Reha bei Multipler Sklerose

21.04.10 - Rehabilitation ist kein Luxus, sondern eine medizinisch wichtige Säule der MS-Therapie, so PD Dr. Peter Flachenecker im Expertenchat der AMSEL.

Moderator Jutta Hirscher: Guten Abend, Herr Dr. Flachenecker, liebe Chatter. Heute geht es um die Rehabilitation bei MS. Wir freuen uns auf Ihre Fragen. Der Chat ist nun geöffnet.

marlen: Guten Abend, hatte gerade einen Schub, der aber mit Corti fast wieder ganzu zurückgegangen ist. Ist eine Reha trotzdem sinnvoll? Und geht das von der Krankenkasse?

PD Dr. Peter Flachenecker: Guten Abend, liebe Chatter! Zur ersten Frage von Marlen: Eine Rehabilitationsbehandlung ist dann sinnvoll, wenn Funktionseinschränkungen wie eine Gang- oder Gleichgewichtsstörung, aber auch kognitive Störungen oder Schwierigkeiten bei der Krankheitsbewältigung bestehen. Dabei ist es unerheblich, ob diese durch einen akuten Krankheitsschub ausgelöst wurden oder schon länger, z. B. durch einen zurückliegenden Schub oder eine chronische Progredienz bestehen. Wenn gar keine Einschränkungen bestehen, wird der Medizinische Dienst der Krankenkasse, der die Anträge stichprobenhaft prüft, oder die Krankenkasse selbst keine Rehabilitationsbedürftigkeit sehen und dementsprechend den Antrag ablehnen.

 
 
PD Dr. peter flachenecker
 
 
 

seit September 2004 Chefarzt des Rehazentrums Quellenhof in Bad Wildbad

  • Bis dahin als Chefarzt der Abteilung für Neurologie der Bavaria Klinik Bad Kissingen beschäftigt.
  • Der verheiratete dreifache Vater verfügt über einschlägige Erfahrungen in der Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) aus seiner Zeit an der Universität Würzburg.
  • Von 1992 - 2002 in der Neurologischen Universitätsklinik Würzburg tätig, ab 1993 in der MS-Ambulanz und mit mehreren multizentrischen MS-Therapiestudien betraut.
  • Daneben Betreuung eigener Forschungsprojekte.
  • wissenschaftliche Schwerpunkte: autonome Störungen bei MS und deren Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf sowie die erhöhte Erschöpfbarkeit ("Fatigue") bei MS.
  • Habilschrift über das Thema Fatigue.

Gerhard: Sehr geehrter Dr. Flachenecker, meine 1. und bislang einzige Reha war Mai 2009. Meine Erwerbsminderungsrente läuft seit 01.11.09. Damit einhergehend habe ich meinen Job aufgegeben (mit Wiedereinstellungsgarantie). Ich möchte nun gerne meine Bewegung weiter bessern. Wie kann ich die Rehe beantragen ?

PD Dr. Peter Flachenecker: Guten Abend, Gerhard! In Ihrem Fall ist die gesetzliche (oder private) Krankenversicherung zuständig. Für die gesetzliche KV bedeutet dies, dass Sie mit Ihrem Arzt besprechen, dass eine Reha sinnvoll ist. Dann gibt er Ihnen ein einseitiges Formular, mit dem Sie bei Ihrer Krankenkasse das eigentliche Antragsformular (4-seitig) erhalten. Dieses füllt Ihr Arzt aus, sofern er eine entsprechende Qualifikation dafür hat, und schickt es der Krankenkasse. Diese prüft den Antrag, leitet ihn ggf. an dem MDK weiter und genehmigt eine Reha, oder lehnt sie ab. Im Fall der Ablehnung haben Sie ein Widerspruchsrecht, dass Sie unbedingt nutzen sollten. In jedem Fall haben Sie ein gesetzlich verbrieftes Wunsch- und Wahlrecht (§9 SGB IX), d.h. Sie können sich Ihre Rehabilitationsklinik aussuchen. Bei Schwierigkeiten helfen AMSEL, der VdK oder auch die Reha-Kliniken selbst; der Quellenhof z. B. berät immer wieder MS-Betroffene, deren Antrag abgelehnt wurde.

torben: hallo Herr Dr. Flachenecker, habe Sensibilitätsstörungen im linken arm. Gibt es eine Rehamethoode, die dafür besonders geeignet ist? Danke für Ihre antwort.

