Spenden und Helfen

Multipler Sklerose: Darmkrebsrisiko könnte unter Mitoxantron mäßig erhöht sein

Mitoxantron wird nur in besonders aggressiven Fällen von MS eingesetzt. Dass der Wirkstoff das Risiko für eine Leukämie erhöht, war bekannt. Nun haben Würzburger Forscher entdeckt, dass Mitoxantron auch das Darmkrebsrisiko erhöhen könnte. Die AMSEL-Onlineredaktion sprach mit Privatdozent Dr. Mathias Buttmann.

Mitoxantron wird heute nur noch selten bei Multipler Sklerose eingesetzt. Zwar ist es sowohl für aggressive schubförmige wie für aggressive sekundär progrediente MS-Verläufe zugelassen. Doch inzwischen gibt es für den schubförmigen Verlauf der MS andere stark wirksame Mittel mit einem günstigeren Wirkungs-/Nebenwirkungs-Profil. Privatdozent Dr. med. Mathias Buttmann, der die Würzburger Studie leitete, sagt, er setze Mitoxantron für den schubförmigen Verlauf praktisch gar nicht mehr ein.

Doch zunächst zur Studie: Die Würzburger Forscher um Buttmann fanden heraus, dass neben dem Leukämierisiko auch das Risiko von Darmkrebs durch Mitoxantron steigen könnte. Das gesamte Krebsrisiko erhöht sich nach den Würzburger Ergebnissen gegenüber der Gesamtbevölkerung nur leicht um den Faktor 1,5.

676 Patienten nachbefragt

Im Rahmen der Studie wurden Mitoxantron-Patienten beziehungsweise deren Angehörige und behandelnde Ärzte rückblickend befragt, ob nach Behandlungsbeginn Krebserkrankungen aufgetreten waren. In die Untersuchung wurden alle 677 Patienten eingeschlossen, die sich zwischen 1994 und 2007 in der Würzburger Uniklinik vorgestellt hatten und mit Mitoxantron behandelt waren. Zu Beginn der Therapie waren sie durchschnittlich 41 Jahre alt. Die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit lag bei 8,7 Jahren.

Insgesamt entwickelten 37 von 676 Patienten, zu denen Informationen erhoben werden konnten, eine Krebserkrankung nach Mitoxantron. Das sind zwar 5,5 % und der Anteil klingt sehr hoch, doch ist nur ein Teil davon − und wegen der relativ kleinen Personengruppe auch nur möglicherweise − auf Mitoxantron zurückzuführen. Im Vergleich mit der Krebserkrankungsrate in der Allgemeinbevölkerung im vergleichbaren Alter, die bei rund 3,7 % für diesen Zeitraum liegt, ergibt sich eine Steigerung um das Anderthalbfache.

Zahlen in Würzburger Studie für Darmkrebsrisiko leicht erhöht

Besonders aufgefallen war bei den Würzburger Zahlen neben dem erhöhten und bereits bekannten Leukämierisiko eine Steigerung der Kolorektalkarzinome, eines Dickdarmkrebses also. Insgesamt 7 Patienten aus 676 erkrankten daran. Dr. Mathias Buttmann sagt, er habe immer noch die Hoffnung, "dass das eine zufällige Beobachtung ist, die sich in Folgestudien nicht bestätigt." Und eben auf die kleine Zahl an Fällen zurückzuführen. Er wünscht sich größere Untersuchungen, gibt aber zu bedenken: "Das ist trotzdem ein gewisses Alarmsignal."

Unabhängig von diesen Ergebnissen setze man seit einigen Jahren Mitoxantron in Würzburg fast nur noch bei aggressiven sekundär progredienten Verläufen mit ausgeprägter Entzündungsaktivität, aber ohne aufgesetzte Schübe, ein. Das könne zum Beispiel der Fall sein, wenn sich die maximale Gehstrecke eines sekundär progredienten Patienten durch die MS schleichend, aber dramatisch verschlechtere, etwa von 2.000 m ohne Gehhilfe auf 100 m mit Gehhilfe innerhalb eines Jahres. Für diese Fälle fehlten in der Medizin bislang zugelassene Behandlungsalternativen. Und: Viele dieser Patienten profitierten bei sorgfältiger Indikationsstellung sehr von Mitoxantron, so die Erfahrung von Dr. Mathias Buttmann.

Weil momentan unklar ist, ob Mitoxantron wirklich das Darmkrebsrisiko erhöht, sollte man nach Ansicht von Dr. Buttmann keine invasiven Untersuchungen, z. B. eine Darmspiegelung, eigens wegen einer Mitoxantronbehandlung durchführen lassen. Eine solche Darmspiegelung ist nämlich nicht nur unangenehm, sondern birgt auch gewisse begrenzte Risiken in sich. Sinnvoll findet er allerdings, allgemein empfohlene Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen. Wird eine Darmkrebserkrankung nämlich früh erkannt, lässt sie sich oft gut behandeln. Sollte sich in Folgestudien tatsächlich ein durch Mitoxantron erhöhtes Darmkrebsrisiko bestätigen, könnten zusätzliche Vorsorgeuntersuchungen nach der Behandlung sinnvoll sein.

Wirkstoffe gegen progrediente Multiple Sklerose in der Pipeline

Der schleichende Verlauf wird weltweit nicht zuletzt durch die Progressive MS Alliance intensiv erforscht. Mit Ocrelizumab ist bereits ein Wirkstoffkandidat für den primär progredienten Verlauf in der Zulassungsphase und wird hoffentlich nächstes Jahr verfügbar werden. Zusätzliche Hoffnung auf eine baldige Verbesserung der therapeutischen Möglichkeiten bei primär und auch bei sekundär progredienter MS machte eine kürzlich abgeschlossene Phase-3-Studie, die hochdosiertes Biotin erfolgreich untersuchte; weitere Studien zu diesem Wirkstoff laufen. Offensichtlich findet dank nochmals verstärkter Forschungsanstrengungen und durch ein besseres Krankheitsverständnis die lange Phase ständiger Misserfolge bei Therapiestudien der chronisch-progredienten MS endlich ein Ende, auch wenn es sicher noch viel zu tun gibt.

Quelle: Neurology, 11.05.2016; Pressemeldung des Universitätsklinikums Würzburg, Deutsches Zentrum für Herzinsuffizienz, 12.05.2016

Redaktion: AMSEL e.V., 23.05.2016