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Multiple Sklerose: Symptome behandeln, mit und ohne Medikamente

Propionsäure am besten mit Wasser zu einer Mahlzeit einnehmen, um Übelkeit zu vermeiden - so einer der vielen Tipps von Prof. Henze im Multiple Sklerose-Chat.

Patricia Fleischmann: Liebe AMSEL-Chatterinnen und -Chatter, herzlich willkommen zum ersten MS-Chat im Neuen Jahr! Ab 19 Uhr können Sie hier Ihre Fragen posten und Prof. Henze antwortet rund um die Behandlung von MS-Symptomen.

Prof. Thomas Henze: Guten Abend allerseits auch von meiner Seite. Ich bin schon gespannt auf Ihre Fragen

Andy: Hallo,
ich habe die Kesimpta Therapie seit Nov23 begonnen.
Seit 2 Tagen habe ich Doppelbilder beim Sehen, Schwindel, und Schwäche wie selten.
Ich habe Morgens 20 mg Cortison eingenommen und eine deutliche Verbesserung verspürt.
Die Nebenwirkungen von Cortison kenne ich und den Einfluss auf das Immunsystem auch.
Wenn aber sonst nichts hilft muss ich irgendwie medikamentös gegensteuern.
Was sagen Sie?
MFG
Prof. Thomas Henze: Hallo Andy, so wie Sie es schildern würde ich am ehesten - trotz Kesimpta - einen Schub als Ursache annehmen und rate Ihnen daher, sich bei Ihrem Neurologen vorzustellen um das weitere Vorgehen zu besprechen. Cortison ist dann natürlich eine wichtige Option.

Babsi: Meine Fragen:

  1. Propionsäure
    Ich nehme seit etwa einem jahr zweimal täglich Propionsäure.
    Gibt es zu der Wirksamkeit neue Erkenntnisse?
    Sollte man mal eine Pause machen?
  2. Weihrauch
    gibt es dazu eine Empfehlung zu Dosis, Einnahme?
  3. Copaxone
    MS wurde vor drei Jahren diagnostiziert.
    Ich bin 62 Jahre alt.
    Seit drei Jahren spritze ich mir Copaxone.
    Ist das Mittel in meinem Altern noch wirksam?
    Es gab bisher keinen neuen Schub , aber immer wieder Missempfindungen und andere `Erscheinungen´. Die Knie sind etwas wackliger geworden.
    Gibt es neue Erkenntnisse, Therapien zu der spät einsetzenden, schleichenden MS?
  4. Kommt die Depression von der MS oder der dauernden Auseinandersetzung mit Schmerz und Dahinschwinden?

Vielen Dank für alle Antworten schon im Voraus.
Prof. Thomas Henze: Guten Abend Babsi, zu Propionsäure gibt es gegenwärtig keine wesentlich neuen Erkenntnisse. Derzeit laufen meines Wissens allerdings noch weitere Studien. Es ist nach gegenwärtigem Kenntnisstand eine gute Nahrungsergänzung, kann aber kein Medikament der Immuntherapie ersetzen. Hinweise auf eine Sinnhaftigkeit von Einnahmepausen gibt es wohl nicht. Ich würde es daher einfach weiter nehmen.
Zu Weihrauch kann ich Ihnen leider nichts Grundlegendes sagen; es ist jedenfalls bislang wohl keine wissenschaftlich anerkannte Therapie und ist auch in den neuen Behandlungsleitlinien der Dt. Gesellschaft für Neurologie zur MS nicht enthalten.
zum Copaxone: Ja , allgemein kann es auch in Ihrem Alter durchaus gut wirksam sein. Ihre immer wieder auftretenden Missempfindungen und die Knieschwäche könnten aber auch kleine Schübe sein. Gibt es denn auch aktuelle MRTs bei Ihnen, in denen neue Herde mit Auftreten nach Beginn der Copaxone-Therapie ausgeschlossen wurden? Wenn neue Herde aus den letzten 1 bis 2 Jahren vorhanden sind, könnte es sein, dass Copaxone tatsächlih nicht mehr wirkt, so dass es dann gegen ein stärker wirkendes Immunmedikament ausgewechselt werden sollte. Sprechen Sie darüber unbedingt mit Ihrem Neurologen.
die Depression kann sowohl von der MS als auch Ihrer Auseinandersetzung mit der MS herrühren. Sinnvoll wäre es jedenfalls (wenn Sie das noch nicht tun) eine Gesprächstherapie zu beginnen. Adressen erhalten Sie sicher auch bei Ihrem DMSG-Landesverband/ AMSEL.