PD Dr. Peter Flachenecker: Guten Abend, Torben! Sensibilitätsstörungen sind schwieriger zu behandeln als beispielsweise eine Spastik oder eine Gangstörung. In Frage kommen z. B. Stanger- oder Zellenbäder, bei denen ein geringer Strom angelegt wird, oder ergotherapeutische Übungen mit verschiedenen Materialien und Methoden wie z. B. Bürsten, Kneten oder Arbeiten im Rapsfeld.

marlen: Aber es ist ja nicht alles zurückgegangen. Mein Artz meint nur, das wird noch. Ich habe aber Angst, dass etwas zurückbleibt, was man später vielleicht nicht mehr korrigieren kann.

PD Dr. Peter Flachenecker: Dann ist es sicherlich sinnvoll, vor allem, umd die Rückbildung (das ist das, was Ihr Arzt mit "das wird schon") zu beschleunigen.

torben: Danke für Ihre antwort. Aber im Rapsfeld? Wie geht das? Und welchen Sinn hat das?

PD Dr. Peter Flachenecker: Das ist eine Kiste mit Rapssamen, in denen man Hände und Arme bewegt - unsere Patienten berichten von angenehmen und sehr hilfreichen Empfindungen dabei.

shepherd: Hallo Herr Flachenecker, ich habe seit 5 Jahren MS und bin trotz 50%iger Schwerbehindrung weiterhin vollzeit berufstätig. Nun merke ich leider zunehmend, dass ich den Anforderungen meines Arbeitsalltags nicht mehr wie bisher nachkommen kann, besonders macht sich hier die Fatigue bemerkbar. Nun empfiehlt mir mein Arzt eine Reha. Ich hab gehört, dass es innerhalb einer Reha auch Hilfestellungen / Beratungen bezüglich der Berufstätigkeit ( mögliche Weiterbildungen u.ä. ) geben kann. Wenn das so ist, was muß ich dann bei der Beantragung einer Reha beachten ? Vielen Dank für Ihre Antwort, shepherd !

PD Dr. Peter Flachenecker: Hallo shepherd! In Ihrem Fall (berufstätig) ist in der Regel die gesetzliche Rentenversicherung (ehemalige LVA oder BfA) zuständig. Da genügt ein vergleichsweise einfaches Antragsformular, aber das weiß Ihr Arzt. Selbstverständlich nehmen Hilfsmittelberatung und Überprüfung bzw. Beratung bzgl. der beruflichen Leistungsfähigkeit einen hohen Stellenwert bei allen Maßnahmen zu Lasten der Rentenversicherung ein. Bei der Wahl der Klinik sollten Sie darauf achten, eine in der MS-Behandlung erfahrene Klinik auf dem Antragsformular als Wunschklinik anzugeben. Eine gute Orientierungshilfe bieten die von der DMSG anerkannten MS-Zentren, in Baden-Württemberg sind dies das Neurologische Rehabiliationszentrum Quellenhof in Bad Wildbad und die Schmieder-Kliniken in Konstanz.

torben: Was bringt der Rapssamen? Ich verstehe das niht.

PD Dr. Peter Flachenecker: In der Regel wird dabei ein Körperbewußtsein vermittelt und die Wahrnehmung, d. h. die Sensibilität gefördert. Probieren Sie es doch einfach mal aus, das hilft mehr als alle Erklärungen!

marlen: Hallo Herr Flachenecker, soll ich also doch noch einmal mit meinem Neuro sprechen, dass ich in Reha möchte. Auch wenn er denkte, es wird wieder?

PD Dr. Peter Flachenecker: Ja, das würde ich tun. Leider ist es immer noch so, dass viele Ärzte (auch Neurologen) denken, dass Rehabilitation "Luxus" ist, ähnlich einer Kur. Im Gegensatz dazu ist aber Rehabilitation eine medizinisch wichtige Säule der MS-Therapie, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen ist und die mittlerweile auch im Sozialgesetzbuch als Pflichtleistung der Krankenkassen fest verankert ist.

marlen: Danke, das mache ich dann.

PD Dr. Peter Flachenecker: Viel Erfolg!

freddie: Guten Abend, Dr. Flachenecker. Ich merke, dass ich immer vergesslicher werde und leichter müde. Gibt es da Medis?

PD Dr. Peter Flachenecker: Guten Abend, freddie! Mit Ihrer Frage sprechen Sie zwei wichtige Probleme bei der MS an: die Fatigue ("Müdigkeit", besser: erhöhte Erschöpfbarkeit), und kognitive Störungen. Bei der Fatigue helfen Tagesstrukturierung mit häufigen Pausen, körperliche Aktivität und im Einzelfall Medikamente - Wundermittel gibt es da aber leider nicht. Bei kognitiven Störungen wie der "Vergesslichkeit" ist zunächst eine ausführliche neuropsychologische Diagnostik notwendig, abhängig von den Befunden kann dann ein zielgerichtetes Training (in der Regel am Computer) empfohlen werden.

freddie: Wo kann das gemacht werden?

