Spenden und Helfen

Den eigenen Weg gehen

06.03.07 - In der Reihe "Portrait" stellt Together ganz unterschiedliche Menschen mit MS vor - in der Ausgabe 01 / 2007 ist Nicolai Flöth an der Reihe. Der begeisterte Schwimmer ist in Freiburg im Breisgau zu Hause. Und in Los Angeles. Er lebt "interkontinental" und möchte dies auch weiterhin tun.

Mit Anfang 20 ging der Freiburger auf unbestimmte Zeit, "ein paar Monate vielleicht", in die USA, zehn Jahre sind insgesamt mit Unterbrechungen daraus geworden. "Ich habe direkt die richtigen Leute kennengelernt, habe in der Zeit studiert, gejobbt, gearbeitet, Freunde gefunden.", erklärt er die lange Zeit. Und er hat in dieser Zeit von seiner Diagnose MS erfahren. Er sagt nicht "Ich habe MS", sondern "Ich bin MS-diagnostiziert". Für ihn ein wichtiger Unterschied.

Mit 26 hat er einen ersten schweren Schub. Erste Symptome, Sensibilitätsstörungen, so seine Erinnerung, hatte er aber wahrscheinlich bereits mit 18. "Da habe ich aber nicht weiter drauf geachtet und sie gingen ja auch wieder weg." Aufgrund der Schwere dieses massiven Schubes entscheidet sich Flöth, nach Deutschland zurückzukehren. Dort hat er ein intaktes soziales Umfeld, seine Familie und sehr gute Freunde, "die alle uneingeschränkt für mich da sind." In Freiburg beginnt er auch mit einer Interferon-Therapie, die er aufgrund massiver Nebenwirkungen nach einem Jahr beenden muss. Es folgen drei Jahre ohne Medikamente und ohne fühlbare größere Schübe. "Was da im Hintergrund abgelaufen ist, weiß ich natürlich nicht." Nach einem weiteren schweren Schub mit stationärer Einweisung und anschließender Rehabilitation versucht er es mit einer anderen Therapieoption. Aber auch die muss der Wirtschaftsabsolvent wegen massiver Nebenwirkungen absetzen.

Sich selber finden

"Da wurde mir klar, das gehört nicht zu meinem Weg.", erklärt Flöth seinen Entschluss, keine medikamentöse Therapie mehr zu machen. Und fügt hinzu: "Ich lehne Medizin nicht grundsätzlich ab, kann mich ja nicht vor Hilfreichem verschließen." Er informiert sich regelmäßig über neue therapeutische Optionen und laufende Forschungen. Seine Erfahrungen mit der Medizin sieht er nicht negativ, sie sind für ihn "eine zweite Chance, den eigenen Weg zu finden und mein ultimatives Ziel zu erreichen". Dabei will er sich dieses Mal mehr von seinem eigenen Gefühl leiten lassen.

"Ich möchte auf mich selber hören, auf das, was mein Gefühl mir sagt und Beeinflussung von außen weitgehend ausschließen." Die Umsetzung ist schwer. Denn das heißt sich bewusst zu werden über Erwartungshaltungen und Verhaltensweisen, sie zu durchbrechen, sich gegen auch gut gemeinte Ratschläge und Fürsorge abzugrenzen, und das umzusetzen, was er für sich als richtig und notwendig erkannt hat. Einmal hat er einen sehr drastischen Schnitt gemacht, sich von allen zurückgezogen. Ohne Vorankündigung blieb er für lange Zeit für Eltern und Freunde unerreichbar. Sie haben es ihm nicht übel genommen, obwohl "ich viele dadurch verletzt habe". Und verwundert hat er danach von Freunden, die während der Zeit seines Abtauchens selber mit ernsthaften Erkrankungen diagnostiziert worden waren, gehört, dass er ihnen geholfen hat.

Bewusst lächeln

Durch sein Beispiel, durch seine Art, mit der Krankheit umzugehen wurde er für sie ein Vorbild, das Mut gemacht hat. Das hat ihn beeindruckt. Aber er will auch aktiv Zeichen setzen. Z.B. durch ein bewusst fröhliches Lächeln gerade an Tagen, an denen er sich nur mit größter Mühe an seinem Stock durch die Stadt fortbewegen kann. Sich für neue Dinge zu öffnen, ist ihm wichtig. "Durch die MS habe ich Dinge erlebt, die ich sonst nicht gemacht hätte und Menschen kennengelernt, die ich sonst nicht kennengelernt hätte." sagt der Enddreißiger. Zu diesen Erlebnissen gehört seine Mitwirkung und Teilnahme an der Spenden- und Öffentlichkeitsaktion zugunsten der MS-Forschung in den USA, "Turning the tides".

Von 1999 – 2001 fand dieses Benefizschwimmen vor der Küste Kaliforniens statt. Sieben Teams aus Europa, Amerika und Australien mit jeweils sechs Teilnehmern mussten als Art Staffel die rund 60 km lange Strecke von Catalina Island bis Santa Monica, von Booten begleitet, durchschwimmen. Gestartet wurde nachmittags, während der Nacht wurde durchgeschwommen, bis morgens das Ziel erreicht wurde. "Das musste so getimt werden, damit dann die Presse am Zielort berichten konnte.", erklärt Nicolai Flöth. Er war von der Idee sofort angetan, als ein Freund ihm davon erzählte. Hat in Deutschland durch Interviews mit Zeitungen auf die Aktion aufmerksam gemacht, Sponsoren und Teilnehmer für das deutsche Team geworben, und schließlich aus den zahlreichen Interessenten die Teilnehmer zusammengestellt. Alles begeisterte Schwimmer und alle aus Freiburg, wie er rückblickend erstaunt feststellt. Die Aktion wurde nach 2001 nicht weitergeführt, die Relation zwischen Aufwand und Ertrag rechnete sich nicht. Die deutschen Schwimmer von damals gehören aber heute noch zu seinem engen Freundeskreis.

Schwimmen als "Therapie"

Und Schwimmen betreibt er von den Sportarten, die er ehemals ausgeübt hat, auch heute noch. Als "Therapie" für sich. Aber ohne Zwang, unverkrampft, dann, wenn ihm danach ist, ohne festen Rhythmus. Auch hierbei lässt er sich von seinem Gefühl leiten.

Ein Verwandter hat ihm einmal gesagt, die MS sei ein Geschenk. Für ihn hat sich das damals sehr komisch angehört. Heute weiß er, wie es gemeint war. Es geht darum "Möglichkeiten, die sich bieten, bewusst zu nutzen." Sich von Zwängen und den "vielfachen Verkrampfungen" zu befreien. Das Wesentliche zu erkennen und zu sich selbst zu finden.

Nicolai Flöth ist nicht frei von Sorgen und Ängsten, aber er versucht Veränderungen, die kommen können, positiv zu sehen. Für ihn war es beispielsweise eine merkwürdige Erfahrung, als er zum ersten Mal mit Rollstuhl in seine zweite Heimat Los Angeles kam. Davon, dass er ihn auf Reisen benötigt, will er sich aber auch nicht zu sehr einschränken lassen. Für ihn und seinen sehr großen Freundeskreis ist der Rollstuhl auch kein Hindernis für Unternehmungen. Es kommt auf die Sichtweise an. "Mein Glas ist immer halbvoll", beschreibt der überzeugte Stadtbewohner.

Und wenn er eines Tages vielleicht irgendwann ganz auf einen Rollstuhl angewiesen sein sollte? Was auch kommen mag, er versucht es positiv zu sehen. "Wer weiß, welche Türen sich dann wieder öffnen."

Redaktion: AMSEL e.V., 06.03.2007