Svenja: Hallo Herr Professor Henze,
seit ca.6 Wochen habe ich einen Tinnitus rechts. Laut HNO macht man da nichts, der Neurologe hat es zur Kenntnis genommen. Der HNO hat lediglich in das Ohr geschaut und abgesaugt. Es ist ein hohes Dauerpiepen und ich höre auf der Seite etwas dumpfer. Kann die MS ursächlich sein und besteht da wirklich keine Behandlungsmöglichkeit? Ich erhalte einen T-Zell Antikörper.
Vielen Dank!
Svenja
Prof. Thomas Henze: Guten Abend Svenja, bei einem Tinnitus sind die Möglichkeiten tatsächlich ziemlich begrenzt. Ich habe aber bei mehreren Patienten den Tinnitus auch im Rahmen von Schüben berichtet bekommen. Ich würde daher empfehlen, dass Sie darüber mit Ihrem Neurologen noch mal sprechen. Wahrscheinlich würde ich Ihnen - auch wenn schon 6 Wochen vergangen sind - eine Infusionstherapie mit Cortison anbieten, da es sich ja, wie Sie schreiben, um ein ziemlich störendes Symptom handelt. HNO-Ärzte behandeln ihre Tinnitus-Patienten übrigens auch häufiger mit Cortison.

Ilse: Huch: danke im Voraus hatte ich vergessen ☺️

S.M.: Hallo, ich bin von tizanidin auf baclofen umgestellt worden vertrage es nicht so gut, die Schwäche ist dadurch stärker geworden, reduziere das Baclofen gerade um das Ganze mit Krankengymnastik aufzufangen und ggf. wieder mit tizanidin zu beginnen. Gibt es alternativ zu den beiden etwas anderes was mir die Kraft nicht nimmt.
Gruß
S.M.
Prof. Thomas Henze: Guten Abend S.M., die Muskelschwäche ist bei Baclofen nicht ganz selten, vor allem bei höherer Dosierung gleich zu Beginn. Üblicherweise beginnt man mit 5 mg 1 bis 2mal pro Tag und steigert dann langsam, je nach Wirkung und auftretenden Nebenwirkungen. Baclofen sollte also immer "eingeschlichen" werden. Warum war denn der Wechsel von Tizanidin auf Baclofen erforderlich. Manchmal ist es nützlich beide Medikamente gemeinsam, dann aber zumeist in niedrigerer Dosis zu nehmen.
Eine weitere Möglichkeit ist das Sativex, das ist genau für solche Fälle ein gutes Medikament. Sativex enthält 2 Cannabinoide, die Ihr Neurologe Ihnen problemlos als Spray verordnen kann. Das führt praktisch nie zu Muskelschwäche und hat, bei ebenfalls langsamer Aufdosierung, meist auch keine Nebenwirkungen.
die Physiotherapie sollte aber immer an erster Stelle der Therapie stehen, führen Sie diese also unbedingt fort.

Lisa: Hallo Hr. Prof. Henze, seit einem Jahr habe ich ein Mißempfinden im linken Oberschenkel, wenn ich die Hose runterziehe. Seit 1 Woche tut mir der hintere Oberschenkel weh, wenn ich mich setzen möchte oder mich vorbeuge. Es tut so weh als wenn ich den Oberschenkel zu sehr dehne, auch wenn ich Huste. Gehört das auch zur Mißempfinden? Sollte ich Schmerzmittel nehmen und wenn was? Ist das ein Schub?
Prof. Thomas Henze: Guten Abend Lisa, bei den Symptomen, die Sie beschreiben (Gefühlsstörungen + Schmerzen linker Oberschenkel und Verstärkung bei der Vorbeugung und beim Husten) wird der Neurologe immer an eine sog. Meralgia parästhetica denken. Diese Erkrankung wird durch die Kompression eines Nerven, der vor allem die Außenseite des Oberschenkels versorgt, hervorgerufen und hat üblicherweise mit der MS nicht viel zu tun. Das müßte Ihr Neurologe untersuchen, er kann Ihnen dann sicher auch Behandlungsmöglichkeiten nennen, wenn sich die Meralgia bestätigt. Einen Schub würde ich nicht an erster Stelle vermuten, das wäre ungewöhnlich und dauert bei Ihnen dann ja schon 1 Jahr, mit jetzt nochmaliger Symptomzunahme.

