Rückhalt Familie

Wie Matthias Trefzger mit seiner Krankheit umgeht und wer ihm dabei hilft.

„Ich würde alles für Dich tun: Dir die Zähne putzen, Dich aus der Badewanne hieven oder Dich füttern – Deinen Kopf aber werde ich Dir nicht ersetzen.“ – Dies sind die Worte, die Matthias Trefzger seinen ganz persönlichen Weg mit der Krankheit gewiesen haben. Ausgesprochen hat sie seine Frau Kirsten, ohne die, wie es der 35-Jährige Sprecher der Jungen Initiative 3-Länder-Eck sagt, er es nicht geschafft hätte: Die Krankheit anzunehmen, trotz MS nach vorne zu blicken und vor allem immer wieder etwas zum Lachen zu finden.

Diagnose in drei Minuten

Seit fünf Jahren hat er die Sicherheit: Die Doppelbilder, die Gefühlsstörungen in der linken Hand und der „Elektrik-Tick“, wie der gelernte Industrie-Mechaniker das Symptom für das Lhermitte-Zeichen nannte, waren Anzeichen der MS. 1997 schon hatte er diese Probleme, im Nachhinein ist er sich sicher: „Das war mein erster Schub!“ Die Nervenwasseruntersuchung hat den von seiner Frau und seinen Ärzten schon lange befürchteten und früh ausgesprochenen Verdacht schließlich bestätigt. Es gab keine Ausreden mehr.

Noch heute wird der lebenslustige Familienvater nachdenklich, wenn er daran denkt, wie er die Diagnose damals erfahren hat: „Das war echt der Hammer. Der Radiologe hat mir die Diagnose in drei Minuten hingeknallt. Und mich dann damit alleingelassen.“ In seiner ersten Verzweiflung hat er dunkelste Gedanken gehabt. „Ich sah erst mal keinen Ausweg, keine Zukunft, nichts. Ich ging an Bahnschienen entlang und dachte mir, was soll´s...Wenn ich meine Situation damals mit einem Bild erklären sollte, würde ich das eines Freeclimbers wählen: Mit einer Hand am Fels, immer kurz vorm Abrutschen.“

Rückhalt Familie

Warum er mir aber im Gespräch quicklebendig und lebhaft gestikulierend gegenübersitzt, hat drei Gründe: Kirsten, Tamara (9) und Vanessa (7) - seine drei Mädels. „Meine Familie gibt mir allen Halt der Welt. Ich bin sehr stolz auf meine beiden Töchter. Die gehen ganz selbstverständlich damit um, dass ihr Vater manchmal im Rollstuhl sitzt. Ab und zu, beispielsweise wenn wir schneller als andere durch die Europapark-Kasse kommen, finden sie es auch ganz praktisch.“, lacht er. Seine Frau Kirsten, so schildert Trefzger, sei seine größte Stütze und sein bester Freund. Sie habe ihn dazu gebracht, die MS zwar als einen Teil seines Lebens, aber nicht als sein ganzes Leben zu betrachten.

Trotzdem gab es in den letzten fünf Jahren immer wieder Tiefschläge: Als sein Arbeitgeber ihm zwei Wochen nach der Diagnose kündigte - per Post und ohne persönliches Gespräch, war das schon heftig. Oder als die Behörden (zwischen den Zeilen) durchblicken ließen: Für was sollen wir denn eine Reha genehmigen, wenn wir sowieso bald Rente bezahlen müssen. Nach einem Widerspruch hat er sie dann doch bekommen. Verlängern wollte er den Aufenthalt aber nicht, da seine besten Therapeuten, so der Familienmensch, zu Hause sitzen. Das hat auch der Klinik-Psychologe eingesehen. Das schönste Gefühl des Schopfheimers nach der Reha, die das Taubheitsgefühl in den Händen zeitweilig wegnehmen konnte: seine Kinder spüren.

