Rund um die Reha

Die private BU will in der Regel ein eigenes Gutachten, das detailliert auf die Anforderungen im Beruf eingeht, so Dr. Gerald Lehrieder im AMSEL-Expertenchat.

Moderator Patricia Fleischmann: Werte Chatter, ab 19 Uhr gibt Dr. Lehrieder hier Tipps rund um die Reha bei Multipler Sklerose. - Schalten Sie sich ein !

sabine: wie kann ich trotz rente einen rehaantrag begründen? besser selbständig bleiben oder reduktion von Medikamenten?

Dr. Gerald Lehrieder: Hallo Sabine, Schön, dass Sie sich trauen. Klar können Sie auch wenn Sie berentet sind einen Reha-Antrag stellen. Kostenträger ist dann ja meist die Krankenkasse. Und da sollte die Begründung in einem Bezug zum Erhalt der Selbstständigkeit im Alltag liegen. Vermeidung von Pflegebedarf ist auch ein gutes Stichwort, das aber mit ein paar bedrohten Aktivitäten des täglichen Lebens unterfüttern sollten. Reduktion von Medikamenten zählt eher als Sekundärargument.

Dr. med. Gerald Lehrieder

Chefarzt der Dr. Becker Kiliani-KlinikChefarzt der Dr. Becker Kiliani-Klinik

  • Facharzt für Neurologie
  • Zusatzbezeichnungen für Sozialmedizin und Verkehrsmedizin
  • Fachkundenachweis im Strahlenschutz und der Transfusionsmedizin
  • Spezialist auch auf dem Gebiet der Multiplen Sklerose

Mao: Ab nächstem April kann jeder Vertragsarzt eine Reha verschreiben war zuletzt zu lesen. Welcher Arzt hat dafür aber auch Zeit? Eher der Hausarzt oder der Neuro?

Dr. Gerald Lehrieder: Ja, auf diese Gesetzesänderung haben ja auch die Ärzte lange gewartet. Es sollte der Arzt Ihren Antrag stellen bzw. unterstützen, der Ihren Bedarf, Ihre Rehaziele etc am besten kennt. Wer Zeit hat, kann ich an dieser Stelle schlecht beurteilen. Und wer sich dafür von beiden eher Zeit NIMMT, wissen Sie sicher am allerbesten.

Natalie: Die KK hat meine Reha abgelehnt, was ist jetzt zu tun?

Dr. Gerald Lehrieder: Wenn die Krankenkasse der richtige Kostenträger ist, hilft nur: Sich den Ablehnungsbescheid und die Begründung herzunehmen und einen gezielten Widerspruch zu schreiben. Aus dem sollten Ihre konkreten Rehaziele hervorgehen und dass Sie diese wirklich nur durch eine stationäre Reha und nicht durch ambulante Maßnahmen erreichen können. Wenn die Kasse abgelehnt hat, weil sie nicht der richtige Kostenträger ist, sondern z.B. die Rentenversicherung, hätte sie Ihren Antrag eigentlich weitergeben müssen. Dann hilft erstmal nur neuen Antrag bei der RV stellen. Für Widerspruch und neue Antragstellung helfen Ihnen auch die AMSEL oder VdK.

Sasbo: Wenn während der Reha eine maximale Arbeitsleistung von 3-6 festgestellt wird, kann man dann die Ergebnisse auch für die Beantragung einer privaten BU verwenden oder wird dort immer ein eigenes Gutachten beauftragt/ gebraucht?

Dr. Gerald Lehrieder: Die Einschätzung der zeitlichen Leistungsfähigkeit im Reha-Bericht ist nur für die Rentenversicherung gedacht. Die private BU akzeptiert diese Einschätzung so nicht und will in der Regel ein eigenes Gutachten, das auch viel detaillierter auf die Anforderungen im Beruf eingeht.

Moderator Patricia Fleischmann: @alle: Unten in der Plauderecke - das 2. Schreibfeld - können Sie sich auch gern mit andern Chattern austauschen, wie Ihre letzte Reha war, was es gebracht hat, welche Ziele Sie noch erreichen wollen... Nur zum Beispiel.

