Roswitha Fiedler |
Mit schwarzen Bildern fing es an
Bei Roswitha Fiedler wurde 1996 die MS offiziell diagnostiziert. Symptome hatten sich bei ihr aber schon viel früher gezeigt. Schon 1982 hat die gelernte Einzelhandelskauffrau beim Arbeiten plötzlich schwarze Bilder vor Augen, sieht kaum noch etwas. Von MS ist zu diesem Zeitpunkt auf ärztlicher Seite noch nicht die Rede, da hiernach etliche Jahre ohne weitere Zwischenfälle verliefen. Erst 1996 erleidet sie einen schweren Schub, es ist "wie ein elektrischer Schlag im Kopf". Die gesamte rechte Seite der jungen Frau ist betroffen, sie kann sie nicht mehr fühlen. Der Arbeit in der Elektro Fachwerkstatt kann sie fortan nur noch bedingt nachgehen. Und sie erhält die Diagnose: chronisch progrediente MS.
Für die talentierte junge Frau, die schon als Kind sehr gerne und sehr gut gemalt hat, und deren Hobby die LandschaftsMotorik eingeschränkt wird. 2001 benötigt Roswitha Fiedler einen Rollstuhl, heute benutzt sie einen E Rolli. "Mal kann ich ihn selbst bedienen, mal nicht, je nachdem, wie ich sitze.", sagt sie. Als wir sie besuchen, liest sie nach längerer Zeit auch wieder an einem Lesepult die Zeitung. Das hat sie länger nicht gekonnt, weil es ihr zu anstrengend sowohl für den Kopf als auch für die Augen war.
Aquarellmalerei ist, bedeutet dies, dass sie immer weiter in ihrerUmzug als Chance
2003 ist das Jahr des Umzugs aus Althütte, einer kleinen Gemeinde im Remstal, nach Stuttgart. Nach einer Rehabilitationsbehandlung in Bad Wildbad steht fest: Die junge Frau kann nicht wieder in ihr altes Zuhause zurück, muss umziehen, "eventuell in ein Seniorenheim", wie man ihr mitteilt. Aber die Rollifahrerin hat Glück, erhält einen Platz im Generationenhaus in Stuttgart. Auch wenn der Umzug in das Generationenhaus bedeutet hat, die gewohnte häusliche Umgebung zu verlassen, ist er der Remstälerin nicht sehr schwer gefallen. Denn sie lebte sehr zurückgezogen, wurde lange Jahre von ihren Eltern versorgt und aufgrund zunehmender körperlicher Beeinträchtigungen auch gepflegt und konnte nicht viel unternehmen. Der Trubel im Generationenhaus gefällt ihr nach dieser ruhigen Zeit sehr. "Immer wird dort etwas geboten, und immer kann man Leute zum Reden finden oder um gemeinsam etwas zu unternehmen."
Leben im Generationenhaus
Zunächst zieht sie in ein Doppelzimmer. Nach zwei Jahren bekommt sie ein Einzelzimmer, das sie sich nach ihren persönlichen Wünschen und Möglichkeiten einrichtet. Mit großformatigen farbenfrohen Postern, schönen Tierbildern, Pflanzen. Selbst gemalte Bilder hängen nicht mehr an den Wänden. Dass sie nicht mehr malen kann, schmerzt zu sehr. "Ich kann die Bilder jetzt nicht sehen.", sagt die Tierfreundin, die gerne einmal Besuch von einer Katze hätte. Denn obwohl Hunde in das Haus dürfen, Katzen nicht.
