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Stammzelltherapie bei Multipler Sklerose

In Einzelfällen und unter bestimmten Bedingungen kann die Stammzelltherapie heute schon bei chronisch-progredienter MS angewendet werden, so PD Dr. Antonios Bayas im AMSEL-Expertenchat.

Patricia Fleischmann: Liebe Chatterinnen und Chatter, herzlich willkommen hier im Expertenchat der AMSEL. Ab 19 Uhr antwortet heute Privatdozent Dr. med. Antonios Bayas auf all Ihre Fragen rund um die MS und Stammzelltherapie. - Gern dürfen Sie schon jetzt posten😀

Ida: Hallo Hr. Dr. Bayas, wie lange wird es noch dauern bis die Stammzelltherapie auch beim chronisch schleichenden Verlauf zum Einsatz kommt?
PD Dr. Antonios Bayas: Hallo Ida, in Einzelfällen und unter bestimmten Bedingungen kann sie heute schon bei chronisch progredienten Verläufen erwogen werden, dies derzeit aber sicher selten und unter strenger Abwägung.

Ida: Auch in Deutschland oder nur im Ausland. Wo könnte man sich darüber informieren? Mein Neurologe sagt mir, dass man das nicht für diesen Verlauf macht. Ich bekomme Ocrevus und mir gehts immer schlechter.
PD Dr. Antonios Bayas: Auch in Deutschland; Voraussetzung ist der Nachweis entzündlicher Aktivität, d.h. u.a. rasche Progression < ca. 2 Jahre bei SPMS, MRT-Aktivität; je mehr Hinweise wir für aktive Entzündung haben, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit für ein Ansprechen. Aber auch Alter und Ausmaß der Behinderung spielen eine Rolle.

PD Dr. Antonios Bayas: Auch in Deutschland; Voraussetzung ist der Nachweis entzündlicher Aktivität, d.h. u.a. rasche Progression < ca. 2 Jahre bei SPMS, MRT-Aktivität; je mehr Hinweise wir für aktive Entzündung haben, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit für ein Ansprechen. Aber auch Alter und Ausmaß der Behinderung spielen eine Rolle.
PD Dr. Antonios Bayas: Bzgl. Kontakt verweise ich auf die Task Force aHSCT des KKNMS, https://www.kompetenznetz-multiplesklerose.de/wp-content/uploads/2022/11/KKN_2211_WEB_empfehlung_aHSCT-1.pdf

Kai: Hallo zusammen,
Ich habe seit 16 Jahren MS, bin männlich und 50 Jahre alt. Im laufe der Zeit wandelte sich die MS bei mir in den aktuellen sekundär-progredienten-Verlauf. Seit gut 1 Jahr erhalte ich das Medikament „OCREVUS“ per Infusion. Trotzdem bildeten sich in der Zeit 8 neue Läsionen im Gehirn und eine neue im Myelon im Bereich der Halswirbelsäule.
Zuvor hatte ich „BETAFERON“ (rund 2.100 Spritzen) und „AUBAGIO“ (1 Jahr) genommen. Aufgrund der nachlassenden Wirksamkeit, bin ich jetzt bei OCREVUS gelandet.
Meine Frage:
Wäre eine Stammzellentherapie in meinem Fall eine Option oder lieber „OCREVUS“ beibehalten und dem Medikament mehr Zeit zur Festigung einräumen?
Vielen Dank!
PD Dr. Antonios Bayas: Hallo Kai, für eine mögliche autologe hämatopoetische Stammzelltransplantation (abgekürzt aHSCT) kann die Aktivität unter Ocrelizumab sprechen; die Krankheitsdauer (> 10 bis 15 Jahre) und Alter sind nach den Kriterien, die die Task Force aufgestellt hat, grenzwertig; rate Ihnen, sich in einem Zentrum zur Beratung vorzustellen.