Alltag mit MS

Dass er den Kopf nicht lange hängen lassen konnte, liegt auch daran, dass er viel zu eingespannt ist: als Erster in der Familie steht er auf und bereitet sich auf seinen Job vor, den er trotz MS und Verrentung mit 30, bekommen hat: Seit 2003 ist er täglich zweimal eineinhalb Stunden Fahrer für behinderte Kinder. Der Junge Ini-Sprecher sieht auch darin etwas Positives: „Wenn ich die kleinen Würmer so sehe, mit starken, meist geistigen Behinderungen, gibt mir das Kraft und Mut, weil ich sehe, die sind noch so klein und viel ärmer dran als ich.“ Nach getaner Arbeit muss er sich dann Ruhephasen gönnen - die Fatigue schlägt zu. Eine Stunde Akkus aufladen, dann ist wieder Zeit für die täglichen Spritzinjektionen und die Physiotherapie zweimal die Woche. Da seine Frau halbtags arbeitet, ist der Familienvater an einigen Tagen für´s Kochen zuständig. Schmunzelnd merkt er an, dass er sich schon weit über das „typische Spiegelei“ hinaus gesteigert hat. Nach dem gemeinsamen Mittagessen mit seinen Mädels muss er schon wieder los, um die behinderten Schüler abzuholen und nach Hause zu fahren. Wenn er dann nachmittags endgültig Feierabend hat, ist der Akku auch leer. Wenn es irgendwie geht, unternimmt er gerne noch was mit seinen Töchtern. Toben ist zwar nicht mehr drin, dafür begleitet er sie ins Freibad und übernimmt im Schatten die Verpflegung.

“It´s my Life!” – Neue Perspektiven

Durch diesen festen Rückhalt hat er eine meist sehr positive Sicht auf´s Leben: „Mir geht es eigentlich gut, mein Halt ist neben meiner Familie und meinen Eltern auch meine Nachbarschaft. Die springen mal mit Kinderbetreuung ein oder wir treffen uns auf ein Gläschen Wein. Dieses tolle Umfeld hat nicht jeder.“ Wenn es ihm trotzdem mal nicht gut geht, hört der bekennende Bon Jovi-Fan in „sein“ Lied rein: „It´s my Life“. Diesen Song hat er in der Zeit seiner Diagnose immer gehört, er gibt ihm Kraft und hat sich mittlerweile zu einer Art Familienhymne entwickelt.

Der Häuptling

Kraft und Bestätigung findet er auch bei der Jungen Ini, die er 2002 gegründet hat, um etwas für jüngere MS-Kranke tun zu können. Durch die Arbeit in der AMSEL haben sich neue Freundschaften entwickelt. Manchmal wird nur geplaudert, oder man geht zusammen ins Kino, Billard spielen – ganz normale Sachen eben. Nur eines gefällt dem „Häuptling“ (keine Selbstbetitelung) nicht: dass viele zu den Treffen nicht kommen können, weil sie immobil sind. Der Organisator Trefzger sucht bereits engagiert nach einem Fahrzeug, das die Gruppe für die einmal monatlich stattfindenden Zusammenkünfte nutzen könnte. Schließlich sei Isolation und das Sich-allein-gelassen-fühlen das Schlimmste an solch einer Krankheit, findet er.

Projekt 2005

Matthias Trefzger ist ein Mensch, der sich weiterentwickeln will. So hat er vor einem dreiviertel Jahr das Rauchen aufgegeben. Auch für 2005 schmiedet er Pläne: Durch Gleichgewichtstraining möchte er das von seinem Arzt ausgesprochene Fahrradverbot lockern und endlich mit seinen Kindern radeln gehen. Muss ja nicht gleich die „Tour de France“ sein, eine „Tour de Städtle“, ins Freibad, würde ja ausreichen. Sehen wir auch so!

Redaktion: AMSEL e.V., 15.08.2005