Spenden und Helfen

Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen!

So lautete einer der Ratschläge im ExpertenChat mit Jürgen Heller vom 17.02.04. Lesen Sie das vollständige Protokoll mit vielen brennenden Fragen zum Thema 'MS und Beruf!'

Moderator Anja Köhler: Ihnen allen einen guten Abend und herzlich willkommen im AMSEL Expertenchat. Gespannt erwarten wir Ihre Fragen!

Uta: Was mache ich, wenn mich meine Firma unter Druck setzt, was meine Krankheitstage betrifft (obwohl diese nicht sonderlich hoch sind - im letzten Jahr zwei Wochen) ?

Jürgen Heller: Hallo Ulla, 2 Wochen Krankheitstage sind wirklich kein Grund, um Druck zu machen oder sich unter Druck setzen zu lassen. Es kann vermutet werden, dass andere Gründe dahinter stehen. Wie schaut denn dieser Druck aus? Ist Ihre MS-Erkrankung im Betrieb bekannt?

Uta: Noch was zur Erklärung - ich arbeite bei einer "Leihfirma" - wir werden in externen Firmen eingesetzt. Falle ich aus - verliert meine Firma Geld.

Jürgen Heller: Trotzdem sind 2 Wochen Krankheit kein Grund, um Druck auf Sie auszuüben. Gibt es einen Betriebsrat oder eine Schwerbehindertenvertretung, an die Sie sich wenden können?

Uta: Die kann man in der Pfeife rauchen - zumal man noch mehr Druck bekommt -wenn es nicht "über IHN" läuft.

Uta: Beispiel - im Dez hatte ich 1 Woche Urlaub - und schon vorher Grippe - sprich ich musste noch drei Tage dranhängen - weil ich immer noch hoch Fieber hatte - was bei der MS nicht so dolle ist. Nach zwei Tagen rief die Firma an - ob ich am Donnerstag wieder kommen würde .

Uta: Ja, aber ich bekomme halt immer zu hören, "diese vielen Fehltage" - da müssen wir mal drüber reden - ich wäre eine Belastung für die Kollegen usw usw.

Jürgen Heller: Ich halte das für Schikane. Es gibt nichts zu reden. Zumindest nicht wegen der Fehltage. Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen. Falls es nicht aufhört, holen Sie sich Unterstützung von außen. Z.B. Gewerkschaft oder Integrationsfachdienst.

Uta: Was ist ein Integrationsfachdienst?

Jürgen Heller: Also Sie formulieren Ihre Fragen schneller als ich tippen kann. Sorry wenn ich etwas Zeit brauche. Integrationsfachdienste sind öffentliche Einrichtungen, die Schwerbehinderten Hilfe, Beratung und Begleitung im Berufsleben anbieten. Bei Bedarf kann ich Ihnen gerne Adressen vermitteln.

Uta: Sorry aber ich arbeite den ganzen Tag am Computer und bin deshalb wahrscheinlich schneller :-) - die Adresse wäre nicht schlecht - für alle Fälle.

Uta: Ich habe halt Angst, dass unser "Verhältnis" noch schlimmer wird - wenn ich nicht "spure"

Jürgen Heller: Das ist dann ein typisches Verhalten eines Mobbing-Opfers. Sie begeben sich in die Opfer-Rolle, bis man schließlich mit Ihnen machen kann, was man will. Wenn Sie sich nicht wehren, wird es immer weiter gehen und die Ansprüche und Forderungen werden immer unverschämter werden.

Uta: Teufelskreis - hm? Aber es machen komischerweise alle - in unserer Firma.

Jürgen Heller: Um so schlimmer, wenn es alle machen. Sie müssen sich, vielleicht auch gemeinsam durchsetzen. Vielleicht auch an den oberen Chef wenden. Sonst nimmt das ganze kein Ende.

Uta: Tja da werden sie schon recht haben, aber da muss mich noch ganz schön überwinden - und Mut fassen.

Uta: DANKE.

Moderator Anja Köhler: Okay jetzt zu Eva!

Eva: Hallo guten Abend ich bin Zustellerin bei der Post und habe seit 2 Jahren meine Diagnose. Es fällt mir zunehmend schwer. Soll ich meine Stelle aufgeben. Ist eine Umschulung sinnvoll?.