Lust am Leben
Auch wenn die MS ihr viele Freiheiten genommen und durch starke Spastiken gequält hat, das Interesse und die Lust am Leben hat die MS der Neu
Stuttgarterin nicht nehmen können. Sie hat sich ihr Leben nach ihren Möglichkeiten eingerichtet. Das Leben im Generationenhaus bietet dafür gute Voraussetzungen. Es liegt zentral in Stuttgart Heslach mit einer Einkaufsstraße, zu der der Weg nicht weit ist. Eine kleine Stadtteiltour ist also jederzeit möglich. Roswitha Fiedler nutzt diese Möglichkeit, sie unternimmt auch hin und wieder Ausflüge z.B. nach Ludwigsburg. Dafür benötigt sie eine Begleitung.Um aber Menschen zu treffen und sich auszutauschen, muss die aufgeschlossene und offene Frau das Generationenhaus nicht verlassen. Im Eingangsbereich, in dem ein Café untergebracht ist, sitzen immer Leute, die Kaffee trinken, sich unterhalten. Und nicht nur Bewohner. In diesem Nachbarschaftszentrum des Stuttgarter Stadtteils Heslach, in dem es Pflegeappartements für Senioren und junge Menschen mit Behinderungen, eine Kindertagesstätte, ein Eltern
Kind Zentrum mit Nachbarschaftscafé und einen Feiergarten gibt, kommt man mit allen leicht ins Gespräch. Mit den Bewohnern, den Besuchern und den Nutzern des Hauses. Roswitha Fiedler gefällt diese Lebendigkeit. "Ich bin wahnsinnig froh, dass ich hier bin, hier ist immer etwas los." Kinovorführungen, Theateraufführungen, Diavorträge, regelmäßige Treffen der Bewohner gehören zu den Angeboten des Hauses. Ergänzt werden sie durch die Vorstellungen des AMSEL Theaters und die AMSEL Kontaktgruppe Stuttgart Mitte, die beispielsweise Internetkurse, Vorlesen, regelmäßige Treffen für die MS Kranken anbietet. "Oft fällt es schwer sich zu entscheiden, wohin man gehen soll. So viel wird geboten."Gute Stube im Garten
Im Sommer gibt es eine Aktion, die der Naturfreundin besonders gut gefällt. Dann kommen zehn Jugendliche aus aller Herren Länder im Rahmen eines Workcamps in das Haus, haben dort für vier Wochen ihr Matratzenlager und verschönern während der Zeit den Garten. Wünsche der Bewohner werden aufgegriffen und so gibt es mittlerweile auf den drei Ebenen des Gartens einen Kräutergarten, ein kleines Sonnendach, einen besonderen Platz für Vorführungen und natürlich viele verschiedene Blumen. Roswitha Fiedler freut sich auf die jungen Leute. Auf ihren Einsatz zur Verschönerung des Gartens und auf den Kontakt mit ihnen. Das motiviert sie so sehr, dass sie mittlerweile Ihre Englisch
Kenntnisse auffrischen will. Mit den letzten Teilnehmern unternahm sie sogar einen Ausflug auf den Fernsehturm.Die gesellige und offene Frau hat nicht nur innerhalb des Hauses gute Kontakte, sondern regelmäßig kommen auch ihre Familie, Eltern, Geschwister und Neffen, und auch langjährige Freunde zu Besuch. Ehemalige Klassenkameraden haben ihr zum Beispiel eine Magnetwand geschenkt, auf die Roswitha Fiedler Zeitungsausschnitte, Bilder usw. geheftet hat. "Alles, was mich interessiert." Und sie ist vielfältig interessiert. An Menschen und Ländern. Sie kann gut auf Menschen zugehen und besitzt die Fähigkeit, das Schöne und Besondere auch in den kleinen Dingen zu sehen. Als beispielsweise das Café des Generationenhauses über Weihnachten geschlossen war, gründete sich spontan ein privater Cafékreis – von Bewohnern und Angehörigen, die Kaffee und Kuchen mitbrachten. "Das war so etwas Schönes."
Die Welt kommt zu ihr
Roswitha Fiedler schaut sich gerne Berichte über fremde Länder an und lässt sich von Freunden über deren Reisen erzählen. Einige bringen ihr als Souvenir einen Stein von ihrer Reise mit, die Roswitha Fiedler in einem Glas sammelt und deren Geschichte sie erzählen kann. "Mit den Steinen kommt die Welt zu mir." Wäre es möglich, würde sie gerne einmal nach Neuseeland reisen. Ein Bericht über dieses Land hat sie fasziniert. So taucht sie auch oft versonnen in die Welt der Musik ein, vor allem, wenn einer ihrer Lieblingsinterpreten wie Pink Floyd oder Led Zeppelin sie dazu einladen.
Roswitha Fiedler hat sich gut in das Generationenhaus eingelebt. Dabei hat ihr auch ihre Fähigkeit geholfen, sich auf das Neue einzustellen und es als Chance zu begreifen. "Für mich ist das Glas immer halb voll, nicht halb leer", sagt sie. Auch wenn andere das anders sehen mögen.
Quelle: AMSEL e.V.
Redaktion: AMSEL e.V., 05.03.2009