Spenden und Helfen

Mit kleinen Schritten wieder laufen lernen

Mit Hilfe des Lokohelp Pedago, der Teil der Medizinischen Trainingstherapie im Neurologischen Rehabilitationszentrum Quellenhof ist, konnte Frau H. wieder an das Gehen herangeführt werden. Together 02/12 berichtet.

Fallstudie Frau H.

Diagnose: chronisch-progrediente MS mit aufgesetzten Schüben seit 1998, Zustand nach schubartiger Verschlechterung 12/2011

Probleme: Schwäche der Rumpf- und Beinmuskulatur

Frau H., 73 Jahre alt, leidet seit 1998 an einer chronisch-progredienten MS mit aufgesetzten Schüben. Ein Schub im Dezember 2011 verringerte das Stützpotential ihrer Beine stark, Bauch- und Rückenmuskulatur waren ebenfalls sehr geschwächt. Frau H. war mit dem Ziel in die stationäre Rehabilitation gekommen, das Gehen am Rollator zu erreichen. Gehen konnte sie nicht, als sie in den Quellenhof kam, aber sie konnte kurzfristig mit gebeugten Knien stehen und selbstständig in und aus dem Rollstuhl transferieren.

Frau H. war sich bewusst, dass das Wiedererlangen der Gehfähigkeit nicht leicht werden würde, wenn es denn überhaupt möglich wäre Trotzdem hatte sie sich das Ziel gesteckt, die Wege in ihrer Wohnung wieder zu Fuß zu bewältigen. Zudem erhoffte sie sich dadurch auch mehr Ausdauer und Sicherheit im Stehen, die sie für das Ankleiden so dringend brauchte.

Gehfunktion am Laufband wiedererlangen

Eine Möglichkeit für Patienten, ihre Gehfunktion wiederzuerlangen, ist die Laufbandtherapie. Denn bei einer hohen Anzahl von Schritten werden Schaltungen im Rückenmark angesprochen, die komplexe Schreitbewegungen aktivieren und das, obwohl die Verbindung zu den höheren Bewegungszentren gestört ist. Bei Patienten wie Frau H., die nicht selbstständig gehen können, bedeutet dies, dass die Füße beider Beine durch Therapeuten immer abwechselnd in den Schritt gesetzt werden müssen.

Ein für den Patienten wie Therapeuten extrem anstrengendes Unterfangen, und deshalb ohne Zusatzgerätschaft kaum durchführbar. Ein solches Zusatzgerät ist im Quellenhof das Pedago der Firma Lokohelp. Mit ihm wird der Patient computergesteuert in die Gehbewegung versetzt.

Große Skepsis bei Frau H.

Nach sorgfältigem physiotherapeutischen Befund und eindeutiger Beratung gab Frau H. ihr Einverständnis zur Therapie mit dem Pedago, obwohl sie zunächst sehr skeptisch war. Der erste Kontakt mit dem Gerät war auch nicht leicht. Frau H. wurde ein Brustgurt fest umgelegt, der ihr nach ihrem Gefühl fast den Atem raubte. Der Gurt ist aber für die Teilgewichtsentlastung von ca. 30 kg erforderlich, die das Gehen auf dem Laufband und mit dem Lokohelp Pedago unterstützt. Dann wurden die Boots angezogen, welche die Verbindung zum Lokohelp Pedago herstellen. Mithilfe des Entlastungszugs und der Physiotherapeutin kam Frau H. dann zum Stehen. Eine für sie ungewohnte Situation. Das Stehen wurde zwar durch den beidseitigen Handstütz erleichtert, die Verbindung über Brustgurt und Boots mit dem Pedago ließ aber erahnen, dass es sich nicht um eine passive Bewegung, sondern eine aktive Therapie handeln würde. Bevor es endgültig losgehen konnte, wurden Körpergewicht und Größe des Widerstands, bei dem sich das Gerät zum Schutz der Patientin ausschalten würde, eingegeben. Danach wurde das Pedago in Gang gesetzt und mit zunächst 0,3 km/h begannen die ersten Schritte.

