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Das immunologische Gedächtnis aussetzen

16.12.08 - Das ist das Ziel der Rheumaforscher in Berlin. Gelänge dies, würden der Therapie-Effekt bei Autoimmunkrankheiten auch nach dem Absetzen eines Wirkstoffes anhalten.

Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis, Lupus erythematodes oder multiple Sklerose entstehen, wenn das Immunsystem körpereigenes Gewebe angreift. Eine wichtige Rolle spielen dabei überaktive Gedächtniszellen des Immunsystems, die sich nach erfolgreicher Abwehr eines Krankheitserregers verselbstständigen und weiter gegen einen vermeintlichen Feind kämpfen, obwohl der "Krieg" längst zu Ende ist.

Wissenschaftler des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums (DRFZ) in Berlin erforschen das "immunologische Gedächtnis" und seine Entgleisungen. Daraus wollen sie neue Strategien für die Behandlung dieser schweren Krankheiten ableiten.
Die derzeitige Behandlung chronisch-entzündlicher rheumatischer Erkrankungen basiert auf der ungezielten Unterdrückung des überaktiven Immunsystems, das sich gegen den eigenen Körper richtet.

Abwehrzellen mit Eigenleben

Eine Heilung ist dadurch in der Regel nicht möglich, die Erkrankung kehrt nach Absetzen der Therapie zurück. "Das Immunsystem erinnert sich an das Rheuma", sagt Professor Andreas Radbruch, Wissenschaftlicher Direktor des DRFZ. Basis dieser Erinnerung ist das "immunologische Gedächtnis", das erst seit kurzem näher erforscht ist und den gesunden Menschen vor Krankheiten schützt, die er zuvor überstanden hat. Wird der Körper erneut mit dem Krankheitsauslöser (Antigen) konfrontiert, ist dank der Gedächtniszellen eine schnellere und effizientere Abwehr möglich. Danach wird die Aktivität dieser Zellen durch ein kompliziertes Regelwerk wieder heruntergefahren. Bei Autoimmunerkrankungen entziehen sich die Zellen jedoch dieser Kontrolle und entwickeln ein Eigenleben.

Das immunologische Gedächtnis wird vor allem von zwei Zelltypen des Immunsystems bestimmt: von langlebigen T-Lymphozyten, die Immunreaktionen über verschiedene Botenstoffe (Zytokine) regulieren, sowie von langlebigen B-Lymphozyten, so genannten Plasmazellen, die schützende Antikörper produzieren. Bei Autoimmunerkrankungen richten sich diese Antikörper jedoch gegen körpereigenes Gewebe, daher spricht man von Autoantikörpern (auto= selbst, eigen).

Versteckspiel hinter Bindegewebszellen

Langlebige Plasmazellen entstehen beim zweiten Kontakt des Immunsystems mit einem Antigen. Sie wandern danach ins Knochenmark oder in entzündetes Gewebe. Dort docken sie an Bindegewebszellen an, die ihnen eine geschützte Nische bieten, wo sie sich dem Zugriff des immunologischen Kontrollsystems ebenso entziehen wie dem Angriff durch immunsuppressive Medikamente. Sie teilen sich nicht mehr, verlieren ihre Fähigkeit zu wandern, produzieren aber weiter Autoantikörper.

"Ohne Frage sind langlebige Plasmazellen ein interessantes neues therapeutisches Ziel", sagt Radbruch. Die Konzentration der Wissenschaftler auf die Plasmazellen allein greift jedoch zu kurz, denn wahrscheinlich sind auch Gedächtnis-T-Lymphozyten an der Aufrechterhaltung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen beteiligt. Diese entstehen durch mehrfachen Kontakt mit einem Antigen, der sie entscheidend prägt und verändert. Bei diesem Prozess werden bestimmte Gene stillgelegt und andere dauerhaft eingeschaltet, die fortan in Botenstoffe übersetzt werden, die das immunologische Gleichgewicht aus dem Ruder laufen lassen. Ein solchermaßen aktiviertes Gen ist z. B. twist1.

Subtile Methoden gesucht

"T-Lymphozyten mit außergewöhnlich hoher twist1-Expression dominieren in chronisch entzündetem Gewebe von Patienten mit rheumatoider Arthritis, reaktiver Arthritis oder Morbus Crohn", so Radbruch. Um das immunologische Gedächtnis für rheumatische Erkrankungen dauerhaft zu löschen, erklärt der Wissenschaftler, müssen künftig beide Zelltypen ins Visier genommen werden. Für die Zukunft setzt Radbruch auf subtile Methoden, mit denen die Gedächtniszellen im Körper gezielt aufgesucht und ausgeschaltet werden können.

Die Wissenschaftler des DRFZ haben mit ihren Erkenntnissen zur Funktion des immunologischen Gedächtnisses bereits die Basis dafür gelegt. Inwiefern diese Grundlagenkenntnisse auch die Therapie der Multiplen Sklerose voranbringen könnte, bleibt abzuwarten.

Quelle: idw online, 11.12.08

Redaktion: AMSEL e.V., 16.12.2008