Biene: Hallo Hr. Dr. Bayas ich bin 58 Jahre habe seit 10 Jahren Ms bekomme Overus. Seit 1 Jahr habe ich noch Morbus Crohn dazu bekommen es wird mit Stelara behandelt. Ist bei zwei Erkrankungen eine
Stammzellentherapie denkbar.
Vielen Dank
PD Dr. Antonios Bayas: Hallo Biene, zum Effekt der Stammzelltransplantation bei M. Crohn habe ich keine Erfahrung; sollte die MS stabil sein, gäbe es keinen Grund für eine aHSCT.

Ansgar: Sehr geehrte Damen und Herren,

Da ich bisher alle Medikamente ohne Einschränkungen vertragen habe,
Bin jetzt 54 Jahre alt,, könnte ich Trotzdem an der Stammzellen Therapie teilnehmen?
Erhoffe mir dadurch,dass meine Mobilität wieder besser wird
PD Dr. Antonios Bayas: Hallo Ansgar, die hämatopoetische Stammzelltransplantation ist eine starke Immuntherapie und kann bestehende Defizite leider nicht verbessern.

Maike: Guten Abend, wird die Behandlung in Ihrem Krankenhaus auch gemacht? Und wenn ja, wie ist der Ablauf?
PD Dr. Antonios Bayas: Hallo Maike, ja, wir bieten die Therapie hier an, haben sie auch schon eingesetzt. Zunächst ist eine Vorstellung in der neuroimmunologischen bzw. MS-Ambulanz, die ich leite, notwendig, um die Indikation zu prüfen und ggf. das Vorgehen zu besprechen.

Freddie: Hallo! Ich bin für hit hard and early. Sehen Sie eine Chance, dass in ein paar Jahren die Stammzelltherapie auch anstatt der hochpotenten MS-Therapie eingesetzt wird und nicht erst dann, wenn trotz deren Einsatz weiter die MS aktiv ist?
PD Dr. Antonios Bayas: Hallo Freddie, das wird viel diskutiert und es gibt aus meiner Sicht gute Gründe, eine so hoch effektive Therapie früh einzusetzen, v.a. wenn zu Beginn der Erkrankung ein schwerer, sehr aktiver Verlauf besteht. Es ist daher wichtig, viele Daten zu der Therapie zu sammeln, um Pat. auch noch besser beraten zu können. Daher wird gerade ein Register, das Deutsche Registerprojekt für autologe hämatopoetische Stammzelltransplantation bei Multipler Sklerose, in´s Leben gerufen, in das alle Fälle eingeschlossen werden sollen. Ich gehe davon aus, dass wir die Stammzell-Therapie zukünftig früher einsetzen werden als heute. Aus meiner Sicht besser zu früh als dann, wenn es zu spät ist. Aber man muss sich auch die Risiken vor Augen halten.

Patricia Fleischmann: @alle: Gern dürfen Sie auch Fragen zu anderen medizinischen MS-Themen stellen😀

Ida: Ich habe letztes Jahr eine Reha gemacht, leider ohne Erfolg. Jetzt soll ich in eine MS-Akutklinik. Machen die mehr bzw. bessere Behandlungen? Was ist denn der Unterschied zwischen Reha und MS-Akutklinik?
PD Dr. Antonios Bayas: Reha-Kliniken setzen v.a. auf rehabilitative, d.h. wiederherstellende Therapien durch u.a. Physio- und Ergotherapie, Immuntherapien stehen hier nicht so sehr im Fokus, auch wenn sie in Kliniken mit MS-Erfahrung sicher berücksichtigt werden. In der Akutklinik werden die Optionen der Immuntherapien geprüft und ggf. eingesetzt. Aber auch in Akutkliniken wie unserer achten wir natürlich auf rehabilitative Aspekte und die symptomatische Therapie, auch wenn für die Rehabilitation die entsprechenden Klinken besser ausgestattet sind.