Ilse: Hallo, Prof Henze. Hier meine Fragen: Wie kann ich überhaupt erkennen, ob eine depressive Episode von der MS oder z. B. durch die Wechseljahre entstanden ist? Und wie behandele ich diese am besten? 
Bei Wechseljahre könnte eine Östrogengabe helfen? Das wiederum soll ja auch generell gut für (weibliche) ältere MS Erkrankte sein, da ein sinkender Östrogenspiegel auch eine Verschlechterung der MS bedeuten kann...(s. Vortrag von Prof. Antonios Bayas am 21.12.23 amsel.de)
Prof. Thomas Henze: Hallo Ilse, das können Sie wahrscheinlich nur in Zusammenarbeit bzw. mit Unterstützung einer Psychologin herausfinden. Beide Ursachen sind sicherlich möglich. Bezüglich des Östrogens kann Ihnen sicher auch Ihre Gynäkologin weiterhelfen. Diesbezüglich kenne ich die gegenwärtigen Regeln zur Östrogengabe nicht.
wenn eine Östrogenbehandlung bei Ihnen nicht in Betracht kommen sollte, empfehle ich Ihnen eine Gesprächstherapie oder vorher auch ein Gespräch mit den Mitarbeiterinnen Ihres DMSG-Landesverbandes.

S.M.: Ich habe zu meiner Frage noch eine Ergänzung, Sativex hat nichts gebracht, werde 1x jährlich mit Rituximab behandelt.
Danke
Prof. Thomas Henze: hallo S.M., ja, leider wirkt Sativex nicht immer. Dann wäre - neben regelmäßiger KG - die Kombination von jeweils niedrigen Dosierungen von Tizanidin und Baclofen vielleicht hilfreich. Vor allem bei plötzlich einschießender und vielleicht noch schmerzhafter Spastik hilft manchmal auch Gabapentin, das wirkt nicht negativ auf die Muskelkraft, sollte aber auch langsam gesteigert werden. Ihr Neurologe wird dieses Medikament kennen.

Lisa: Was für Untersuchungen macht dann der Neurologe?
Prof. Thomas Henze: Hallo Lisa, der Neurologe wird dann den Bereich bzw. Lage und Umfang der Gefühlsstörungen genau untersuchen und Sie vielleicht auch zu einem Chirurgen überweisen, der dann feststellen soll, ob der besagte Nerv im Leistenbereich wirklich gedrückt wird. Je nach Befund wird er Ihnen zu verschiedenen Verhaltensänderungen raten (z.B. wenig sitzen, bestimmte Bewegungen vermeiden), einen Versuch mit Cortison-Infiltrationen am Leistenband machen oder per Operation mehr Platz für den Nerven schaffen.

Jenny: Hallo Prof. Henze, wird Propionsäure mit Milchprodukten vertragen? Gibt es da Erfahrungen? Mir wurde so furchtbar übel.
Prof. Thomas Henze: Hallo Jenny, die Übelkeit ist bei einigen Patienten die Propionat einnehmen, tatsächlich ein Problem. Nehmen Sie es am besten mit Wasser zu den jeweiligen Mahlzeiten ein.

Jenny: Vielen Dank.
Prof. Thomas Henze: Sehr gerne geschehen!

