Spenden und Helfen

Gegen die Mauer des Schweigens

07.06.05 - Suizidgedanken zum Tabuthema zu erklären, hieße, den Kopf in den Sand zu stecken. Hilfe ist möglich!

Sie haben suizidale Gedanken?

Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter (0800) 1110111 und (0800) 1110222 erreichbar. Auch eine Beratung über E-Mail ist möglich.  Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.

Sommer, Sonne, gute Laune... Viele Menschen genießen gerade das Aufleben der Natur um sie herum, die Möglichkeit, sich im Freibad oder in der Eisdiele abzukühlen. Die Aussicht auf eine Reise beflügelt ihre Phantasie, und insgesamt blicken sie ganz zuversichtlich in die Zukunft.

Anderen Menschen geht es ganz anders. Ob Sommer oder Winter: Schwere depressive Gedanken bestimmen ihren Alltag. Ihrem Leben, ihrem Schicksal stehen sie ohnmächtig gegenüber. Zufriedenheit, Glück und Freude werden zu Fremdwörtern für einen, dem bereits das Aufwachen eine Qual ist, dem nichts, aber auch gar nichts Antrieb geben kann, den neuen Tag zu begrüßen. Und das nicht ein Mal oder zwei Mal die Woche, sondern täglich, Jahr aus und Jahr ein. - Wo einer keinen Grund zum Weiterleben mehr sieht, da wachsen unter Umständen die Gründe, dem eigenen Leben ein Ende zu machen.

Suizidgedanken sind "normal"

Massive Depressionen haben verschiedene Ursachen. Es können rein körperliche Gründe vorliegen, ein gestörter Hormonhaushalt etwa oder Rückenschmerzen. Oft aber liegt die Ursache in unserer Psyche: Unsere Seele kommt nicht zurecht mit dem eigenen Schicksal, kann nicht umgehen mit den Veränderungen in unserem Umfeld. Arbeitsplatzverlust, ein Unfall oder eine chronische Krankheit wie Krebs oder Multiple Sklerose können Depressionen, schwere Depressionen, ja Suizidgedanken auslösen. Depressionen und auch Suizidgedanken sind eine "normale" Reaktion auf den Schreck der Diagnosemitteilung. Niemand sollte sich für diese Gedanken schämen oder sich als "Psycho" stigmatisiert sehen. Sich beizeiten auszusprechen, Hilfe zu suchen, bevor einem die Kontrolle über sich selbst entgleitet, ist allerdings wichtig.

Drei Stadien

Man unterscheidet drei dynamische Stadien bei Suizidgefährdeten: Im Erwägungs-Stadium tauchen erste Suizid-Gedanken auf. Die Distanzierungs- und Steuerfähigkeit über das eigene Leben sind jedoch noch erhalten. Im Ambivalenz-Stadium werden Suizid-Gedanken zu Suizid-Impulsen. Distanzierungs- und Steuerungs-Fähigkeit sind eingeschränkt und die dritte Stufe, das Entschluss-Stadium, nicht mehr fern. In dieser Phase wird den Suizid-Impulsen nachgegeben, der Suizid vorbereitet oder tatsächlich durchgeführt. Distanzierungs- und Steuerungs-Fähigkeit sind aufgehoben, der Mensch kennt nur noch ein Ziel: Schluss zu machen.

Wissen kann helfen

Das Wissen um diese drei Stadien, so grausam und unvorstellbar sie sich auch lesen mögen, bietet eine guten Ansatz zur Hilfe für Außenstehende, denn die drei Phasen sind in der Regel durch verschiedene Verhaltensweisen gekennzeichnet: Während des Erwägungs-Stadiums gibt der Betroffene Hinweise und Appelle auf seine Selbsttötungsgedanken - etwa: "Ich frag' mich, was das Leben noch soll." oder "Ich hab' mir überlegt, ob ich nicht gleich einen Strick kaufen soll." Im Ambivalenz-Stadium wachsen sich diese zu Hilferufen oder Suizid-Ankündigungen aus: "Ich hab' Angst, dass ich Schluss mache. Hilf du mir!" oder "Morgen siehst du mich nicht mehr!"

Das Entschluss-Stadium ist für außenstehende Laien am schwersten zu erkennen. Nur wer den betreffenden Menschen in mindestens einer der vorangegangenen Phasen erlebt hat, kann Anzeichen wie Resignation oder trügerische Ruhe als Endstadiums-Indikatoren verstehen. Klar, dass Suizidgefährdete in dieser Phase am wenigsten deutliche Signale geben: Sie wollen gar nicht mehr, dass sie gerettet werden.

Was tun?

(Das Folgende ist der TK-Broschüre ""Depression" entnommen, ergänzt um Beiträge von AMSEL-Psychologe Michael Berthold). Selbsttötungsgedanken sind ein besonders wichtiger Gesichtspunkt für die Angehörigen. Hat der Patient die Gedanken erst einmal ausgesprochen, so haben diese damit schon einen Teil ihrer Bedrohlichkeit für ihn verloren. Für Angehörige ergibt sich dann aber die Frage, wie sie damit umgehen sollen.