Mao: Was muss man tun bei der Reha, um die max. Arb.leistung festzustellen? Arbeiten? confused::

Dr. Gerald Lehrieder: Das wäre eine Idee...! Spaß bei Seite: Neben der Verbesserung der möglicherweise eingeschränkten Funktionen und Aktivitäten ist ein wichtiges Ziel der Reha, wenn die Rentenversicherung der Kostenträger ist, zu ermitteln, wie Ihre Leistungsfähigkeit in Ihrem Beruf oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einzuschätzen ist. Aber "nur" in groben Kategorien, und das ist oft schon schwierig genug. In der Klinik haben wir dafür aber auch mehrere Wochen Zeit, uns darüber in der Physiotherapie, in der Neuropsychologie oder auch im Alltag ein Bild zu machen. Dennoch haben Sie recht: Manchmal gehört da auch eine simulierte Arbeitssituation dazu.

Melanie: Was bringt eine Reha, wenn man dort weniger aktiv ist als zu Hause? Die Kostenträger zahlen immer weniger und für zwei Termine am Tag lohnt es sich doch gar nicht mehr.

Dr. Gerald Lehrieder: Mit den zwei Terminen am Tag meinen Sie wahrscheinlich nur die Einzel-Termine. Unterschätzen Sie bitte auch die Gruppentherapien nicht und m.E. sind auch die Patientenschulungen sehr wichtig. Wie in unserem Haus auch üblich gibt es in vielen MS-Reha-Kliniken mittlerweile ausgefeilte Schulungskonzepte mit Experten zum interaktiven Austausch mit den Experten aber auch untereinander. Der Kontakt mit anderen MS-Betroffenen darf auch nicht unterschätzt werden. Der Mix der unterschiedlichen Therapien macht es. Die Rehabilitation bringt auch in die Therapien zuhause, die dann ehedem wieder fortgesetzt werden müssen, neue, hoffentlich wertvolle Impulse.


Allgemein - Tina: Hallo zusammen, inwieweit gehört Reha bei Euch zum Standard? Wie habt Ihr von einer Reha profitiert? Ich habe noch nie eine gehabt.


Tine: Guten Abend. Ich bin erst seit wenigen Jahren im Berufsleben, arbeite noch Vollzeit und so weit geht es mir ganz gut. Dennoch stellt sich mir die Frage ab wann sich eine Reha lohnt, ist dies ggf. Auch präventiv möglich? Erfährt dann mein Arbeitgeber von der Diagnose? Vielen Dank.

Dr. Gerald Lehrieder: 1. Der Arbeitgeber erfährt, wenn Sie dies nicht wollen, gar nichts. 2. Das Wort "noch" in Ihrer Frage streichen wir ganz schnell, dann das beinhaltet eine Erwartung oder Befürchtung, der wir ja grade begegnen wollen mit all unseren Maßnahmen, sei es in ambulanter oder stationärer Medizin, jeder an seinem Platz. 3. Reha lohnt sich immer dann, wenn Sie Ihre Ziele richtig definieren. In einer Krankheitsphase, in der "es mir ganz gut" geht, vielleicht kurz nach der Diagnosestellung, kann auch eine kompakte Reha zur Verbesserung von Krankheitsinformation, evtl. Einleitung einer Immuntherapie, Erarbeitung von Strategien zur Krankheitsbewältigung ganz wichtig sein. So fällt es Ihnen leichter im weiteren Krankheitsverlauf eine aktive und mitgestaltende Rolle einzunehmen.

Melanie: Das sehr ich doch ziemlich anders, dieses nervige Gruppenblabla hat mir als gut informierte Patientin gar nichts gebracht. In diesen Schulungen wird die Leidlinie runter gerattert und die Neubetroffenen jammern über das Freiheitsmittel Rollstuhl.

Dr. Gerald Lehrieder: Schade, dass Sie das so erfahren haben. Ich mache in vielen dieser Schulungen andere Erfahrungen: Da tauschen sich die Betroffenen unter der Moderation eines Experten aus. Wenn es ein "Herunterrattern der Leitlinie" wird ist das in der Tat eher eine Leidlinie, Sie verzeihen das Wortspiel. Ein bißchen was verstehe ich ja auch schon von der MS und ich selber bin in jeder dieser Schulungen immer wieder neugierig, etwas von meinen Patienten zu lernen. Und da ist immer was dabei. "Eine Schulung, die ich geleitet habe und bei der ich nichts gelernt habe, war eine schlechte Schulung", weil ich die Teilnehmer offenbar nicht zum Reden gebracht habe.


Allgemein - Mao: Hallo Tina, Standard wäre zu viel gesagt. Hatte zwei mal Reha und war danach wieder viel fitter als zuvor. Gut ist auch von zuhause weg zu sein, nicht von den üblichen Problemen umzingelt. Mir hat das jedes Mal geholfen zusammen mit den Anwendungen und Kursen.


