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Die Behandlung der spastischen Paresen bei Multiple Sklerose-Kranken

29.08.06 - Dies ist ein wichtiger Schwerpunkt im Therapiekonzept der Fachklinik Dietenbronn. Prof. Dr. med. Erich Mauch, Ärztlicher Direktor der Fachklinik für Neurologie Dietenbronn, berichtet über die Behandlung - nachzulesen auch in together 03/2006.

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems (ZNS), deren Entstehung noch immer nicht geklärt ist und für die es bislang keine endgültige Heilung gibt. Die Erkrankung ist charakterisiert durch an verschiedenen Stellen auftretende, ungleichmäßig verteilte Schädigungen an den Nervenbahnen im Zentralen Nervensystem. Durch diese Verteilung der Läsionen –‚ mit häufiger Kombination von Schädigungen im Rückenmark und Gehirn – entstehen oft sehr komplexe Behinderungen. Außerdem ist die MS eine Krankheit mit verschiedenen Phasen der Aktivität. Verschlechterungen können entweder bedingt sein durch akute Krankheitsschübe oder durch einen langsam fortschreitenden, chronischen Entzündungsprozess.

Spastische Lähmungen häufig

Mehr als die Hälfte der MS-Kranken leidet an einer spastischen Lähmung der Gliedmaßen. Spastische Lähmungen sind gekennzeichnet durch krankhaft erhöhte Muskelspannung und eine unkontrollierte Spontanmotorik. Klinisch beobachtet werden können bei spastischen Lähmungen Reflexsteigerungen und das Auftreten von Massenbewegungen.

Im Gegensatz zur Behandlung der spastischen Lähmungen bei Schlaganfällen stellt sich die Problematik bei MS-Kranken schwieriger dar, da bei Rückenmarksschädigungen auch die Steuerungssysteme der Motorik im Bereich des Hirnstamms beeinträchtigt sind.
So erfordert auch die Therapie viel Erfahrung und Kreativität bei Ärzten und Therapeuten.

Krankengymnastik gefordert

In Dietenbronn ist es das Ziel, die spastischen Paresen so wenig eingreifend und so lokal wie möglich zu behandeln. Hier ist in erster Linie die Krankengymnastik gefordert, aber auch die Ergotherapie und die Pflege. Das therapeutische Konzept fördert durch gezielte Reize, die die Oberflächen- und Tiefensensibilität so wie den Gleichgewichtssinn betreffen, das Wiedererlernen von normaler Bewegung und versucht krankhafte Reaktionen zu verhindern. Es wird angenommen, dass durch das Feed-back einer normalen aktiven Bewegung eine entsprechende Vernetzung von Nervenzellen entsteht, die durch Wiederholung gefestigt wird. Durch gezielt eingesetzte therapeutische Anregung werden verschiedene Rezeptorsysteme zur Regulierung der Muskelspannung und Beeinflussung von Muskelaktivitäten und somit zur Verbesserung von Haltung und Bewegung benutzt. Das Konzept ist nicht statisch, sondern dynamisch. Die Zusammenarbeit von Patienten, ärztlichem Team, Physio-, Ergotherapie und Pflege ist hier fundamental. Die häufige spastikhemmende Lagerung sowie die Integration der Patienten in den Alltag unterstützen die Erarbeitung gesunder Bewegungsmuster.
Steht eine ausgeprägte, massive spastische Lähmung beider Beine im Vordergrund, so versuchen wir durch die Verabreichung einer Kortison-Kristalllösung ins Nervenwasser (Liquor zerebrospina-lis) der Patienten eine Verringerung der Muskelspannung zu erreichen. Dieses Einbringen der Lösung ist meist sehr wirkungsvoll und kann mehrfach wiederholt werden.

Sparsamer Einsatz von Antispastika

Medikamente, so genannte Antispastika, werden möglichst niedrig dosiert eingesetzt, da es bei deren Anwendung zu einem zu starken Absenken der gesamten Muskelspannung und dadurch zu einer Verstärkung der Behinderung der Patienten kommen kann. Es ist häufig zu beobachten, dass die orale Gabe von Antispastika die Rumpfstabilität vermindert, wodurch reaktiv ausgleichend die Spannung der Extremitätenmuskulatur sogar verstärkt werden kann. Eine weitere Erhöhung der Antispastika-Dosis kann zu völligem Bewegungsverlust führen bis hin zu Störungen des Schluckens und Sprechens. Außerdem tritt als Nebenwirkung der Medikamente häufig auch eine Müdigkeit auf, die auf die zentrale Hemmung zurückzuführen ist.

Um eine umschriebene (krankhafte) Muskelverspannung (z. B. Adduktorenspastik) zu behandeln, hat sich bei uns die lokale Injektion von Botolinum-Toxin bewährt. Die sich wieder zurückbildende Kraftminderung hält üblicherweise 3 bis 4 Monate an. Diese Therapie stellt auch eine elegante Technik zur Verbesserung der Blasenfunktion, bei Patienten mit inkompletter Blasenentleerung in Folge einer Hypertonie des externen Blasenschließmuskels, dar.

Baclofen-Pumpe letzter Ausweg

Bei schwersten Fällen von Spastik, mit massiver Dauerspannung der Muskulatur, die nicht nur jede Bewegung im Keim erstickt, sondern die auch die Pflege der Patienten erschwert, ist die operative Einpflanzung einer Baclofen-Pumpe der letzte Ausweg. Die Patienten müssen allerdings darauf hingewiesen werden, dass die Baclofen-Pumpe nur zur Verringerung der Spastik führt und nicht zur Wiedererlangung der Kraft oder gar der Gehfähigkeit.

Eigenes Training unterstützt die Behandlung

Neben seinen krankengymnastischen Übungsbehandlungen hat der Patient in der Fachklinik in Dietenbronn in der Regel noch viel Zeit zum intensiven Eigentraining, um den Behandlungserfolg zu unterstützen. Dazu sind Übungsgeräte nützlich, mit denen sowohl ein Aufbau der gesunden Muskelspannung als auch eine Verringerung der Spastik möglich ist. Zusätzliches Stehtraining und Bewegung am Bewegungstrainer ergänzen die Behandlung.

In der Fachklinik für Neurologie stehen alle genannten Behandlungsverfahren zur Verfügung und werden mit viel Erfahrung und dadurch sehr erfolgreich eingesetzt. Wesentlich für einen langfristigen Behandlungserfolg ist die „unerschöpfliche Kreativität“ der Therapeuten. MS-Kranke können in einer Langzeitbehandlung nur so gut werden, wie ihre Therapeuten kreativ und flexibel sind. Notwendig ist auch eine fortwährende Motivation der Patienten durch ihre Therapeuten, damit sie bereit sind, stets im Grenzbereich ihrer Leistungsfähigkeit zu arbeiten.

 
Prof. Dr. med. Erich Mauch
 


Redaktion: AMSEL e.V., 04.09.2006