Patricia Fleischmann: @alle: Gern dürfen Sie auch Fragen zu anderen medizinischen MS-Themen stellen😀
PD Dr. Antonios Bayas: 👍️

Sunny: Hallo Dr. Bayas, wie schätzen Sie denn die Nebenwirkungen einer St.-zelltherapie ein geg.über den stark wirksamen MS-Therapien?
PD Dr. Antonios Bayas: Hallo Sunny, wichtige Frage: Jede Therapie hat mögliche Nebenwirkungen, aber die autologe hämatop. Stammzelltherapie ist die am stärksten in das Immunsystem eingreifende und nebenwirkungsreichste Therapie. Es gibt frühe Nebenwirkungen wie Übelkeit, Infekte etc., aber auch späte Nebenwirkungen, wie Zweit-Autoimmunerkrankungen, u.a. Schilddrüsenentzündungen oder entzündliche Darmerkrankungen. Von einem erhöhten Krebserkrankungsrisiko muss ausgegangen werden, ca. 3% der Transplantierten entwickeln bösartige Tumore. D.h. die Nebenwirkungen sind stärker als bei den zugelassenen MS-Therapien.

Bos: Neuronale Stammzellen - zukünftige Behandlungsoption für progrediente MS?
Würden Sie diesbezüglich eine Einschätzung vornehmen,
vielen Dank Herr PD Dr. Bayas
PD Dr. Antonios Bayas: Hallo Bos: es gibt hierzu bisher nur Daten aus sehr frühen Untersuchungen, v.a. zur Sicherheit des Einsatzes neuronaler Stammzellen, die ja in den Liquorraum eingegeben werden. Es muss abgewartet werden, ob dieses Verfahren in zukünftigen Studien sich tatsächlich auf die progrediente MS auswirkt, momentan noch in den "Kinderschuhen" und viel zu früh, um eine Prognose abgeben zu können - leider.

Sunny: Und noch eine Frage: Was ist mit der Wirkung: Stammz.ther. heilt nicht von MS, dh sie kann wiederkommen? Was macht man dann, wenn sie nach ein paar Jahren wieder aktiv ist? Ich habe gehört, man soll danach besser keine immunsuppressive Therapie mehr machen.
PD Dr. Antonios Bayas: Ja, leider ist auch die Stammzell-Therapie keine Therapie, die zu 100% Schutz bietet; je nach Studie, haben z.B. nach 5 Jahren ca. knapp 70% eine Freiheit von Krankheitsaktivität, d.h. keine Schübe, keine Progression, keine MRT-Aktivität. Aber: Man kann auch im Verlauf wieder Immuntherapien einsetzen; wir betreuen z.B. einen Pat., der nach Stammzelltherapie vor vielen Jahren derzeit eine B-Zell-Therapie erhält.

Elisabeth5649: Wenn man die Therapie bereits hinter sich hat und dann wieder Krankheitsaktivität in Form von schleichender Verschlechterung hat, wozu würden Sie raten?
PD Dr. Antonios Bayas: Hallo Elisabeth, keine einfache Frage... . Hängt von der Dynamik der schleichenden Verschlechterung und vom MRT ab. Je rascher das Voranschreiten und falls auch MRT-Aktivität nachweisbar sein sollte, würde ich eine hocheffektive Therapie, wie einen B-Zell-Antikörper versuchsweise einsetzen. Dies ist aber eine hoch individuelle Entscheidung, für die wir keine Evidenz in Form von Studien haben.

