Barrierefreies Wohnen ist für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen Voraussetzung für ein selbstständiges Leben. Manchmal bedarf es dazu nur minimaler Anpassungen. Doch welche Möglichkeiten gibt es im Neubau und in der Anpassung von vorhandenem Wohnraum? Eine Wohnberatung kann aufzeigen, welche Wohn-Anpassungsmöglichkeiten (technisch/finanziell) es gibt und geschulte Handwerker vermitteln. Wichtig kann eine Wohnberatung z.B. sein, um vorsorglich bei drohendem Gehverlust festzulegen, wo bei einem Neubau ein Leerrohr für Stromkabel zu legen ist, um die Haustür später für einen elektrischen Türöffner zu elektrifizieren oder bei der Frage, warum es sinnvoll sein kann, das WC ein paar Zentimeter höher zu setzen.
Ralf Fischer ist Wohnberater bei buefet e.V. und Mitarbeiter bei Service-Plus – einem Projekt, bei dem Handwerker zum Thema Barrierefreiheit geschult und sensibilisiert werden. Als MS-Betroffener mit Gehbeeinträchtigungen weiß der Kontaktgruppenleiter der AMSEL-Gruppe Wernau aus eigener Erfahrung, worauf bei Barrierefreiheit im Wohnbereich zu achten ist.
Im Nachrichtenmagazin "together" stellt Ralf Fischer regelmäßig Praxisbeispiele aus seiner Arbeit als Wohnberater vor.
Praxisbeispiel aus "together 03.17":
Selbstständiges Wohnen im Alter
Frau N. (71), Pflegegrad 1, wohnt alleine in einer 3-Zimmer-Wohnung im 1. OG eines Mehrfamilienhauses mit Aufzug. Ihr Sohn wohnt 50 Kilometer entfernt, weitere Familienangehörige wohnen nicht in der Nähe. Da die Wohnung gemietet ist und nicht absehbar, ob und für wie lange Frau N. in der Wohnung bleibt, sind einfache, praktikable und vor allem kostengünstige oder krankenkassenfinanzierte Lösungen vorrangig.
Frau N. kann sich noch selbst anziehen, waschen, Essen zubereiten und mithilfe von Unterarmgehstützen mehrere Meter gehen, braucht aber fürs Einkaufen Unterstützung. Da ihr Sohn und ihre Schwiegertochter beide berufstätig sind, wurde die Möglichkeit einer kostenlosen Einkaufshilfe angedacht – viele Kommunen bieten so genannte "Bürger-/Seniorenbusse" an – über das Angebot informieren die Gemeinden.
Für Wohnräume gilt bei eingeschränkter Gehfähigkeit weiterhin ganz generell:
Stolperfallen (z.B. Teppiche, Kabel) eliminieren, Laufwege freihalten. Kommoden oder Regale fixieren, damit man sich ggfs. daran festhalten oder stützen kann. Für ausreichend Beleuchtung sorgen.
Möglichkeiten im Bad
Im Bad befinden sich eine Dusch- und Badewanne. Die Badewanne kann aufgrund der körperlichen Situation von Frau N. nicht mehr genutzt werden. Die Duschwanne ist mit 90 x 90 cm recht geräumig, der Einstieg mit 25 cm ziemlich hoch. Um die Einstiegshöhe zu verkleinern, kann ein Tritt vor der Duschwanne helfen. Für mehr Sicherheit beim Duschen sorgen Griffe an der Wand und ein Duschstuhl (Versorgung: Rezept Arzt > Sanitätshaus). Wichtig: der Sitz sollte ausreichend breit und tief, ggfs. mit Rückenlehne, sein. Die Dusche hat einen Vorhang, was von Vorteil ist, damit ausreichend Platz ist, sollte Frau N. Hilfe beim Duschen benötigen.
