Spenden und Helfen

Erdbeersaison, oder: Wenn die Multiple Sklerose beschwerlich wird

Ich hatte vor meiner Kolumne einen Blog bei der AMSEL. An meinen liebsten Eintrag kann ich mich noch gut erinnern. Er wurde tatsächlich auch am meisten gelesen und kommentiert. Und zwar ging es um die unerreichbare Erdbeerbude.

Warum ich darauf komme, steht am Ende der Kolumne. Jetzt erst mal von vorne:

Es ging damals um meine Gehstreckenprobleme und einen Menschen, der die Verkaufserdbeerbuden erfand. Damals hatte ich gerade einen sehr schweren Multiple Sklerose Schub, der meine Gehfähigkeit von Bett zu Toilette jäh verkürzte und dies ergab eine ganz nette Geschichte und machte gleichzeitig noch Lust auf leckeres Obst!

Damals wohnte ich ca. 200 m von einer großen Verkaufsbude in Erdbeerform entfernt. Die Erdbeersaison hatte gerade begonnen und das Häuschen wurde aufgestellt.

Von unserem damaligen Wohnzimmerfenster konnte ich die Bude sehr gut sehen. Was nachher sehr zum Vorteil für mich ausging.

Ihr kennt es alle wenn man etwas nicht kann, dann will man es unbedingt, in meinem Fall wollte ich Erdbeeren kaufen!

So große Lust auf Erdbeeren, die man plötzlich haben kann, wenn man das Haus nicht selbständig verlassen kann, ist überhaupt nicht zu beschreiben.

Nun saß ich da, am Wohnzimmerfenster und schniefte erst einmal einige Päckchen Taschentücher nass. Nachdem ich mit meinem Selbstmitleid fertig war, beschloss ich, die Erdbeere als Gehtraining zu betrachten. Nun hatte ich ein Ziel und das hieß Danielas-Erdbeerbuden-Gehtraining-Wettbewerb!

Erstes Erdbeerjahr: Wie komme ich selbständig aus dem Haus?

Mein erstes Erdbeerjahr begriff ich unter dem Motto: Wie komme ich selbständig aus dem Haus.

Tag ein, Tag aus hatte ich die gleichen Bewegungsabläufe trainiert, Bein aufs Kissen, runter vom Kissen, Bein auf zwei Kissen und wieder runter, bis es eine Stufe wurde und bis meine Nervenbahnen begriffen hatten, dass ich, egal wie, endlich meine Erdbeeren haben wollte! Damit konnte ich nach einem Jahr schon selbstständig mit E-Rolli zur Bude sausen.

Dann war die Saison vorbei und ich trainierte weiter.

Zweites Erdbeerjahr: Arme müssen es selbst schaffen.

Mein zweites Erdbeerjahr stand unter dem Motto: Die Arme müssen es selbst schaffen. Und somit ging das Training für die Arme los. Damit hatte ich auch meine Arme wieder soweit gestärkt und im Griff, dass ich per Muskelkraft im Aktivrolli zur Bude sausen konnte.

Drittes Erdbeerjahr: Und jetzt erst recht.

Ihr ahnt es vielleicht: Im dritten Erdbeerjahr habe ich Beine, Arme, Rumpfmuskulatur ein Jahr lang ausdauernd geplagt, um mich dann mit dem Rollator aufzumachen, um meine Erdbeeren in der Bude zu kaufen.

Viertes Erdbeerjahr: Ohne Rollator sehe ich jünger aus.

Viertes Erdbeerjahr mit dem Motto: Ohne Rollator sehe ich jünger aus. Die Unterarmgehstützen hatte ich im Laufe des Winters schon in die Ecke gestellt und bin nun ohne Hilfsmittel zur Bude gewackelt!

Getreu nach meinem Obermotto: Wer rastet, der rostet.

Heute ist es recht tagesformabhängig, mit was ich unterwegs bin. Aber aufgeben ist nie eine Option. Auch wenn es aktiv nicht mehr geht, ist passive Bewegung einer der Schlüssel für viele daran hängende Verschlechterungen. Man weiß ja, wie die Muskeln am Haxen aussehen, wenn er nach zwölf Wochen aus dem Gips kommt.

Inzwischen habe ich aber die Erdbeeren im eigenen Garten und bin ein wenig flexibler. Das hält mich vom täglichen Training aber nicht ab. Da ich vor ein paar Wochen die erste Erdbeere gepflückt hatte, musste ich natürlich wieder an diese Geschichte denken und dachte, die macht sich als Kolumne bestimmt genau so gut.

Eure Daniela

Redaktion: AMSEL e.V., 24.06.2020