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Traditionelle Chinesische Medizin und MS

22.02.07 - Dr. Ulrich März, niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin und Lehrbeauftragter für Akupunktur und TCM an der Universität Ulm, berichtet über TCM als Therapieoption bei der Behandlung von Multipler Sklerose.

Die Behandlung von Patienten mit Multipler Sklerose stellt für jeden Arzt eine Herausforderung dar. Der Tatsache, dass diese Erkrankung derzeit nicht heilbar ist, steht eine Vielzahl von mehr oder weniger wirksamen therapeutischen Interventionen unterschiedlichster Art gegenüber.

Ziel einer jeden Behandlung ist es, das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern oder zumindest zu bremsen; gleichzeitig gilt es, die vielfältigen Symptome und begleitenden Beschwerden zu lindern. Der oft massive Leidensdruck führt bei den Betroffenen nicht selten zu einer permanenten Suche nach Behandlungsalternativen, die leider nicht immer mit seriösen Hilfsangeboten belohnt wird.

TCM als Therapieoption

Hier bietet die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) eine Therapieoption, die gerade bei der Behandlung von chronischen Krankheiten in den letzten Jahren zunehmend Anhänger auch bei westlichen Ärzten und Patienten gefunden hat.

Die Traditionelle Chinesische Medizin ist eine Naturheilkunde, die zwar in ihren Anfängen schon vor über 2.000 Jahren entstanden ist, sich aber über die Jahrhunderte hinweg ständig weiterentwickelt hat. Die Theorien und Methoden der TCM konnten während dieser langen Anwendungszeit in ihrer Aussagekraft und praktischen Wirkung immer wieder überprüft werden. Mittlerweile finden wir in der TCM eine Medizinform, die sich nicht nur im Ursprungsland China, sondern auch in den meisten westlichen Ländern im täglichen Einsatz bewährt. Durch die weitere Erforschung der Wirkung und der zugrunde liegenden Theorien und Anwendungen nach modernen Standards verändert die TCM langsam ihren Charakter von einer ursprünglich mit reichlich Folklore befrachteten antiquierten Medizin zu einer gut untersuchten, zuverlässigen Heilmethode, die sich in Praxis und Klinik ihren festen Platz erobert hat.

Die fünf therapeutischen Säulen der TCM sind Akupunktur, Arzneimitteltherapie, Ernährungslehre (Diätetik), Tuina (Manuelle Therapie) und Qi Gong (Heilgymnastik). Patienten mit Multipler Sklerose können je nach Situation von jeder einzelnen Therapieform profitieren.

Ein wichtiger Grundsatz jeder Naturheilkunde bei der Behandlung von chronischen Krankheiten ist es, den körperlichen und psychischen Gesamtzustand des Patienten zu verbessern, um das Milieu, in dem die Krankheit sich befindet, optimal einzustellen. Auf diese Weise kann die natürliche Abwehr und Regulationsfähigkeit des Organismus wiederhergestellt und die Grunderkrankung so gut wie möglich eingedämmt werden.

Die Traditionelle Chinesische Medizin bietet die Möglichkeit, die vielfältigen Symptome von MS-Patienten auf bestimmte Erkrankungsmuster zu untersuchen. Von besonderer Wichtigkeit ist hierbei, dass ganz unterschiedliche Beschwerden, die aus westlicher Sicht keinen klaren Zusammenhang haben, aus Sicht der TCM jeweils für das Vorliegen bestimmter Krankheitsbilder sprechen. Es wird hier also nicht nur "die MS" behandelt, sondern es wird außerdem die spezifische individuelle Symptomkombination jedes Patienten beachtet und bei der Auswahl der passenden Akupunkturkombination oder Arzneimittelrezeptur ebenso berücksichtigt wie bei der Ernährungsberatung und der Auswahl der Qi Gong Übungen. Eine ausführliche Befragung (Anamnese) und Untersuchung des Patienten bildet gemeinsam mit der TCM-typischen Zungen- und Pulsdiagnose das Fundament einer gezielten Therapie, wobei körperlichen und psychischen Symptomen gleichviel Beachtung zugemessen wird.