PD Dr. Peter Flachenecker: In der Regel in Rehabilitationseinrichtungen. Ambulant tätige Neuropsychologen sind selten, nicht zuletzt deshalb, weil ambulante Neuropsychologie nicht von den Krankenkassen bezahlt wird. Aber derartige Störungen können durchaus ein Grund für eine Reha-Maßnahme sein.

Andreas: Guten Abend

PD Dr. Peter Flachenecker: Guten Abend!

freddie: Wie geht das dann? spreche ich mit meinem Neuro wegen der Reha und er empfiehlt mir eine ????

PD Dr. Peter Flachenecker: Genau so - Sie sprechen Ihren Neurologen darauf an und bitten ihn, eine Reha zu beantragen. Bei der Wahl der Klinik sollten Sie auf eine mit MS-Erfahrung achten, denn oftmals wird die Fatigue nicht ausreichend berücksichtigt.

Moderator Jutta Hirscher: Guten Abend, Andreas. Sie können sich gerne mit Chattern unterhalten, das ist dann das Feld unter der Anfrage an den Experten "Allgemeiner Beitrag".

fuchse: gibt es auch die möglichkeit meine kinder (2) mit zu nehmen? und wo wäre das möglich? ich habe seid 6 jahren ms und noch nie eine reha beantragt.

PD Dr. Peter Flachenecker: Guten Abend, fuchse! Selbstverständlich besteht die Möglichkeit bei einigen (wenigen) Reha-Kliniken, Kinder mitzubringen. Wir z. B. haben ein spezielles Angebot für MS-kranke Mütter (und natürlich auch Väter), die ihre Kinder tagsüber in der Kinderbetreuung abgeben und sich dann auf ihre Therapien konzentrieren können. Die Kosten dafür werden in der Regel von Krankenkasse oder Rentenversicherung übernommen. Näheres dazu finden Sie auf unserer Homepage www.quellenhof.de

jacki: Was ist eigentlich der Untershied zwischen Kur und Reha? Die einen sagen immer Kur, die anderen immer Reha. Ist das nicht dasselbe?

PD Dr. Peter Flachenecker: Hallo Jacki, danke für die Frage. Tatsächlich ist das NICHT dasselbe - Kur besteht klassischerweise aus passiven Anwendungen (Massagen, Bäder etc.), während Reha "harte" Arbeit bedeutet - bei der Reha geht es darum, die verlorengegangenen Funktionen durch ein zielgerichtetes, oftmals durchaus anstrengendes Training wieder zurückzuholen und die Umorganisationsvorgänge des Gehirns zu unterstützen. Kuren dienen in der Regel der Erholung, während Reha eine medizinisch wichtige Maßnahme darstellt.

Andreas: Kann ich mit Erwerbsminderungsrente noch eine Reha beantragen und wenn ja, wie müßte ich da vorgehen? Ich habe eigentlich nur Probleme mit dem Gleichgewicht und dem gehen.

PD Dr. Peter Flachenecker: Hallo Andreas, diese Ihre Probleme können typischerweise durch eine Reha gebessert werden. Selbstverständlich haben Sie auch als Nicht-Berufstätiger Anspruch auf Reha-Maßnahmen, nur ist dann nicht mehr der Rentenversicherer, sondern die Krankenkasse zuständig. Zuerst sollten Sie Ihren Arzt ansprechen, der einen Antrag (siehe unten) stellen muss.

jacki: Dient die Reha nicht der Erholung?

PD Dr. Peter Flachenecker: Natürlich (und hoffentlich) auch - das ist aber nicht das vorherrschende Ziel. Das besteht im Erhalt (oder der Wiederherstellung) der beruflichen Leistungsfähigkeit, oder aber im Erhalt (oder Wiederherstellung) der Funktionsfähigkeit im Alltag. So steht es zumindest im Sozialgesetzbuch, und dafür bezahlen auch die Kostenträger.

trude: Hallo Herr Flachenecker, wie geht das genau mit der Reha mit Kindern? Sie werden tagsüber betreut, haben Sie geschrieben. Von wann bis wann und wer betreut die Kinder? Und wie alt sind sie?

