Die AMSEL zum LBGG

30.09.04 - Der Landesverband nimmt Stellung zum Landesbehinderten-Gleichstellungsgesetz.

Das Land Baden-Württemberg hatte den Entwurf für das Landesbehinderten-Gleichstellungsgesetz vorgelegt und das förmliche Anhörungsverfahren eingeleitet (wir haben berichtet). Im Rahmen des Anhörungsverfahrens zum Entwurf des Landesbehinderten-Gleichstellungsgesetzes waren viele Verbände zur Stellungnahme aufgefordert. Die Stellungnahme der AMSEL liegt nun vor. Nach Vorstandsbeschluss ging folgender Text gestern an das Sozialministerium Baden-Württemberg:

"Grundsätzlich begrüßen wir die Einführung eines LBGG und die Umsetzung der Regelungen des Bundesgleichstellungsgesetzes und des damit einhergehenden Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik auf Landesebene. Gleichzeitig wird der Artikel 2 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf, konkretisiert. Der berechtigte Anspruch von Behinderten auf selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Beseitigung behinderungsbedingter Benachteiligungen erhält damit auf Landesebene eine rechtliche Grundlage.

Folgende Regelungen sind nach unserer Auffassung dabei von besonderer Bedeutung:

· Die Benachteiligungen behinderter Menschen zu verhindern,
eine gleichberechtigte Teilhabe von Behinderten am Leben
in der Gesellschaft zu gewährleisten und eine selbständige
Lebensführung zu ermöglichen (§1).
· Die Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse
behinderter Frauen (§5).
· Die Herstellung von Barrierefreiheit im Bereich Bauen und
Verkehr sowie im Bereich der Informations- und
Kommunikationssysteme (§§ 3, 7, 10).
· Das Benachteiligungsverbot für öffentliche Stellen (§6).
· Das Recht auf Verwendung von Gebärdensprache und
anderer Kommunikationshilfen gegenüber öffentlichen
Stellen (§8).
· Die Vertretungsbefugnis durch Behindertenverbände (§11).
· Das Verbandsklagerecht der Behindertenverbände (§12).
· Die rechtliche Verankerung des Amtes eines
Behindertenbeauftragten (§13).

Neben diesen wichtigen Regelungen enthält der vorgelegte Entwurf des LBGG aus unserer Sicht aber noch Raum für Verbesserungen. Folgende Punkte halten wir dabei für besonders bedeutsam:

1. Beweislastumkehr
In LBGGs anderer Bundesländer und im LBGG-Entwurf der LAGH ist eine Beweislastumkehr vorgesehen. Dies beinhaltet, dass für den Fall, dass ein Behinderter im Streitfall Tatsachen für eine Benachteiligung glaubhaft macht, die Gegenseite die Beweislast dafür trägt, dass keine Benachteiligung vorliegt. Im LBGG-Entwurf ist eine solche Beweislastumkehr nicht vorgesehen. In der Begründung wird hierzu ausgeführt, eine Beweislastumkehr sei entbehrlich, weil das Gesetz so formuliert wäre, dass der Behinderte nicht nachweisen müsse, dass er wegen seiner Behinderung schlechter behandelt wurde. Dadurch sind Behinderte aber nicht von der Verpflichtung entbunden, selbst den Beweis dafür zu führen, dass eine Benachteiligung vorliegt. Vor diesem Hintergrund erscheint es weiterhin im Interesse der Behinderten eine Beweislastumkehr in das Gesetz aufzunehmen.

2. Gebärdensprache und andere Kommunikationshilfen (§8)
Das Recht auf Verwendung von Gebärdensprache und andere Kommunikationshilfen soll auf die Wahrnehmung eigener Rechte in Verwaltungsverfahren beschränkt werden. Allgemeine Informationen und Auskünfte wären davon ausgeschlossen. Für Behinderte ist es wichtig, in allen Bereichen der Kommunikation mit öffentlichen Stellen behinderungsgerechte Kommunikationsformen nutzen zu können. Im LBGG sollte dies Berücksichtigung finden.

3. Schriftverkehr (§9)
Die im Entwurf enthalten Regelungen zur Gestaltung des Schriftverkehrs von öffentlichen Stellen mit behinderten Bürgern sind nach unserer Ansicht sehr vage formuliert. Keinesfalls lässt sich daraus ein Rechtsanspruch für Behinderte ableiten, dass ihnen Bescheide, Vordrucke und amtliche Informationen kostenlos und in einer für sie wahrnehmbaren und verständlichen Form zugänglich gemacht werden. Dies scheint uns aber Voraussetzung für eine selbständige Lebensführung und gleichberechtigte Teilhabe zu sein.

4. Verbandsklagerecht (§12)
Die Möglichkeit der Verbandsklage ist auf Verstöße gegen das Recht der Verwendung von Gebärdensprachen und anderen Kommunikationshilfen im Kontakt mit öffentlichen Stellen (§8 Abs. 3) beschränkt. Eine solche Beschränkung ist nicht nachvollziehbar. Im Sinne behinderter Menschen sollte das Verbandsklagerecht auch bei anderen Verstößen gegen die Vorschriften des LBGG gelten, wie etwa bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot oder die Verpflichtung zur Herstellung von Barrierefreiheit.

5. Landesbehindertenbeauftragter (§§ 13,14)
Bei der im Entwurf vorgesehenen Bestellung eines Landesbehindertenbeauftragten handelt es sich lediglich um eine Kann-Regelung. Dies erscheint, auch im Vergleich zu anderen LBGGs, zu unverbindlich. Die Aufgabe des Landesbehindertenbeauftragten wird zudem zu allgemein beschrieben. Insbesondere eine Einbeziehung bei Gesetzes- und anderen wichtigen Planungsvorhaben, die Auswirkungen auf die Lebenssituation von Behinderten haben können, ist im Gesetzesentwurf nicht vorgesehen. Nach unserer Ansicht ist eine regelmäßige Einbeziehung des Landesbehindertenbeauftragten bei solchen Gesetzes- und Planungsvorhaben von elementarer Bedeutung.

6. Landesbehindertenrat
Die Einrichtung eines Landesbehindertenrates, der mit dem Landesbehindertenbeauftragten zusammenarbeitet und ihn bei seinen Aufgaben unterstützt und berät, ist im Gesetzesentwurf nicht vorgesehen. In anderen Bundesländern ist die Gründung solcher Landesbehindertenräte in den jeweiligen LBGGs geregelt. Dies erscheint uns sinnvoll und notwendig, um den Behinderten über Ihre Interessenverbände die gesetzlich verankerte Möglichkeit der Mitsprache und Mitgestaltung in eigener Sache zu geben.

7. Kommunale Behindertenbeauftragte
Die Vertretung der Interessen behinderter Menschen auf kommunaler Ebene ist im LBGG-Entwurf ebenfalls nicht geregelt. Eine Einbeziehung behinderter Personen in kommunale Entscheidungsprozesse (z.B. im Städtebau oder im öffentlichen Personennahverkehr) erscheint sinnvoll und notwendig und wird vielerorts auch bereits mit Erfolg praktiziert. Es ist aus unserer Sicht deshalb erforderlich, dies im LBGG gesetzlich zu verankern."

Redaktion: AMSEL e.V., 13.10.2004