Patricia Fleischmann: @alle: AMSEL e.V. bietet übrigens die Plattform "MS behandeln" online an. Darin ein großes Kapitel zur symptomatischen Therapie, aufgelistet nach 15 häufigen MS-Symptomen. Sicherlich eine gute Grundlage, um sich zum Beispiel vor einem Arztbesuch einen Überblick zu verschaffen

www.amsel.de/multiple-sklerose/behandeln/die-symptomatische-therapie-der-ms/ 👀

Patricia Fleischmann: @alle: In einer Viertelstunde schließt der Chat - gute Gelegenheit, jetzt noch eine Frage zu stellen 😀

S.M.: Hallo, ich nehme seit 3 Monaten Propionsäure, habe jetzt auf 1 Tablette pro Tag reduziert. Ich habe das Gefühl es verursacht Verstopfung. Hat noch jemand diese Erfahrung? Dazu steht nichts bei den Nebenwirkungen. Gruß S.M.
Prof. Thomas Henze: hallo S.M. , mir ist eine Verstopfung als Nebenwirkung nicht berichtet worden, so dass ich dazu nichts sagen kann. Auch aus medizinischen Quellen kenne ich diese Nebenwirkung nicht. Die Neurologischen Uni-Kliniken in Bochum (Prof. Gold) und Regensburg (Prof. Linker) beschäftigen sich übrigens intensiv mit Propionat. Vielleicht können Sie dort weitere Informationen bekommen.

S.M.: Vielen Dank für Ihre Antworten wünsche allen einen schönen Abend S.M.
Prof. Thomas Henze: Sehr gerne geschehen.

Jonna: Guten Abend Herr Professor,
ich habe im September von Gylenya auf Kesimpta gewechselt. Kurz darauf habe ich eine sehr starke Urticaria (Nesselsucht) entwickelt, die bis heute anhält. Ich nehme seitdem 2x Fexofenadin und bei Bedarf zusätzlich Cortisonsalbe. Mein Neurologe sieht darin eine Nebenwirkung von Kesimpta (er hatte mehrere solche Fälle bei seinen Patienten) und rät mir zur Umstellung auf Ocrevus.
Macht das aus Ihrer Sicht Sinn auf quasi das gleiche Medikament in anderer Verabreichung zu wechseln? Könnte da die Urticaria nicht wiederkommen?
Vielen Dank für Ihre Einschätzung.
Prof. Thomas Henze: Guten Abend Jonna, die Umstellung von Kesimpta auf Ocrevus kann durchaus sinnvoll sein, da ja nicht nur die dort enthaltenen Antikörper unterschiedlich sind (Ofatumumab, Ocrelizumab), sondern sicherlich auch - schon wegen der unterschiedlichen Art der Anwendung (subkutan, intravenös) - die unterschiedlichen Begleitstoffe, die in den beiden Medikamenten enthalten sein dürften. Dass beide Antikörper den gleichen immunologischen Effekt auf das CD-20-Antigen haben, bedeutet jedenfalls nicht, dass sie auch beide den gleichen allergie-auslösenden Effekt haben müssen. Der Rat Ihres Neurologen ist aus meiner Sicht daher sinnvoll.

Jonna: Ich habe nun noch eine Frage:
Ich leide sehr unter einer hyperaktiven Blase. Häufig muss ich mehrmals hintereinander alle 10 bis 15 min. zur Toilette, es entleert sich auch viel Urin. Mein Neurologe "ignoriert" meine Fragen dazu, er hat mir 1x Spasmex verordnet. Von meiner Gynäkologin weiß ich, dass es viel modernere Medikamente gibt mit viel geringeren Nebenwirkungen. Ich verzweifle langsam, da ich deswegen kaum noch raus kann. Kann ich mich da an einen Nephrologen wenden?
Vielen Dank.
Prof. Thomas Henze: Hallo Jonna, das ist leider ein häufiges Problem bei MS. Ein Nephrologe ist da aber meist nicht hilfreich. Sie sollten einen Urologen aufsuchen, der sich mit diesen Problemen auskennt, am besten jemanden mit neuro-urologischer Vorbildung. Es gibt jedenfalls recht viele Möglichkeiten, die überaktive Blase zu behandeln.

Patricia Fleischmann: Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer, haben Sie vielen Dank für Ihre interessanten Fragen 👋 Ein besonders herzliches DANKE geht an Prof. Thomas Henze für sein Engagement als Experte heute Abend im Multiple Sklerose-Chat der AMSEL!
Der nächste Expertenchat – wie immer im Rahmen des AMSEL-Dienstags – findet am 20. Februar 2024 statt.
Ihnen allen einen schönen restlichen Abend.

Redaktion: AMSEL e.V., 16.01.2024