PD Dr. Peter Flachenecker: Hallo Trude, ich kann jetzt nur für meine Klinik sprechen: die Kinderbetreuung ist von Mo - Frei von 8 - 16 h geöffnet, dabei werden die Kinder von einer (oder zwei, je nach Anzahl der Kinder) Erzieherinnen betreut. Nachts und am Wochenende sind die Kinder bei den Eltern. Das Alter reicht in der Regel von 0 - 6 Jahren, ältere Kinder sind auch möglich, dann aber nur in den Schulferien, da wir keinen Unterricht anbieten können. Erfahrungsgemäß langweilen sich aber Kinder über 6 Jahren.

trude: Danke für die Info. Das hört sich gut an. Was ist aber, wenn es einem mal nicht gut geht, aber die Kinderbetreuungszeit rum ist?

PD Dr. Peter Flachenecker: Gute Frage - aber bisher war das kein wirkliches Problem, und wir haben ständig zwischen zwei und fünf Kinder im Haus, die dann auch miteinander spielen. Meistens finden sich die Mütter (oder Väter) zusammen mit anderen Patienten und unterstützen sich gegenseitig.

marlen: Wie oft kann man überhaut in Reha?

PD Dr. Peter Flachenecker: Das ist eine gute Frage. Im Sozialgesetzbuch (§ 40 SGB V) ist festgelegt, dass eine Wiederholung der Reha erst nach 4 Jahren wieder möglich ist. Im Nachsatz steht aber auch, dass diese Frist nicht gilt, wenn die medizinische Notwendigkeit für eine vorzeitige Wiederholung besteht. In der Regel ist die jährliche Wiederholung sinnvoll, weil wissenschaftliche Studien belegt haben, dass der Effekt der Reha etwa 6 - 9 Monate anhält. Im Einzelfall kann aber - z. B. bei einer rasch progredienten Verschlechterung oder bei Krankheitsschüben - eine Reha bereits nach 3 - 6 Monaten sinnvoll sein.


Allgemein - Andreas: Ich verabschiede mich wieder und wünsche allen noch einen schönen Abend tschüss



Allgemein - Andreas: Ich verabschiede mich wieder und wünsche allen noch einen schönen Abend tschüss


Moderator Jutta Hirscher: Tschüs Andreas, ebenfalls noch einen schönen Abend. Und bis vielleicht am 4. Mai zum nächsten Chat.

marlen: Kennen Sie Fälle, die jedes Jahr eine Reha bekommen? Und wie funktioniert das?

PD Dr. Peter Flachenecker: Wir haben viele Patienten, die einmal pro Jahr zu uns in die Reha kommen, sowohl über die Rentenversicherung (da ist es in der Regel leichter), aber auch über die gesetzliche Krankenversicherung. Es wird zwar immer schwieriger, aber wenn Ihr Arzt die medizinische Notwendigkeit gut begründet und anführt, dass die ambulanten Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft sind, sollte die Reha genehmigt werden. Oftmals ist aber ein Widerspruch bei der Krankenkasse, manchmal auch mehrere mit der Androhung, Klage vor dem Sozialgericht zu erheben, notwendig.

helen: Guten Abend, Dr. Flachenecker, kann man etwas aus der Reha auch zu Hause weitermachen?

PD Dr. Peter Flachenecker: Hallo Helen, das kann man nicht nur, sondern das sollte man unbedingt tun. Wichtig für den langfristigen Erfolg einer Reha ist nämlich die Fortführung z. B. von Krankengymnastik zuhause, aber auch regelmäßige Eigenübungen, die man in der Reha lernt.

chris: Hallo Dr. Flacheneckker, wie lange sollte eine Reha denn mindestens dauern?

PD Dr. Peter Flachenecker: Hallo Chris, in der Regel dauert eine Reha-Maßnahme 4 - 6 Wochen. Von den Krankenkassen werden meistens drei Wochen genehmigt, in der Regel ist aber eine Verlängerung sinnvoll.

chris: Geht eine Verlängerung denn ohne weiteres?

PD Dr. Peter Flachenecker: Bei der Verlängerung gilt dasselbe wie bei der Antragstellung - wenn sie medizinisch notwendig ist und dies gut begründet ist, wird sie genehmigt, wenn nicht, wird sie abgelehnt.

Moderator Jutta Hirscher: Liebe Chatter, danke für Ihre Fragen, und Ihnen, lieber Dr. Flachenecker, herzlichen Dank für Ihren Einsatz. Der Chat wird jetzt geschlossen. Ich wünsche allen noch einen schönen Abend. Und vielleicht sind Sie am 4. Mai bei unserem nächsten Chat ja wieder dabei. Dann geht es um "Fatigue und MS".


Allgemein - chris: Tschüss und Danke.


Redaktion: AMSEL e.V., 21.04.2010