Rezepte gibt es nicht. Nehmen Sie Selbsttötungsdrohungen immer ernst, um so mehr, je konkreter sie sind. Es wäre jedoch falsch, die Situation zu dramatisieren und zu denken, der Patient könne sich jeden Augenblick das Leben nehmen. Man sollte zunächst aus dieser Botschaft auch die Mitteilung entnehmen: Schau, so schlecht sieht es aus mit mir. Zeigen Sie ruhig Ihre Betroffenheit, schildern Sie den Verlust, den der Tod des Patienten für Sie bedeuten würde. Betonen Sie, dass Sie wissen, dass sich die momentane Situation ändern wird. Werden Sie nicht anklagend.

Wann professionelle Hilfe?

Helfen bedeutet nicht, selbst Lösungen zu finden. Wichtigste Stütze für den Verzweifelten sind zuhören und ernst nehmen.

Natürlich sollte der behandelnde Arzt/ Psychotherapeut über die Suizidgedanken des Patienten informiert sein - am besten vom Patienten selbst. Holen Sie sich Rat von außerhalb, wenn Sie sich durch die suizidgefährdete Person überfordert oder erpresst fühlen. Spätestens jetzt ist professionelle Hilfe erforderlich. Stellen Sie aktiv Kontakt zu einem niedergelassenen Psychiater, einer Klinik oder einem Kriseninterventionsdienst her (siehe unten).

Thema selbst ansprechen

Man kann als Angehöriger das Thema auch selbst ansprechen, wenn der Kranke nicht von sich aus darüber spricht. Betroffene sind meist dankbar, wenn das Thema offen angesprochen wird. Man muss nur den Einstieg finden, etwa so: Ich habe den Eindruck, dass dir in letzter Zeit alles egal ist und sinnlos vorkommt. Und: Denkst du manchmal auch daran, dass du nicht mehr leben willst?

Wird die Frage bejaht, könnte man weiterfragen: Hast du dich noch so weit im Griff, dass ich mich darauf verlassen kann, auch morgen noch mit dir reden zu können?

Gemeinsam mit dem Patienten

In einer solchen Situation ist es wertvoll, wenn der Angehörige oder der behandelnde Arzt sich von den Vorgesprächen her kennen und das weitere Vorgehen gemeinsam mit dem Patienten besprechen können. In manchen Fällen wird der Arzt eine stationäre Behandlung befürworten, in anderen Fällen kann er aus seiner Erfahrung eine weitere ambulante Behandlung rechtfertigen (In der Regel werden Depressionen meist zweigleisig behandelt: mit Medikamenten und mit Verhaltenstherapie).

Bejaht der Patient im Gespräch Selbsttötungsgedanken, sollten sich diese Fragen anschließen: Hast du dir überlegt, wie du es machen würdest? Hast du schon mal Vorbereitungen getroffen? Werden diese beiden Fragen bejaht, dann ist das Risiko sehr hoch, dass der Patient sich etwas antut. Dann sollte man etwa sagen: Ich habe den Eindruck, dass du dich kaum mehr gegen die Depression wehren kannst. Lass es uns mit deinem Arzt besprechen.

Stationäre Behandlung

Wenn es dann möglicherweise zur Klinikaufnahme kommt, begreifen das viele Patienten und Angehörige als den Gipfel der Katastrophe. Angemessen ist aber die Haltung: Hier ist eine intensive Behandlung möglich, die ambulant nicht zu verwirklichen war. In voraussichtlich einigen Wochen wird der Patient genesen entlassen werden.

Im Netz, per Telefon, als Broschüre oder Buch gibt es eine Menge Hilfe für Suizidgefährdete. Hier eine kleine Auswahl:

Die Angebote des Arbeitskreis Leben (AK-Leben) umfasst Krisenintervention, Begleitung durch ehrenamtliche KrisenbegleiterInnen, Beratungsgespräche (Einzel-, Paar- und Familienberatung), Beratung für Angehörige, Freunde und andere Betroffene, Angehörigengruppen für Menschen, die einen Nahestehenden durch Suizid verloren haben sowie diverse Gruppenangebote. Der AK-Leben ist in vielen baden-württembergischen Städten vertreten; hier die Landesarbeitsgemeinschaft:

AKL Tübingen e.V.
Österbergstr. 4
72074 Tübingen
Tel. 07071/ 19 2 98
Fax 07071/ 92 21 90
akl-tuebingent-onlinede
www.ak-leben.de

Auch die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) mit Sitz in Berlin bietet Hilfe an:

Tel. 030/ 873 - 01 11
Fax 030/ 873 - 42 15
dgs.gfsuizidprophylaxede
www.suizidprophylaxe.de

Landesweit operiert das Kompetenznetzwerk Depression:

www.kompetenznetzwerk-depression.de

Hier nur zwei Bücher aus einer Menge an Literatur zum Thema:

  • "Wenn der Mensch, den du liebst, depressiv ist", von Laura Epstein Rosen, u.a., Rowohlt Taschenbuch, broschiert (März 2002), 9,90 Euro.
  • "Depressionen verstehen und bewältigen", von Manfred G. Wolfersdorf, broschiert, Springer (April 2002), 16,95 Euro.

Und die TK-Broschüre:

  • "Depression: eine Information für Patienten und Angehörige", Techniker Krankenkasse (Juni 2001).

Kleiner Hinweis: Für den Herbst plant die AMSEL ein ExpertenForum zum Thema Lebenskrise und Suizid.

Redaktion: AMSEL e.V., 21.07.2008