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Das Schicksal annehmen und standhaft bleiben

Im Together-Portrait 03/10 zeigt Elfriede Kamm wie sie den Alltag als Ehefrau, Mutter, Organisationstalent und pflegende Angehörige meistert.

1975 erlitt Karl Kamm bei einem Autounfall schwere Verletzungen am Kopf und Knie. Die darauffolgenden Untersuchungen brachten aber noch eine weitere Wahrheit ans Licht: Multiple Sklerose.

Die Diagnose traf den damals 39-Jährigen, seine ein Jahr jüngere Frau und die beiden 15 und 16 Jahre alten Töchter völlig unerwartet und stellte ihr Leben auf den Kopf – für die junge Familie nicht nur eine emotional, sondern auch existenziell schwierige und belastende Situation.

Denn schon zwei Jahre nach diesem dramatischen Einschnitt wurde der ehemalige Raumausstatter mit 41 Jahren berufsunfähig und vorzeitig berentet. Außerdem galt es ein Haus abzuzahlen. Doch die optimistische und tatkräftige Elfriede Kamm ließ sich nicht unterkriegen. So bestritt sie als Gardinennäherin für verschiedene Raumausstatter, die sie aus den Berufstagen ihres Mannes kannte, den Lebensunterhalt, pflegte ihren Mann, dessen Gesundheitszustand sich rasch verschlechterte, liebe- und aufopferungsvoll und meisterte auch noch den Haushalt.

Alltag einer pflegenden Angehörigen

Mittlerweile ist Karl Kamm schwerstpflegebedürftig, sitzt im Rollstuhl, kann sich nicht mehr bewegen, nur noch sehr eingeschränkt sprechen und mit erheblichen Schwierigkeiten essen. Er benötigt eine Rund-um-die-Uhr-Pflege und der Tagesablauf des Ehepaares ist auf die Erfordernisse seiner Pflege abgestimmt. Das Haus haben die Kamms in der Zwischenzeit aufgegeben, wurde es doch von Mal zu Mal schwieriger, die Treppen zu den oberen Etagen zu überwinden. Seit drei Jahren wohnen sie nun in einer liebevoll eingerichteten, gemütlichen, behindertengerechten Eigentumswohnung in Denkendorf, nahe einer Tagespflegeeinrichtung.

Ein typischer Tag beginnt für Elfriede Kamm um 5.00 Uhr mit der Morgentoilette des Ehemanns, den sie im Bett liegend wäscht, pflegt und anzieht. Daneben richtet sie das Frühstück, setzt ihren Mann an den Tisch und reicht ihm das Essen. Das Essen beansprucht meist rund eine Stunde, denn weil ihrem Mann das Schlucken schwerfällt, müssen die Mahlzeiten sehr klein und mundgerecht geschnitten sein oder zu Püree verarbeitet. An zwei Tagen in der Woche kommt ein Physiotherapeut, der mit Herrn Kamm Krankengymnastik macht. Danach gehen die Kamms oft spazieren und gönnen sich einen Mittagsschlaf, um bei Kräften zu bleiben.

Wenn die Nacht zum Tag wird

Die gebürtige Ellwangerin nutzt zweimal die Woche das Angebot der nahe gelegenen Tagespflege und zur zusätzlichen Entlastung das der Nachbarschaftshilfe. Während dieser Zeit kümmert sie sich um den Haushalt, geht einkaufen, räumt auf, nimmt eigene Arzttermine war, geht zum Friseur. Denn der Tag für Elfriede Kamm endet nicht mit dem gemeinsamen Abendessen, der Abendtoilette und dem Zubettgehen. Nachts schaut sie mehrmals, fast stündlich, nach ihrem Mann und deckt ihn liebevoll zu, denn aufgrund einer Schüttellähmung, an der Karl Kamm zusätzlich leidet, sind seine Beine unwillkürlich und ständig in Bewegung.

Elfriede Kamm klagt nicht über den anstrengenden körperlichen und emotionalen Einsatz, obwohl es ihr manchmal doch zu viel wird, da sie selbst auch gesundheitliche Probleme mit der Bandscheibe und Schmerzen in den Armen hat. Deshalb ist sie auch sehr froh, dass seit zwei Jahren zur Unterstützung ein elektrischer Lifter im Haus ist.

Allein und doch nicht allein

Die 73-Jährige genießt die Natur, liebt Blumen und gärtnert gerne auf ihrem Balkon. Sie freut sich an schönen Dingen, so auch an den schönen Farben und feinen Materialien der Gardinen, die sie genäht hat. Gerne würde sie auch einmal ein Buch lesen, aber dafür hat sie keine Zeit.

Was sie sich gönnt: mit einem befreundeten Ehepaar begeistert Binokel zu spielen und Angebote der Diakonie wahrzunehmen, wie zum Beispiel das gemeinsame Kochen oder das Gedächtnistraining. Und auf die einmaligen monatlichen Treffen der Kontaktgruppe Ostfildern möchte sie auch nicht verzichten – bietet sie dem Ehepaar doch bereits seit ihrer Gründung 1977 zusätzlich Rückhalt, Unterstützung und Freude mit Ausflügen. Und auch die beiden Töchter Heidi und Karin, beide mittlerweile über 50 Jahre alt, helfen und sind immer für Elfriede Kamm da.

Und das gibt ihr Kraft. Denn seit Jahren schon kann sie sich nicht mehr mit ihrem Mann austauschen, da er nur sehr schwer sprechen kann. "Es ist jemand da, und es ist doch niemand da!", so sagt Elfriede Kamm bedauernd. Das Schicksal anzunehmen, sich nicht dagegen zu wehren und standhaft zu bleiben – dieses Motto lebt sie jeden Tag. Liebevoll und mit ganzem Herzen pflegt sie ihren Mann, mit dem sie bereits die goldene Hochzeit gefeiert hat. Nur eines tut sie ganz bestimmt nicht: jammern.

Quelle: Magazin Together 03/10

Redaktion: AMSEL e.V., 02.09.2010