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MS und Familie, wie gehe ich mit dieser Problematik um?

Ein Expertenchat mit Martin Nobs zum Thema 'MS und Familie, wie geht man mit der Krankheit um?' am 18.11.2003.

Moderator Anja Köhler: Hallo und herzlich willkommen an diesem Abend zum ExpertenChat mit dem heutigen Experten Martin Nobs von der Schweizerischen MS-Gesellschaft. Herr Nobs wir heißen Sie ebenfalls herzlich willkommen! Und nun zu Ihren Fragen! Wir sind bereit.

Markus: Bei mir ist noch keine eindeutige Diagnose, deshalb ist es innerhalb der Familie für mich sehr schwer, offen über meine Probleme zu sprechen.

Martin Nobs: Obwohl Sie keine eindeutige Diagnose haben, haben Sie aber Symptome und Beschwerden. Sprechen Sie mit Ihrer Familie darüber. Beschreiben Sie, was Sie erleben im Alltag und wo Sie durch die Probleme Einschränkungen erleben. Dies ist sicherlich beser als schweigen. Dies braucht Ueberwindung. Die Diagnose macht aber das Darübersprechen auch nicht leichter! Ist das eine Antwort auf Ihre Frage?

Frank: Guten Abend! Ich habe eine vierjährige Tochter. Ich bin Rollifahrer, aber sonst weiter nicht beeinträchtigt. Meine Tochter erlebt mich also als behindert, aber nicht "krank". Sie hört zwar das Wort MS bei uns, aber das hat weiter keine Bedeutung. Jetzt mache ich mir Gedanken, wie sie wohl reagiert, wenn sie die häufig entsetzt-mitleidigen Reaktionen der Umwelt auf den Begriff MS hört. Wie soll ich darüber im Vorfeld mit ihr sprechen?

Martin Nobs: Lieber Frank, es ist schwierig, Ihre Tochter vor den Unachtsamkeitten anderer Menschen zu schützen. Sie wird diesen Reaktionen immer wieder begegnen. Damit Ihre Tochter dies gut verarbeiten kann, ist es für sie von zentraler Bedeutung, dass sie mit Ihnen bei Bedarf immer über MS sprechen darf. Begegnen Sie ihr offen, beantworten Sie ihre Fragen auf kindgerechte Art. Ihre offene und herzliche Beziehung zu Ihrem Kind wird massgeblich dazu beitragen, dass Ihre Tochter sich in einer Welt voller Unachtsamkeit gut zurechfinden wird.

Markus: Ich habe bisher viel gearbeitet, seit August bin ich nun Zuhause. Ich bin Vater von 3 Kkindern. Manchmal ist es nicht ganz so einfach, mit der Situation klar zu kommen.Dann merke ich selbst, dass ich leicht reizbar bin, dies geht oft zu Lasten der Familie. Wie könnte ich dem etwas entgegenwirken?

Martin Nobs: Lieber Markus, wenn man unfreiwillig aus dem Berufsleben ausscheiden muss, kann dies (besonders für Männer) ein Schock sein. All die damit verbundenen schwierigen Gefühle führen dann zu Ueberforderung - das kriegt die Familie dann zu spühren. Neben der eigentlichen innerlichen, seelischen Krankheitsbewältigung ( Wer bin ich? Bin ich noch wertvoll? warum? usw.) muss der Betroffene wieder einen neuen Alltagsrhytmus finden. Wichtig ist hier ein klar strukturierter Tagesablauf. Besprechen Sie mit Ihrer Frau, wie Sie sich den Alltag strukturieren können. Sie sollten jeden Abend das Gefühl haben, etwas gutes, kreatives, sinnvolles getan zu haben. Versuchen Sie, gezielt mit Ihren Kindern Zeit zu verbringen - so erleben sie ihren Vater entspannt und zufrieden. Sprechen Sie mit Ihrer Familie darüber, wenn Sie gereizt waren - und versuchen Sie Vorfälle zu bereinigen. So staut sich nichts an.

Frettchen: Guten Abend beisammen. Meine Partnerin ist seit einigen Jahren an MS erkrankt. Obwohl schon mehrfach auf die negativen Auswirkungen hingewiesen wurde, werden im Familien- und Freundeskreis immer wieder Streßsituationen erzeugt. Hilft da nur noch die Holzhammermethode oder gibt es ausser ge- und erdulden noch andere Möglichkeiten? Die Standardbemerkung "stell dich doch nicht so an" zeugt aus meiner Sicht schon von erheblichem Unverständnis.

Martin Nobs: Liebes Frettchen, schwierige Frage! Wenn die Leute doch nur mehr Verständnis zeigen würden! Hier nützt nur noch das Sprichwort: Steter Tropfen höhlt den Stein. Das heisst: Immer wieder auf die Symptome von MS hinweisen (auch auf die Müdigkeit!) und sich den Freiraum schaffen, der einem gut tut. All dies mit einer gehörigen Portion Gelassenheit!

Frank: Ab welchem Alter würden Sie ein Kind über MS als Ursache von Behinderung "aufklären"?