Der Spiegel im Bad sollte niedriger angebracht werden, damit auch der Oberkörper noch zu sehen ist, wenn man auf einem Stuhl oder im Rollstuhl sitzt. Das Licht sollte optimalerweise von vorne kommen, um das Gesicht besser auszuleuchten; Licht von oben erzeugt Schatten. Für das WC empfiehlt sich eine Sitzerhöhung, mit oder ohne Griffe (Rezept). Bei Bedarf können auch beim Waschbecken Griffe montiert werden.
Flur und Küche
Im Flur ist der Einsatz eines Nachtlichts z.B. zum Einstecken in der Steckdose hilfreich, falls man nachts zur Toilette muss, um nicht den ganzen Flur beleuchten zu müssen. Das Anbringen einer waagerechten Stange im Gang (1,5 Meter lang) empfiehlt sich zusätzlich – zum Halten, als Sicherheit und als Trainingsgerät, z.B. für Kniebeugen. In der Küche sind die Oberschränke gut erreichbar und alltägliche Utensilien wie Teller, Schüsseln, Mixer etc. sind in den Unterschränken untergebracht. Bei Bedarf kann auf der Küchenarbeitsplatte noch eine Reling (eine Art Geländer) zum besseren Halt im Stehen angebracht werden.
Balkon, Wohn- und Schlafzimmer
Frau N. hat einen großen Balkon, auf dem sie sich gerne aufhält. Die Balkontüre ist zwar ausreichend breit für einen Rolli/Rollator, aber die Schwelle mit 8 cm recht hoch. Hier wäre der Einsatz einer so genannten Schwellenrampe (Abb. links) denkbar. Eine kostengünstigere und evtl. praktikablere Alternative wäre die Anbringung von zwei Holzkeilen (innen und außen), diese lassen sich ggf. leichter anbringen und verstauen. Im Wohnzimmer ist eine gute Beleuchtung im Bereich der Couch, am besten ein Deckenstrahler, empfehlenswert. Um nicht so tief in den Sitzmöbeln einzusinken und um leichter aufzustehen, kann die Sitzfläche mit entsprechenden Keilen aus Schaumstoff unterlegt werden. Ein Pflegebett im Schlafzimmer kommt für Frau N. aus optischen Gründen nicht infrage, zumal sie ihre bisherige Liegefläche von 140 x 200 cm beibehalten möchte. Das Bett hat einen Rahmen aus Holz und ist ca. 37 cm hoch. Diese Höhe ist für den jetzigen Bedarf zu niedrig. Es empfiehlt sich eine Erhöhung des Rahmens auf 52 cm. So kommt sie gut aus dem Bett und kann sich am Bettrand sitzend ankleiden.
Hausnotruf gibt Sicherheit – auch den Angehörigen
Da Frau N. alleine lebt, empfiehlt sich die Anschaffung eines so genannten Hausnotrufs, ein kleines Gerät, das als Armbanduhr, Kette oder Anhänger getragen wird. Im Falle eines Sturzes bspw. betätigt man den Knopf des Senders, der einen Notruf an die hinterlegte Notrufzentrale abgibt. Wenn weitere Empfänger hinterlegt sind (z.B. Kinder oder Nachbarn), erhalten auch diese einen Notruf. Es gibt verschiedene Systeme und Anbieter (z.B. DRK, Johanniter, Malteser, etc.); die Kosten sind überschaubar, die Geräteinstallation liegt einmalig zwischen 20 und 80 Euro, die monatliche Nutzungsgebühr (je nach Anbieter und Ausstattung) bei ca. 20 Euro. Bei Vorliegen eines Pflegegrades bezuschusst die Pflegekasse die Nutzungsgebühren mit 18,36 Euro im Monat.
Fazit: Die beschriebenen Maßnahmen sind einfach, schnell, kostengünstig und ohne Genehmigungspflicht durch den Vermieter zu realisieren. Durch die Installation des Hausnotrufs ist auch der Sohn jetzt beruhigter, weil seiner Mutter im Falle eines Sturzes entsprechend schnell geholfen werden kann.
Quelle: AMSEL-Nachrichtenmagazin "together", Ausgabe 03.17
Redaktion: AMSEL e.V., 09.10.2017