Eva: Mhh, so ganz unrecht hat die Melanie nicht. Ich habe mich in den letzten beiden Rehas mehr gelangweilt als das ich Impulse bekommen habe.

Dr. Gerald Lehrieder: Scheuen Sie sich beim nächsten Mal nicht, Ihre Anforderungen und konkreten Ziele auch zu formulieren, wenn Sie diese haben. Therapeuten wollen gefordert sein. Kein Arzt oder Therapeut hat gern gelangweilte Patienten.

Katrin: Wenn man ohne Rollator nicht mehr gehen kann, ist es dann ein zu hohes Ziel für eine Reha, wenn man danach ohne Rollator auskommen will? Ich habe Spastik in den Beinen und Restlesslegs vor allem nachts.

Dr. Gerald Lehrieder: Das läßt sich so für Sie am PC natürlich nicht sagen. Ein Ziel soll zwar ambitioniert, aber nicht unrealistisch sein. Manchmal hilft es auch mehrere Ziele zu formulieren: Ein gut erreichbares realistisches und rasch meßbares Ziel, z.B. in Ihrem Fall: Verlängerung der Gehstrecke mit Rollator oder Verzicht auf den Rollator für die Strecken im Haus. Ein zweites ambitionierteres Ziel, könnte z.B. sein: Statt Rollator ein anderes Hilfsmittel mit beidseitiger Unterstützung zu verwenden, z.B. für die größeren Strecken zwei Walkingstöcke. Und dann ein drittes, das vielleicht (noch) utopische Ziel: Verzicht auf Rollator. Ob da was für Sie in Frage kommt weiß ich nicht, aber so kann man gestaffelte Ziele aufbauen und die sind immer motivierend.

Katrin: Was machen Sie mit Ihren Patienten in der Kilianiklinik gegen Fatigue. Kann man überhaupt etwas dagegen tun? Welche Therapien würden Sie empfehlen?

Dr. Gerald Lehrieder: Katrin, Sie sprechen eines der häufigsten Anliegen unserer Patienten an. Ja, man kann was tun: Zum einen mal nachschauen, ob es auch andere Ursachen als "die MS" für die Fatigue gibt. Da muß nach anderen Erkrankungen geschaut werden, geht meist mit ein paar Blutwerten, und die Medikamente müssen auf den Prüfstand, ob Sie die alle wirklich brauchen, insbesondere die bei denen Müdigkeit als Nebenwirkung möglich ist. Das ist aber nicht die Hauptsache. Wesentliche Strategie ist die Förderung der körperlichen Aktivität durch regelmäßige sportliche Betätigung, ca. 5-6 mal pro Woche etwa 45 Minuten im Ausdauerbereich. Keine Sorge, das muß nicht vom ersten Tag weg so gehen. Da führen wir auch Couch-Potatoes langsam heran. Das wichtigste ist nicht, dass Sie Walken, Ergometer fahren oder Schwimmen. Das wichtigste ist, dass Sie eine Betätigung für sich entdecken, die Sie zuhause auch fortführen wollen, weil es Ihnen Spaß macht. Nur dann hilft es langfristig. Zudem beraten unsere Psychologen hinsichtlich des Umgangs mit der Fatigue: Da geht es um Haushalten mit Ressourcen, Pausenmanagement, Nein-Sagen können etc. Und ganz am Ende stehen auch medikamentöse Strategien, die aber gut ausgewählt sein wollen.

Melanie: Welche Sportmöglichkeiten gibt es bei Ihnen?

Dr. Gerald Lehrieder: Bei uns im Haus kann man Walken in mehreren Belastungsstufen, (Stickwalken, nicht das Nordic Walken), Fitneßtraining sowieso, Ergometer, Klettern, Schwimmen, Aquajogging, auch draußen, z.T. mit Therapierad fahren. Ich hoffe ich hab jetzt nichts vergessen. Aber nochmal, was einer macht ist egal, Hauptsache Spaß dabei.

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, das war's für heute. Ein ganz großes DANKESCHÖN geht natürlich an Dr. Gerald Lehrider von der Dr. Becker Kiliani-Klinik. Der nächste Expertenchat zum Thema Multiple Sklerose ist am 1.12., also heute in 2 Wochen. Allen miteinander wünsche ich einen schönen restlichen Abend !

Redaktion: AMSEL e.V., 17.11.2015