Sunny: Welche Arten von Stammzelltherapie gibt es überhaupt? Gibts auch welche, die man nicht machen sollte?
PD Dr. Antonios Bayas: Es gibt die Transplantation von autologen hämatopoetischen Stammzellen, hierüber haben wir uns heute schon viel ausgetauscht. In den Kinderschuhen ist die Therapie mit neuronalen Stammzellen, s. Komm. von Bos. Daneben werden auch sogenannte mesenchymale Stammzellen verwendet, die über die Vene verabreicht werden. Auch hierzu gibt es keine wirklich aussagekräftige Daten. Beide Verfahren sollten nur in kontrollierten Studien eingesetzt werden. Warnen muss man vor der Therapie mit Knochenmarks-Stammzellen, die in den Nervenwasser-Raum, eingegeben werden. Hierfür wurde in der Vergangenheit Werbung gemacht, es gibt aber keinerlei Evidenz für eine Wirksamkeit. Ich rate davon, solange wir hierzu keine entsprechenden Daten haben.

Eische: Liest sich alles so, als sollte man wirklich nur im schlimmsten Falle, zu der Therapie greifen. Bei welchen Beschwerden würden Sie empfehlen, sich ernsthaft, Gedanken über die Therapie zu machen ?
PD Dr. Antonios Bayas: Hallo Eische, nein, so zurückhaltend wäre ich nicht; die aHSCT ist aus meiner Sicht eine wichtige Option für Pat., die unter hoch effektiven Therapien aktiv sind, Zeichen der entzündlichen Aktivität haben (u.a. MRT), die MS noch nicht zu lange haben und jünger als ca. 45 bis 55 Jahre sind und ca. 100 m gehfähig sind. Dies alles ganz grobe Kriterien, die man im Einzellfall beurteilen muss.

Elisabeth5649: Und wenn keine MRT-Aktivität nachweisbar ist?
PD Dr. Antonios Bayas: Dann hängt es von der Dynamik der schleichenden Verschlechterung ab, ohne MRT-Aktivität ist die Wahrscheinlichkeit des Ansprechens aber als eher weniger wahrscheinlich anzusehen.

Eische: 👍️ vielen Dank
PD Dr. Antonios Bayas: Gern geschehen!

Elisabeth5649: Danke!
PD Dr. Antonios Bayas: Gern geschehen!

Robin: (Also für die ahsct-Behandlung)
PD Dr. Antonios Bayas: Hallo Robin, ich habe für die Transplantationen bei uns bisher eine Kostenübernahme bei der Versicherung der Pat. erreichen können. Ich habe die Kosten bei uns noch nicht im Detail erfragt, Kosten belaufen sich lt. anderem Zentrum auf ca, 50.000 Euro.

elly: Guten Abend, ist nach erfolgter Transplantation eine Reha sinnvoll, bzw. zwingend notwendig?
PD Dr. Antonios Bayas: Hallo Elly, nicht zwingend, aber in der Regel sinnvoll in einer entsprechend ausgerichteten Klink. Es ist eine anstrengende Prozedur.

Robin: Gibt es einen Pauschalpreis für Selbstzahler ? Wenn ja , wie hoch ist der bei Ihnen in der Klinik ?
PD Dr. Antonios Bayas: s.o.

Robin: Dankeschön , auch dafür dass Sie sich überhaupt mit den anderen Taskforce-Teilnehmern für die Patienteninteressen einsetzen. Als die Leitlinienaktualisierung vor 2 Jahren kam, hätte ich vor Zorn über die Ablehnung der aHSCT und der fadenscheinigen Begründung dessen, beinahe einen Schub bekommen (übertrieben ausgedrückt :-D)
PD Dr. Antonios Bayas: Sehr gerne!

Patricia Fleischmann: Werte Chatter, haben Sie vielen Dank für Ihre interessanten Fragen heute Abend! Ein riesiges DANKE geht natürlich an PD Dr. Bayas für sein ehrenamtliches Engagement hier im Multiple Sklerose-Chat der AMSEL!

Weiter geht's am Dienstagabend, 20. Juni, Thema und Experte sind derzeit noch offen, aber über amsel.de rechtzeitig zu erfahren.

Ihnen allen noch einen schönen Abend, und für die anstehenden Monate die richtige Mischung aus gutem Wetter ohne Uhthoff!

Redaktion: AMSEL e.V., 16.05.2023