Jürgen Heller: Hallo Eva, ich würde auf keinen Fall die Stelle aufgeben. Es ist immer sehr schwer, eine neue Stelle zu finden. Die Post ist ein so großer Arbeitgeber, dass es betriebsintern möglich sein sollte, Sie an einen geeigneten Platz umzusetzen. Bei der Post gibt es mit Sicherheit Schwerbehindertenbeauftragte, an die Sie sich wenden können und das Problem besprechen können.

Eva: Kann ich nach einer internen Umschulung fragen - macht das Sinn?

Jürgen Heller: Ich denke schon, wenn Sie Ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben können und für Sie mit Ihrer jetzigen Qualifikation kein geeigneter Arbeitsplatz gefunden werden kann, dann macht eine Umschulung oder Weiterqualifizierung Sinn. Am besten intern, wenn es solche Angebote gibt.

Uta: Darf ich noch eine Frage stellen ?

Jürgen Heller: Aber klar!

Eva: Wenn es keine internen Möglichkeiten gibt,gibt es Möglichkeiten über das Arbeitsamt oder BfA ?

Jürgen Heller: Grundsätzlich ja. Aber es ist immer Voraussetzung, dass Sie Ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben können. Dennoch würde ich eine interne Lösung bevorzugen, da hier einfach die Chancen größer sind, hinterher eine geeignete Stelle zu bekommen. Übrigens gibt es bei der Post sicherlich auch Betriebssozialarbeiter, an die Sie sich wenden können und die natürlich über die betriebsinternen Möglichkeiten Bescheid wissen. Natürlich unterliegen auch die der Schweigepflicht.

Eva: Danke für die Informationen.

Uta: Problem ist - dass ich so nie über die 6-Monatsfrist komme, um dann in die Lohnfortzahlung zu kommen und die KK zahlt erst ab dem zweiten Tag.

Jürgen Heller: Sind Sie noch in der Einarbeitungszeit?

Uta: Der erste Teil der Frage scheint weg zu sein. Nein ich arbeite schon lange bei der Firma - und bis die Sticheleien des Abtl. losgingen, war es auch OK so - mit dem einfach vorher sagen, dass man am nachsten Tag die Infussion bekommt - und dann halt einen Zettel ausfüllen. Fertig.

Jürgen Heller: So ganz verstehe ich Ihre Frage mit der 6-Monatsfrist nicht. Können Sie das nochmals etwas erläutern?

Uta: .. und bei 1 Tag zahlt die KK nichts - erst am dem 2.ten Tag gibt es Krankengeld. Jetzt bekomme ich halt monatlich einen Tag abgezogen.

NoName: Ich habe mich als Schwerbehinderter gerade zweimal beworben (öffentlicher Dienst) und bin unstrittig qualifiziert. Trotzdem wurde ich nicht mal eingeladen, obwohl es da eine klare gesetzliche Vorschrift gibt. Jetzt habe ich von einem Anwalt gehört, dass diese Bestimmung „Schwerbehinderte bevorzugt“ laufend hintergangen wird. Stimmt das? Und was würden Sie mir empfehlen?

Jürgen Heller: Die Vorschrift "Schwerbehinderte bevorzugt" steht auf dem Papier und das ist bekanntlich geduldig. Aber so ganz rechtlos sind Sie nicht. Im SGB 9 ist z.B. das Benachteiligungsverbot festgelegt. Werden Bewerber allein wegen ihrer Behinderung nicht eingestellt, können Sie Schadensersatz fordern. Die genaue Vorschrift habe ich so schnell nicht greifbar, aber Sie können mich gerne anrufen, unter 0711/69786-12. Bei Bewerbung von Schwerbehinderten im öffentlichen Dienst kann es sinnvoll sein, den Schwerbehindertenbeauftragten einzuschalten, damit dieser auch auf die Einhaltung der Vorschriften achtet. Fragen Sie doch mal dort nach, wie das Einstellungsverfahren ablief. Wenn Sie Gründe erkennen können, die dafür sprechen, dass Ihre Behninderung Grund für die Nichteinstellung war, könnten Sie überlegen, ob Sie rechtliche Schritte unternehmen möchten.

Uta: Ich dachte immer, die AU muss erst nach dem dritten Tag gebracht werden.

Jürgen Heller: Das ist richtig. Ist Ihr Anspruch auf Lohnfortzahlung bereits erschöpft?

Uta: Ja, schon seit der letzten Reha vor 1,5 Jahren.

