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Das MS-Therapie-Wunschmenü

18.08.06 - Prof. Dr.med. Heinz Wiendl beschreibt ein Therapie-Wunschmenü als Antwort auf die unterschiedlichen Schädigungsmechanismen der MS - auch nachzulesen in together 03/2006.

Ein Mittel, das nicht nur antientzündlich wirkt, die Blut-Hirn-Schranke stabilisiert und das Immunsystem beeinflusst, sondern auch remyelinisierende, neuroprotektive und regenerative Wirkung zeigt. Dieses Therapie-Wunschmenü beschrieb Prof. Dr. med. Heinz Wiendl auf dem 5. Aktionstag der AMSEL in Stuttgart-Weilimdorf als Antwort auf die unterschiedlichen Schädigungsmechanismen der MS.

Hohe Krankheitsaktivität zu Beginn der Erkrankung.
"Besonders aktiv ist die Multiple Sklerose zu Beginn der Erkrankung" zeigte der Leitende Oberarzt und Leiter der Forschungsgruppe für MS und Neuroimmunologie an der Neurologischen Klinik der Universität Würzburg in seinem Vortrag mit einem klaren Schaubild und zog die Folgerung: "Beginnen Sie möglichst früh, so wie es die MS-Therapie-Konsensusgruppe empfiehlt, mit einer Therapie." Denn auch ohne sichtbare Symptome gehe der Entzündungsprozess subklinisch weiter. Mit der Folge, dass irgendwann – und dieses Phänomen hat die Forschung bisher nicht klären können – der körpereigene Regenerationsmechanismus nicht mehr ausreichend funktioniert. "Wir wissen nicht, warum und wann der Körper die Fähigkeit verliert, dass sich Symptome vollständig zurückbilden."

Der Krankheitsverlauf der MS

Ab einem bestimmten Zeitpunkt bleibe aber bei jedem Schub eine Restsymptomatik und eine anfänglich schubförmige MS entwickle den sekundär progredienten Verlauf.

Verschiedene Studien bestätigen den Nutzen einer frühzeitig einsetzenden Behandlung nach einer ersten MS-verdächtigen Episode, um Schäden zu minimieren. Dementsprechend wurde 2004 in den USA auch im Schnitt bereits nach 1,8 Schüben mit einer Therapie begonnen, in Europa waren es 2003 noch 3,4 Schübe. "Das Gegenargument der Kritiker, möglicherweise einen milden MS-Verlauf fälschlicherweise zu behandeln, ist kaum zu halten, das Risiko zu hoch", so Wiendl.

Sicheres Therapiearsenal

Auch wenn es das Wunsch-Therapeutikum wohl kaum je als ein einzelnes Medikament geben würde, so der Würzburger Forscher, "gibt es ein gesichertes Therapiearsenal zur Behandlung der MS". Mit Kortikosteroiden während des akuten Schubes, um die Entzündungsaktivität einzudämmen; mit Beta-Interferonen, die an verschiedenen Stellen im Immunsystem ansetzen und Glatirameracetat , das auf der Ebene der T-Zell-Aktivierung wirke, als Basistherapie zur Langzeitbehandlung; und mit Mitoxantron für den Fall, dass die gängigen Therapeutika nicht das gewünschte Resultat bringen. Azathioprin, Immunglobuline, Cyclosphosphamid und Plasmapharese ergänzen das Spektrum der gesicherten Therapien, kommen aber nur in Einzelfällen in Frage.

Schwierig sei die Vorhersage, wie sich eine MS entwickeln wird. MRI-Aufnahmen liefern dazu die besten Informationen. "Ein einfacher Bluttest, wie er in der Presse hoffnungsvoll angekündigt wurde, erfüllt zur Zeit in der Praxis die in ihn gesetzten Erwartungen nicht." relativierte Wiendl Presseberichte.

Was bringt die Zukunft?

"Es laufen derzeit weltweit mehr als 170 Studienzur MS Therapie, so die gute Nachricht." Diese Zahl ist sicherlich die bisherige Spitze einer intensiven Forschungstätigkeit zur MS und lässt hoffen, dass es neue – darunter auch oral verfügbare Therapeutika für die MS geben werde. Das erste Resultat dieser Forschungen: Natalizumab, HandelsnameTysabri ® , das eine aufregende und wechselvolle Geschichte hat. Es ist ein spezifischer Antikörper, der die Blut-Hirn-Schranke "abdichtet", so dass Entzündungszellen nicht in das Zentrale Nervensystem einwandern können. 2-Jahres-Daten der AFFIRM-Studie zeigten eine Schubreduktion um rund 70% und eine Reduktion der Behinderungsprogression um 42% gegenüber Placebo. Die Markteinführung für Natalizumab ist im Juli diesen Jahres erfolgt, die Europäische Kommission hatte im Juni die Zulassung als Monotherapie bei Patienten mit schubförmiger MS und mit hoher Krankheitsaktivität trotz Behandlung mit Interferon beta oder mit rasch fortschreitender schubförmig remittierender MS erteilt.

Die Stellung von Natalizumab innerhalb des gültigen Stufenschemas der MS-Behandlung sieht Wiendl vor dem Beginn der Eskalationstherapie, d.h. vor dem Einsatz von Mitoxantron. Auch nach dem Einsatz von Mitoxantron kann Natalizumab gegeben werden, dazwischen sollten seiner Einschätzung nach sicher drei bis sechs Monate vergehen. Dagegen ist kein zeitlicher Abstand zwischen der Gabe von Interferonen und Natalizumab notwendig. Auf keinen Fall dürfe der neue Wirkstoff in Kombination mit anderen Therapeutika gegeben werden. Ebenfalls notwendig ist die engmaschige Beobachtung und Betreuung durch einen kompetenten Neurologen , der mit der Diagnostik und Therapie der MS sehr erfahren ist. "Offen ist noch die Frage, wie lange Natalizumab gegeben werden soll. Das Sicherheitsprofil in der Langzeitanwendung ist bisher nur unzureichend verstanden."

Die neuen Entwicklungen in der MS-Therapie und die zahlreichen Studien zur MS wertet Wiendl hoffnungsvoll: "In den kommenden drei bis fünf Jahren erwarten wir eine echte Bereicherung des Therapiearsenals als Ergänzung zu den bereits heute wirksamen und sicheren Therapien."

Häufige Fragen zur Immunmodulation mit Interferonen und Glatirameracetat

  • Wie lang ist der Zeitraum, um "Erfolg" oder "Misserfolg" beurteilen zu können? Mindestens sechs Monate, optimal aber zwischen 12 und 18 Monaten.
  • Wir lange wirken Immunmodulatoren? Die Wirkung ist langfristig auch nach Gabe über viele Jahre, nach Absetzen der Therapie dauert die Wirkung vermutlich nur einige Wochen an .
  • Rolle der neutralisierenden Antikörper gegen Interferon? Sie sind ein Grund warum Interferone nicht ausreichend wirken. Entsprechend kann und sollte man sie bei dieser Frage in die Therapieentscheidung mit einbeziehen.
  • Aussetzen der Therapien bei subjektivem Wohlbefinden? Ein klares Nein in Bezug auf das langfristige Aussetzen, ein kurzfristiges Aussetzen sollte mit dem behandelnden Arzt besprochen werden.

Redaktion: AMSEL e.V., 04.09.2006