Akupunktur nachweislich wirksam

Therapieform der ersten Wahl ist anfangs die Akupunktur gemeinsam mit der Arzneimitteltherapie. Die Wirkungen der Akupunktur wurden in unzähligen Studien untersucht. Nachgewiesen wurden dabei unter anderem Schmerzhemmung, antientzündliche Wirkung, Stimmungsaufhellung, Verbesserung der Durchblutung, Erhöhung der Sauerstoffversorgung des Gehirns, ausgleichende Wirkung auf das Immunsystem und Muskelentspannung.

Das heißt: Akupunktur ist bei vielen Symptomen nachweislich wirksam, die MS-kranken Patienten das Leben schwer machen. Allerdings muss festgestellt werden, dass Akupunktur (ähnlich wie die westliche Medizin) nicht immer und nicht bei jedem Patienten gleich wirksam ist. Hier kommt es sehr auf die individuelle Symptom-Konstellation und auch auf die Erfahrung des Behandlers an. In manchen Fällen muss beispielsweise zunächst eine Zeit lang mit TCM-Arzneimitteln (Kräutern und Mineralien) behandelt werden, um die Reaktionsfähigkeit des Organismus auf die Akupunktur wiederherzustellen.

Der "Funktionskreis"

Bei Diagnose und Behandlung spielt der "Funktionskreis" eine maßgebliche Rolle: Mit diesem Begriff bezeichnet die TCM ein Zusammenspiel zwischen Organen, Akupunktur-Punkten, körperlichen Symptomen und psychischen Reaktionen.

Multiple Sklerose als Erkrankung des Gehirns und des Rückenmarks gilt in der TCM primär als eine Krankheit des Funktionskreises "Niere", der zwar den Namen des bekannten Ausscheidungsorgans trägt, der aber über dessen im Westen geläufige Funktion weit hinausgeht. So gehören zum Beispiel unterschiedliche Symptome wie chronische Schmerzen der Lendenwirbelsäule, Kälteempfindlichkeit des Unterleibs und der Füße, nachlassende sexuelle Kraft, nachlassendes Gedächtnis, Harn-Inkontinenz oder pathologische Ängste allesamt ebenfalls zum Funktionskreis der Niere.

MS-Symptome deuten

In aller Regel spielen bei der MS aber auch andere Funktionskreise wie Milz, Leber oder Herz eine Rolle. Je nach vorliegendem Symptomen-Bild kann ein MS-Patient also ganz unterschiedliche Krankheitsbilder aufweisen.

Hier einige Beispiele: Schweregefühle, Kribbeln und Taubheitsgefühle in den Beinen, Schwindel, körperliche Erschöpfung, und Kältegefühle weisen auf einen Milz-Yang-Mangel mit Schleimbildung hin. Zunehmende Beinschwäche und Schwäche der Lendenwirbelsäule, Blasenfunktionsstörungen, verstärkter Schwindel, Sehstörungen, Steifheit, Schweißausbrüche und innere Unruhe sprechen für einen Leber- und Nieren-Yin-Mangel. Zittern, Muskelkrämpfe, einschießende Schmerzen und Lähmungen kennzeichnen das zusätzliche Vorliegen der Diagnose "Innerer Leber-Wind."

So seltsam und ungewohnt sich diese Bezeichnungen auch anhören mögen: Der erfahrene TCM-Arzt versteht deren Bedeutung genau und weiß, welche Therapie bei den verschiedenen Krankheitsbildern auszuwählen ist. Zusätzlich zu einer MS-Behandlung durch die westliche Medizin kann die TCM so bei vielen betroffenen Patienten zu einem tiefergehenden Verständnis der Krankheitsmechanismen und zu einer wesentlichen Verbesserung vieler Symptome beitragen.

Dr. med. Ulrich März

Anmerkungen von Dr. März zu wissenschaftlichen Studien:

In einer Untersuchung der MS-Klinik an der Universität von British Columbia gaben 566 Patienten an, alternative Verfahren einzusetzen, wobei Akupunktur die am meisten verwendete Methode war. Die Befragung bezüglich der Wirkung ergab eine Reduzierung von Schmerz, reduzierte Spastik, Besserungen bei Stuhl- und Blasen-Dysfunktion, Kribbeln und Taubheitsgefühlen. Laut einer Studie des Washington Acupuncture Centre, bei der über 10.000 Patienten untersucht wurden, zeigt sich bei 85 % aller MS-Patienten eine signifikante Besserung der Beschwerden durch Akupunktur. Quelle: Pacific College of Oriental Medicine

Redaktion: AMSEL e.V., 22.02.2007