Mariannes Leidenschaft ist das Tanzen. Im Juni 2011 gewann sie mit ihrer Tanzgruppe im Videoclip-Dancing die Deutsche Meisterschaft in der Masterclass. Nicht viele haben daran geglaubt, dass sie es schaffen würde, denn noch wenige Monate zuvor war das junge Mädchen auf den Rollstuhl angewiesen.
2009, da war Marianne gerade 11 Jahre alt war, konnte sie ihr linkes Bein nicht mehr richtig bewegen. Sie machte bei jedem Schritt einen Halbkreis. Bald versagten die Arme, ein paar Tage später konnte sie nicht mehr laufen. Sie verlor die Kontrolle über ihren Körper. Marianne hatte Angst. Denn es wurde von Tag zu Tag schlimmer. Im Rollstuhl ging es in verschiedene Klinken. Nach einiger Zeit wurde ihr und ihren Eltern mitgeteilt, dass sie MS hätte.
Keiner wollte es wahrhaben. "Meine Eltern sprachen ganz offen mit mir darüber. Sie halfen mir immer, wenn ich am Boden lag. Sie erinnerten mich an mein großes Ziel: Raus aus dem Rollstuhl." Der Zuspruch ihrer Eltern machte Marianne Mut, sich nicht selbst aufzugeben, sondern an sich zu glauben. Mit Disziplin und Willenskraft trainierte die 11-Jährige zusammen mit ihrem Vater Tag für Tag wieder auf die Beine zu kommen und das selbstständige Gehen und Laufen. Ihre Liebe zur Musik und zum Tanz gaben ihr Kraft und Motivation.
Mariannes Lieblingszitat:
Nicht sinnlos ist dein Leben, sondern wertvoll. Nicht nutzlos ist das, was du kannst, sondern wichtig. Du kannst etwas, du bist etwas, dich gibt es nur einmal auf dieser Welt.
Rhythmus spüren – Träume leben
Bereits mit vier Jahren tanzte die kleine Marianne immer vergnügt zu Hause herum. Sie begann bei einer nahegelegenen Tanzschule mit Standard und Latein. Nach dem goldenen Tanzabzeichen fragte ihr Tanzlehrer, ob sie nicht Lust habe, beim Videoclip-Dancing mit zu machen. Und so schloss sie sich der Gruppe "Dynamix" an. Videoclip-Dancing, eine moderne Formationsdarbietung, verbindet verschiedene Tanzstile. Ob Hip-Hop, Streetdance oder modern Jazzdance. Aber auch Elemente aus Standard und Latein fließen mit ein. Meist besteht die Gruppe aus 10 bis 20 Tänzern, die sich zu den schnellen Rhythmen aktueller Charthits bewegen. Ihre Erfolge – Vizemeister bei der Süddeutschen Meisterschaft 2011 und Deutscher Meister 2011 in der Masterclass – erfüllen sie mit Stolz. "Für mich bedeuten diese Siege viel mehr als für andere. Denn ich habe es geschafft aus dem Rollstuhl zu kommen und wieder zu tanzen. Was so mancher nicht geglaubt hätte."
Und dass die tanzbegeisterte Schülerin Rhythmusgefühl hat, beweist sie auch beim Trompete- und Keyboardspielen. Bei einem Tag der offenen Tür im Musikverein probierte das neugierige Mädchen viele Instrumente aus. "Ich habe aus fast allen einen Ton herausbekommen. Nur nicht bei der Querflöte, da waren die Arme zu kurz", erinnert sich Marianne. Und weil ihr das Musizieren Spaß machte, begann sie fortan mit Keyboard und Trompete. "Für Trompete entschied ich mich, weil nicht so viele Mädchen sie spielen." Einmal die Woche hat sie Einzel-Unterricht in Trompete, Duo-Unterricht in Keyboard und Tanztraining. Ist im Musikverein und in der Guggenmusik aktiv.
Gleich – und doch anders
Marianne, die später einmal Hebamme werden möchte, geht wie viele ihrer Altersgenossen, nicht immer gerne zur Schule und mag das Schulfach Physik nicht sonderlich. Doch so normal das für ein Kind in ihrem Alter klingen mag, ist es für sie nicht. In Zeiten, in denen sie nicht so aktiv sein konnte und der Rollstuhl ihr täglicher Begleiter war, musste sich der Harry-Potter- und Twillight-Fan ganz unterschiedlichen Reaktionen stellen. Manche Mitschüler reagierten mit Mitleid, wenn sie sie sahen, andere mit Unverständnis, wenn sie beim Sport befreit war und andere sogar mit Neid, wenn sie den PC in der Schule benutzen durfte, weil ihr das Schreiben schwerfiel.
"Es gingen die wildesten Gerüchte in der Schule um, zum Beispiel, dass ich schwachsinnig sei. Also wollte ich meinen Klassenkameraden alles über MS erzählen und klärte sie auf. Und heute, da ich wieder laufen kann, denken viele, ich sei wieder gesund. Die Aufklärungen wurden schnell vergessen. Und manchmal müssen meine Eltern wieder daran erinnern, wenn ich nicht richtig schreiben kann und den PC benutzen darf."
Rückhalt findet Marianne zu Hause bei ihren Eltern, bei ihren zwei Hunden und ihrem Kater. Lissi, ein Neufundländer, ist sechs Jahre alt, Kimba, ein Landseer, und Max, eine Perserkatze, beide sind zwei Jahre alt. Lissi ist Mariannes Seelentröster, dem sie sich immer anvertrauen kann. Kimba, "den ich zum besten Servicehund ausbilden möchte", ist ihr Assistenzhund, der ihr in Zeiten des Rollstuhls bei täglichen Tätigkeiten half. So kann Kimba Socken ausziehen, die Zeitung bringen oder den Lichtschalter aus- und einschalten. "Und Max ist zum Kuscheln."
Positiv denken – niemals aufgeben
Obwohl Marianne noch ein Kind ist, ist ihre Einstellung erstaunlich reif und erwachsen. "Niemals aufgeben, sich ein Ziel setzen und durchhalten. Nicht danach schauen, was man (noch) nicht kann, sondern was man schon erreicht hat!", ist die Botschaft, die sie Kindern mitgeben möchte, die vielleicht gerade selbst in einer schwierigen Phase stecken oder selbst eine Krankheitsdiagnose bekommen haben. "Ich habe einen Bericht über ein Ehepaar gelesen, beide hatten MS. Sie haben ihr Leben super gemeistert. Das hat mir Auftrieb gegeben. Und ich möchte auch positiven Auftrieb geben. Vor allem auch den Jugendlichen in meinem Alter oder Jüngeren."
"Jeden Tag versuche ich mit meiner Krankheit zu leben, mich daran zu erinnern positiv zu denken, auch wenn Rückschläge vorkommen." Mariannes Mutter hat ein Bild aufgehängt. Das zeigt einen Storch, der einen Frosch im Schnabel hat und herunterschlucken möchte. Der Frosch aber hat seine Vorderbeine um den Hals des Storches gelegt und drückt fest zu, damit er nicht verschluckt wird. Darunter steht: Niemals aufgeben.
Quelle: AMSEL-Nachrichtenmagazin together 4/11
Redaktion: AMSEL e.V., 10.01.2012