiver Effekt der IFN-beta Therapie sowohl auf kognitive Funktionen als auch auf Armfunktionen, Schubfrequenz, MRT-Läsionen und Lebensqualität. In einigen kleineren Studien, in denen Studienteilnehmer über 12 Monate zu unterschiedlichen aufeinander folgenden Zeitpunkten getestet wurden, konnte zwar kein günstiger Effekt der IFN-beta Therapie auf kognitive Funktionen beobachtet werden. Allerdings war auch ein negativer Einfluss der IFN-beta Therapie auf Kognition nicht beobachtet.

Glatirameracetat

Zum Einfluss von Glatirameracetat liegt bislang nur eine plazebo-kontrollierte Studie vor. Untersucht wurden 248 Patienten mit schubförmiger MS. Erfasst wurden Daueraufmerksamkeit, visuellräumliche Wahrnehmung sowie verbales und visuelles Gedächtnis. Im Verlauf von zwei Jahren konnte kein Unterschied zwischen behandelter und unbehandelter Patientengruppe im Hinblick auf Änderung der kognitiven Funktionen festgestellt werden. Festzuhalten ist, dass auch die Plazebogruppe keine Abnahme der kognitiven Leistungen zeigte, so dass ein therapeutischer Effekt von Glatirameracetat auf die Minimierung eines kognitiven Abbaus nicht auszuschließen ist.

Zusammenfassung:

Die heute gängigen Immuntherapien können im Fall der Kortisontherapie zu vorübergehenden Verschlechterungen
führen. Allerdings sprechen alle verfügbaren Befunde dafür, dass eine Immuntherapie auch eine Stabilisierung oder sogar Besserung kognitiver Funktionen beinhaltet. Die meisten bisher durchgeführten Studien zeigen, dass die Immunmodulation nicht nur klinische und bildgebende Messgrößen günstig beeinflusst, sondern auch positive Effekte auf kognitive Funktionen hat. Trotzdem sind weitere kontrollierte Studien erforderlich, um diese wichtige Thematik adäquat zu erfassen.

Prof. Dr. Hayrettin Tumani
Dr. Ingo Uttner

Redaktion: AMSEL e.V., 03.03.2006