Hallo Lena,
ich glaube nicht, dass du zu optimistisch bist. Du packst das richtig an und ich bin froh, mal so etwas zu erfahren. Ich kenne das Gegenteil von meiner Schwester. Sie war nicht direkt pessimistisch, aber sie hat ihre Krankheit immer als “Gegner” gesehen und hat die MS personifiziert. (SIE lässt mich nicht in Ruhe! Ich zeige IHR, wer der Stärkere ist!) Jeden Schub, jede Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes, jede bleibende Behinderung hat sie als persönlichen Misserfolg bzw. Niederlage gesehen. Sie hat sich zuletzt nur noch mit “Zorn” bewegen können. Mir ist noch so ein Moment vor Augen, als sie sich kaum mehr alleine umsetzen konnte, sie von mehreren Versuchen völlig erschöpft war und sich nicht von mir helfen lassen wollte. Ich verstehe, dass sie es alleine schaffen wollte, aber die schroffe Antwort war. "Lass mich, ich brauche kurz Zeit um einen Riesenzorn aufzubauen, damit schaffe ich es. Sie hat es nicht mehr geschafft und danach bis jetzt nie wieder. Ihr Zorn, ihre Wut, also ihr Lebenselixier war in über 20 Jahren einfach aufgebraucht, verpufft. Es ist das eingetreten, was sie abgrundtief immer gehasst hat und IHR abgesprochen hat (“DU kriegst mich nicht klein!”)… völlige Abhängigkeit, Pflegefall.
Seit Jahren versuche ich sie davon zu überzeugen, dass sie ihre Einstellung ändern muss, aber sie will nicht. Sie will iweiter ihren nutzlosen Körper hassen, der nicht das tut, was sie will, sie will weiter gegen SIE kämpfen, keinen Kontakt zu anderen MS-Kranken, sie will keinen Besuch, keine Medikamente, sie will nicht, sie will nicht, sie will nicht…
Es ist ja nicht so, dass ich ihr vorbete, dass sie nur noch Hosianna singen soll…
Einmal habe ich ihr gesagt, weisst du, die Spastik, die ist bei dir im Kopf!!!
Jetzt ist sie am Verzweifeln, weil ihre seitherige Zorn-und-Wut-Strategie sie völlig im Stich lässt. Obwohl die doch “über 20 Jahre funktioniert hat”. Ich sage ihr, dass diese Strategie niemals funktioniert hat. Sie ist niemals “Herrin” über SIE (die MS) gewesen, auch wenn sie sich das immer vorgemacht hat. Immer hat sie nur kompensiert. Jetzt gibt es nichts mehr zum Kompensieren. Auf meine Frage, wie schlecht es ihr denn noch gehen soll, bis sie endlich versteht, dass man mit Zorn und Wut und Hass auf den eigenen Körper das Problem nicht löst und die MS nicht “in den Griff kriegt”.
So langsam fängt sie an, mich zu verstehen.
Ich könnte noch sehr, sehr viel dazu schreiben, aber das würde den Rahmen sprengen.
Das Meckerle hat einen sehr schönen Beitrag geschrieben, den ich nur unterstreichen kann.
Liebe Lena, deine Einstellung ist goldrichtig, Liebe für sich selbst und seinen Körper empfinden (auch wenn er mal nicht so funktioniert), das ist das Wichtigste.
Nicht nur bei MS.
Ich wünsch dir alles Gute
Gabi