Martin Nobs: Jedes Kind ist hier natürlich unterschiedlich. Ich denke aber, dass Kinder schon im Alter von vier-fünf Jahren gut begreifen können, dass eine Behinderung durch eine Krankheit kommt - sie sind sich vielleicht nicht der Endgültigkeit einer Erkrankung bewusst, können aber begreifen, dass etwas kaputt ist z.B an den Beinen. Wichtig sind aber sehr einfache, anschauliche Worte. Im Schulalter können sie dann doch schon sehr viel begreifen. Für dieses Alter gibt es dann auch Comics und Bücher, die über Krankheit (auch über MS) sprechen.

Carmen: Gruezi Herr Nobs oder Guten Abend! Ich habe einen zweieinhalbjährigen Sohn, wo ich jetzt leider nicht weiß, wie ich ihn mit meiner Krankheit erziehen soll. Folgendes: ich habe seit sieben Jahren MS und habe bis jetzt keine Einschränkungen. Außer an den Schüben. Den letzten hatte ich vor ca. zwei Monaten und da war es so, dass mein Sohn gemerkt hat, dass es mir schlecht ging und öfters angefangen hat zu weinen. Er sagte dann auch "Mama hat aua." Ich spüre, dass er es merkt, dass was nicht in Ordnung ist.

Martin Nobs: Liebe Carmen, Sei sagen es richtig: Kinder spüren, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wichtig ist, dass Eltern diese Gefühle beim Kind ansprechen und ernst nehmen (Mama ja, aua). Sie lernen so auf einfache Weise mit einer Realität zu leben. Nicht diese Realität einer MS in der Familie ist die grosse Schwierigkeit für die Kinder, sondern die tabuisierte und unterdrückte Realität! Kinder sind robuster als wir denken und können einiges verkraften - dies aber vor allem in einer offenen, herzlichen und liebevollen Umgebung. Das ist mit MS in der Familie sehr gut möglich!

Markus: Dies werde ich auf jeden Fall versuchen umzusetzen. Vielen Dank

Martin Nobs: Ich wünsche Ihnen viel Mut und Kraft!

Carmen: Dann denke ich, das ich es schon so richtig mache wie bisher. Vielen Dank.

Martin Nobs: Sie machen das sicher richtig! Alles Gute und viel Freude mit Ihrem Sohn!

Moderator Anja Köhler: Ein kurzer Hinweis: Im nächsten AMSEL ExpertenChat am 02. Dezember 03 dreht sich alles um das Thema Impfen! Wir freuen uns jetzt schon über Ihr Kommen!

Frettchen: Sie haben von kindgerechter Literatur gesprochen. Gibt es hierzu Vorschläge von Expertenseite?

Martin Nobs: Die DMSG hat ein Comic, "Myelin geht mir auf den Nerv". Dies empfiehlt sich ab dem Schulalter (Lesealter). Ein anders Heftchen heisst "Jemand, den du kennst hat MS". Beide können sicher bei AMSEL bezogen werden. Für andere Literatur rund um Erkrankungen lohnt sich ein Blick in eine Buchhandlung. Die Auswahl ist recht gross.

Moderator Anja Köhler: Gerne können Sie diese Literatur bei AMSEL unter anja.koehler@amsel-dmsg.de beziehen!

Barbara: Wir sind eine 5-köpfige Familie und ich weiss seit 3 Jahren, dass ich MS habe. Die Kinder (3, 5 und 6) wissen von den Krankheit noch nichts. Ich finde es sehr schwierig, eine Krankheit zu beschreiben, die im Moment nur für mich fühlbar ist. Wie kann ich ihnen meine Beschwerden erklären?

Martin Nobs: Liebe Barbara, in der Schweiz führen wir Familienfreizeiten durch. Dort lassen wir die nicht-Betroffenen Familienmitglieder jeweils einen Myelinparcours absolvieren : Uebungen zu Gleichgewicht, Brillen, die Sehstörungen vortäuschen, mit dicken Handschuhen essen (Gefühlsstörungen) usw. Es ist jeweils erstaunlich, wie Kinder und auch die Partner die Symptome "begreifen". Vielleicht lassen Sie Ihre Familie auch mal erleben, was sie fühlen!

Barbara: Wäre ich da an der Josefstrasse (ZH) für weitere Infos an der richtigen Adresse?

Martin Nobs: Sie können sich gerne direkt an mich wenden: mnobs@multiplesklerose.ch. Nächstes Jahr gibt es wieder eine Familienferienwoche (Twannberg). Es hat noch Plätze......

Carmen: Gibt es diese Familienfreizeiten hier auch?

Martin Nobs: Da bin ich mir nicht sicher. Frau Köhler?

Moderator Anja Köhler: Familienfreizeiten wie in der Schweiz gibt es bei der AMSEL leider nicht. Ich werde mich umhören, eventuell bieten andere Landesverbände Ähnliches an?

Moderator Anja Köhler: Wir danken allen TeilnehmerInnen des heutigen Abends für Ihre Beiträge und freuen uns auf das nächste Chattreffen am 02. Dezember zum Thema Impfen mit Frau Prof. Frauke Zipp! Einen schönen Abend allen!

Moderator Anja Köhler: Der Chat wird nun geschlossen!

Frettchen: So was würde ich für sehr sinnvoll halten. Ich denke, das ist für alle Beteiligten sehr lehrreich.

Martin Nobs: Wir machen damit sehr gute Erfahrungen! Alles Gute Ihnen allen und herzlichen Dank für Ihre Fragen.

Redaktion: AMSEL e.V., 19.11.2003