Auch wenn es ein wenig Offtopic ist:
Liest man sich die 3-Jahres-BENEFIT-Studie aufmerksam durch (gemeint ist diese: <a href=“http://www.neurology.org/cgi/content/abstract/67/7/1242”>http://www.neurology.org/cgi/content/abstract/67/7/1242</a>, öffentlich zugänglich leider mal wieder nur der Abstract), fallen mir zumindest ein paar methodische Mucken auf, allen voran diese:
Nach der 2-Jahres-Studie wurde den 437 verbliebenen Probanden (271 aus der Interferon-Gruppe, 166 aus der Placebo-Gruppe) angeboten, an einem Follow-up teilzunehmen. Dabei konnten sich ALLE aussuchen, ob sie im dritten Jahr Interferon nehmen wollten oder lieber nichts. Die meisten entschieden sich für Interferon, so dass von den 392 Probanden, die auch nach dem dritten Jahr noch an der Studie teilnahmen 343 Probanden im dritten Jahr Interferon erhalten hatten. Eigentlich gibt es also nach dem dritten Jahr 4 verschiedene Studien-Arme:
- 3 Jahre ununterbrochen Interferon erhalten (225 Probanden)
- 2 Jahre ununterbrochen Interferon erhalten, danach ein Jahr nichts (24 Probanden)
- 3 Jahre Placebo erhalten (25 Probanden)
- 2 Jahre Placebo erhalten, danach 1 Jahr Interferon (118 Probanden)
In der Studie werden jetzt aber nur 2 Gruppen verglichen, nämlich die ursprüngliche Interferon-Gruppe (Gruppen 1 und 2) mit der ursprünglichen Placebo-Gruppe (Gruppen 3 und 4). Das kann man zwar machen, ist aber methodisch insofern ziemlich problematisch, weil man nun Äpfel mit Birnen vergleicht und diese Vergleichsdaten gar nicht sinnvoll interpretiert werden können. Jedenfalls handelt es sich nicht um einen Vergleich einer Interferon-Gruppe mit einer Placebo-Gruppe, denn die meisten Probanden der Placebo-Gruppe erhielten im dritten Jahr auch Interferon. Und es handelt sich auch nicht um den Vergleich einer Gruppe, die 3 Jahre Interferon erhielt, mit einer Gruppe, die 1 Jahr Interferon erhielt, da es im dritten Jahr ja in beiden Gruppen auch ein paar Probanden gab, die kein Interferon nahmen.
Da es sich nicht um einen Vergleich zwischen Interferon und Placebo handelt, kann man jedenfalls nicht sagen, dass 12 Patienten mit Interferon behandelt werden müssen, damit einer profitiert (8 %).
Dass nämlich die Interferon-Behandlung der ursprünglichen Placebo-Gruppe einen Unterschied macht, lässt sich z. B. an den in der Studie angegebenen jährlichen Schubraten ablesen:
Jahr—ursprüngliche Interferongruppe—ursprüngliche Placebogruppe
1—0,4—0,26
2—0,25—0,2
3—0,23—0,24
Im dritten Jahr war die jährliche Schubrate in der ursprünglichen Placebogruppe (die in dem Jahr ja aber auch hauptsächlich eine Interferon-Gruppe war) also geringfügig niedriger als die in der ursprünglichen Interferon-Gruppe. Das könnte was mit der Interferon-Gabe zu tun haben - und dürfte sich auch auf die EDSS-Werte ausgewirkt haben.
Ein weiteres methodisches Problem, das es bei jeder Studie in der einen oder anderen Form gibt, ist dass die Indikatoren ziemlich vage sind. So wird bei den EDSS-Werten einfach nur gezählt, wieviele Probanden mindestens einen Punkt oder mehr auf der EDSS-Skala “hinzugewonnen” haben. Ob es 1 Punkt war oder vielleicht 5, ist egal, genauso wie es egal ist, ob es fast 1 Punkt war oder ob der EDSS-Wert vielleicht sogar gesunken ist. Das Kriterium ist also ziemlich ungenau und lässt viel Raum für Verzerrungen. Die akkumulierten EDSS-Werte wären aussagekräftiger.
Hinzu kommt selbstverständlich, dass in der ursprünglichen Interferon-Gruppe “nur” 14 % der Probanden einen oder mehr Punkte auf der EDSS-Skala nach oben gefallen sind, während es in der ursprünglichen Placebo-Gruppe 23 % waren. Wenn es aber “nur” 23 % Probanden waren, die überhaupt eine Verschlechterung des EDSS-Werts um 1 oder mehr in der Kontrollgruppe hatten, dann können natürlich gar nicht 30 % der Probanden von Interferon kontrollieren, da sonst ja -7 % der Interferon-Probanden einen Anstieg auf der EDSS-Skala hätten verzeichnen müssen, negative Zahlen aber methodisch gar nicht möglich sind.
Außerdem ist der EDSS-Wert sicherlich nicht alles. Eine effektive Schubverhinderung bedeutet sicherlich auch ein Plus an Lebensqualität - selbst wenn die Behinderung wie bei Placebo zunimmt.
Ich frage mich jedenfalls, woher die sonst immer kolportierten 30 % überhaupt kommen.
Ich will damit nicht sagen, dass Interferon superduperklasse ist. Im Gegenteil haben wir das für uns von Anfang an ziemlich klar ausgeschlossen - nachdem wir die Nebenwirkungsliste gelesen hatten. Und trotz der methodischen Probleme wird man mit den Daten nie im Leben auf die 30 % kommen. Aber ich möchte zumindest darauf hinweisen, dass es auch nicht stimmt, dass “nur” 8 % von Interferon profitieren.