A

utor: Klaus Gusowski

  • seit 2001 Leitender Krankengymnast im Neurologischen Rehabilitationszentrum (NRZ) Quellenhof in Bad Wildbad.
  • 1976 –1979 Ausbildung zum Krankengymnasten,Universität Mainz
  • 1979–2001 stellv. ltd. Krankengymnast,
    Rommel-Klinik Bad Wildbad
  • seit 1996 regelmäßige Vortragstätigkeit für die AMSEL, vor allem im Bereich Südbaden
  • Spezielle Kenntnisse: beobachtende Ganganalyse "Gehen", Manuelle Therapie, Bobath-Konzept, Vojta-Therapie, Therapie des Fasziooralen Traktes, Brunkow-Konzept (stimulatives Konzept)

Frau H. erkannte schnell, dass zu Beginn einer Standphase das Bein aktiv gestreckt und stabilisiert werden musste. Dieser Moment wurde durch die Physiotherapeutin manuell unterstützt. Gleichzeitig wurde das andere Bein mithilfe des Pedago maschinell gebeugt und nach vorne gebracht. Frau H. unterstützte die Bewegung außergewöhnlich schnell aktiv. Die Kräfte reichten in zwei kurzen Etappen für etwa 100 m aus, was auf Anhieb 250 Schritte bedeutete. In der Folge wurde die Strecke je nach Tagesform und den vorab geleisteten Belastungen ausgebaut oder auch einmal wieder zurück genommen.

Innerhalb von fünfeinhalb Wochen konnte die Wegstrecke von Frau H. auf dem Laufband auf 300 m gesteigert und die Wegstrecke am Rollator auf 20 m erweitert werden. Gleichzeitig stieg die Gehgeschwindigkeit von 0,6 km/h auf 1,2 km/h und die Belastungszeit von 10 Minuten auf 15 Minuten.

Überforderung meiden

Die Medizinische Trainingstherapie im NRZ

geräteunterstütztes Training unter Aufsicht von geschultem Personal zur Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit und Bewegungskoordination

Angebotene Therapiestationen:

  • Lokohelp Pedago
  • Wii-Konsolen (vgl. Together 03/2011)
  • Doppelseilzüge
  • Ergospirometrie

Wichtig ist bei der MS, dass die Therapie nicht in die motorische Fatigue führt, die über Stunden anhalten kann und mitunter auch am Folgetag noch zu erkennen ist. Diese Grenze bei Frau H. zu bestimmen, war nicht leicht. So wurde in dem Wunsch, eine weitere Wegstrecke zu erreichen auch schon einmal der Punkt überschritten, an dem die Fatigue begann. Die Folge war die Abnahme der Gehstrecke am Rollator, was dann als Rückschritt empfunden wurde und zu großen Selbstzweifeln führte. Deshalb wurde die Laufbandtherapie mit Pedago ohne weitere Steigerung der Belastung und zeitweise auch mit Rücknahme der Belastungsgrößen durchgeführt. Die Wegstrecke am Rollator stieg damit wieder an.

Im Rückblick teilte Frau H. mit, dass die Anstrengungen auf dem Pedago sie an die Grenze ihrer Kräfte geführt hat. Gleichwohl war sie froh und stolz, dass sie am Ende des Aufenthaltes doch die Wegstrecke von 20 m am Rollator bewältigte. Auch das Aufstehen vor der Sprossenwand gelang selbstständig und die Ausdauer im Stehen war deutlich gestiegen.

Hinweis: unterwww.amsel.de/videofinden Sie auch ein Interview mit Prof. Dr. med. Flachenecker zum Thema "Gerätegestütze Therapie bei MS". Reinschauen lohnt sich!

Quelle: Together 02/12; Klaus Gusowski

Redaktion: AMSEL e.V., 29.06.2012