Jürgen Heller: Also jetzt erwischen Sie mich auf dem falschen Fuß. Die Fristen für die Lohnfortzahlung habe ich so schnell nicht greifbar. Rufen Sie mich einfach im Büro in den nächsten Tagen nochmal an.

Uta: Ok mach ich -vielen Dank für Ihre Hilfe !!

NoNa: Kennen Sie denn einen Fall, in dem das erfolgreich war? Schließlich ist nichts schwerer zu belegen, als „wurde wegen seiner Behinderung nicht eingestellt“. Und ist es nicht eine klare Diskriminierung, wenn man nicht mal eingeladen wird – obwohl auch das im Gesetz steht?

Jürgen Heller: Ich kenne einen Fall, da hat ein Schwerbehindertenvertreter durchgesetzt, dass ein schwerbehinderter Bewerber zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, obwohl das ursprünglich nicht vorgesehen war. Das beste ist, der schwerbehinderte Bewerber hat den Job dann auch tatsächlich bekommen. Aber Vieles hängt natürlich auch von der Courage des Schwerbehindertenvertreters ab. Aber einen Versuch ist es wert. Im Zweifel ist das Recht auf Ihrer Seite. Aber man muss natürlich immer auch um sein Recht kämpfen.

Uta: Ich muss mich verabschieden, mein Akku ist kurz vor knapp. Vielen Dank für die Antworten und einen schönen Abend wünsch ich allen.

NoNa: Welche Rechte hat denn ein Schwerbehindertenvertreter im öffentlichen Dienst?

Jürgen Heller: Die Schwerbehindertenvertretung (§§ 94 - 97 SGB 9) vertritt die Belange der schwerbehinderten Menschen im Betrieb und gegenüber dem Arbeitgeber. Bei Bewerbungen hat der Schwerbehindertenvertreter ein Recht auf Einsicht in die Bewerbungsunterlagen und ein Recht, am Vorstellungsgespräch teilzunehmen. Er überwacht zudem die Einhaltung der rechtlichen Vorschriften und achtet darauf, dass der Arbeitgeber seine Pflichten gegenüber den schwerbehinderten Mitarbeitern erfüllt.

irma: Iich beziehe Teilerwerbsunfähigkeitsrente, die jetzt neu berechnet wird (wg. Überschreitung der Hinzuwerdienstgrenze). Kann es passieren, dass die Rente nach jetztigen Reformen gekürzt wird?

Jürgen Heller: Hallo Irma, wenn Sie die Hinzuverdienstgrenze überschreiten, kann es passieren, dass Ihre Rente gekürzt wird. Es kann Sinn machen, Ihre Tätigkeit bis unter die Hinzuverdienstgrenze zu reduzieren, um eine Kürzung zu vermeiden. Wird die Hinzuverdienstgrenze nach der Überschreitung wieder eingehalten, erfolgt keine Kürzung der Rente.

irma: Danke, aber ich habe das anders gemeint. Im Dezember, wg. Weihnachtsgeld und Überstundenpauschale wurde mir auch in letztem Jahr meine Rente gekürzt. Ich meine das allgemein, ob die Höhe der Rente ab Januar (da stimmt meine Hinzuverdienstgrenze) gekürzt werden kann?

Jürgen Heller: Jeder erwerbsgeminderte Rentenbezieher darf die Hinzuverdienstgrenze im Laufe eines Kalenderjahres in 2 Monaten bis zur doppelten Hinzuverdienstgrenze überschreiten, ohne dass eine Kürzung der Rente erfolgt. Ergänzung: D.h., wenn ab Januar die Hinzuverdienstgrenze eingehalten wird, wird die Rente ungekürzt ausgezahlt.

Silli: Habe ich Anspruch, am Arbeitsplatz darauf zu bestehen, dass ich alle Schreibarbeiten am Computer schreiben kann (auch wenn neue Programme nötig wären?)

Jürgen Heller: Sie haben Anspruch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz. Wenn Sie die Schreibarbeiten nur am Computer erledigen können, dann ist Ihr Arbeitsplatz entsprechend auszurüsten. Wegen der Kosten besteht die Möglichkeit, im Rahmen der beruflichen Reha Zuschüsse zu bekommen, z.B. vom Rentenversicherungsträger oder dem Integrationsamt.

Moderator Anja Köhler: Der Chat wird nun geschlossen, wir danken allen Chattern für die guten Beiträge und verabschieden uns von Ihnen bis in 14 Tagen am 02. März 2004.

Redaktion: AMSEL e.V., 20.02.2004