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Sanfte Hirnstimulation gegen schwere Erkrankungen?

Die transkranielle Hirnstimulation repariert nicht, könnte aber Nerven stärken. Auf der DGN wurde das Naturheilverfahren bei Multipler Sklerose diskutiert. Die Hoffnung: Es soll Spastik und Fatigue lindern.

Wenn unser Hirn arbeitet, steht es unter Spannung: Kleine Impulse regen Nerven an, Informationen weiterzuleiten. Mit Magnetfeldern und Gleichstrom kann daher die Aktivität des Gehirns von außen gezielt beeinflusst werden: Der Einsatz dieser Techniken in Therapie und Forschung ist eines der Trendthemen, die mehr als 4000 Mediziner in Wiesbaden diskutierten.

 

 

Ein Impuls - hier weiß dargestellt - jagt durch eine Nervenzelle.

In über 250 klinischen Studien erkunden Wissenschaftler derzeit die Möglichkeiten der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) und der transkraniellen Gleichstromstimulation (tDCS). Einzeln oder in Kombination angewandt, erlauben es diese beiden Techniken mit vergleichsweise geringem technischem Aufwand und ohne Operation, Nervenzellen durch die Schädeldecke hindurch zu aktivieren oder zu hemmen.

Studien auch zur Multiplen Sklerose

In den USA bereits zugelassen ist die hochfrequente Stimulation spezifischer Hirnregionen gegen Depressionen. Sogar gegen Hirntumore kommt sie dort zum Einsatz. Auch in Deutschland laufen zahlreiche Versuche etwa zur Therapie von Schmerzerkrankungen und Migräne, Tinnitus - und zur Behandlung der Multiplen Sklerose.

Auf der 84. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie berichtete Prof. Walter Paulus, Direktor der Abteilung Klinische Neurophysiologie der Universitätsklinik Göttingen über die vielen Fortschritte und Verfeinerungen der Technik, die immer präzisere Manipulationen am menschlichen Denkorgan erlauben.

rTMS und tDCS: Magnetspule und Elektroden

Grundlage beider Methoden sind physikalische Gesetzmäßigkeiten der Abhängigkeiten von Magnetfeldern und elektrischem Strom sowie die Tatsache, dass die Aktivität von Nervenzellen über deren Membranspannung gesteuert wird. Je positiver die Membranspannung ist, desto leichter werden Nervenimpulse, also Aktionspotenziale, ausgelöst. Während bei der rTMS eine am Schädel angelegte Magnetspule ihre Impulse aussendet, sind es bei der tDCS zwei oder mehrere Elektroden, die auf der Kopfhaut platziert werden.

"Das Interesse der Neurologen an den neuen, sanften Methoden der Hirnstimulation ist gewaltig", berichtete Prof. Paulus in Wiesbaden. 165 klinische Studien zur repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) sind aktuell in einer Datenbank der US-Nationalen Gesundheitsinstitute (http://clinicaltrials.gov) registriert, weitere 86 für die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS). Große technische Fortschritte erlauben es heute, die Pulsstärke der rTMS zu variieren und z.B. mit der Theta-Burst-Technik die notwendige Magnetdosis deutlich zu reduzieren und damit wirksamer anzuregen oder zu hemmen als je zuvor. Ein weiteres Ziel ist die genauere Lokalisation der ausgewählten Hirnregionen.

Fatigue und Spastik lindern

"Die Erfolgsaussichten der sanften Hirnstimulation sind umso besser, je mehr plastische Reserven die betroffene Hirnregion besitzt und je weniger strukturelle Schäden vorliegen", betonte der Neurophysiologe. Vergleichsweise einfach ist dabei das Konzept, die Unterfunktion des linken Stirnhirnbereiches bei Depressionen zu beheben. Fehlende Nervenbahnen lassen sich zwar nicht ersetzen, aber bei Teillähmungen – etwa nach einem Schlaganfall – lassen sich die verbleibenden Verbindungen stärken. "Die transkranielle Stimulation hat deshalb ein hohes Potenzial für die Neurorehabilitation, aber auch für chronisch therapieresistente Schmerzen und zur Linderung von Symptomen wie Fatigue und Spastik bei der Multiplen Sklerose."

Ein Hemmnis für die weitere Verbreitung der Hirnstimulation ist aber derzeit noch der hohe Personalaufwand. Insbesondere die rTMS erfordert tägliche Stimulation in spezialisierten Zentren. Die tDCS wäre dagegen prinzipiell auch mit einer Anwendung zu Hause vereinbar, wenn die erforderlichen Nachweise der Wirksamkeit und der Sicherheit der Apparatur erbracht sind, so Paulus.

Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 30.09.2011

Redaktion: AMSEL e.V., 12.10.2011