Hallo zusammen,

bei meiner Freundin wurde vor kurzem MS diagnostiziert. Bei dem ersten Neurologen wo wir waren wurde uns nach ausführlicher Beratung eine Theraphie mit Interferonen empfohlen. Nun waren wir dannach für eine zweite Meinung in der Uni-Klinik. Dort wurde uns nach kurzem Gespräch recht unvermittelt ein Rezept für Tysarbi in die Hand gedrückt… dies verwunderte mich da der erste Neurologe uns gesagt hatte er würde zwar auch Tysarbi empfehlen die wäre bei meiner Freundin als Ersttheraphie nicht zugelassen. Der Doc aus der Klinik sagte das wäre Quatsch und wir sollten uns auf jeden Fall für Tysarbi entscheiden. Meine Freundin hat sehr viele aktive Herde und hatte in den letzten 6 Monaten einen Schub; in den letzten 3 Jahren ca 4 Schübe soweit wir das nachvollziehen können.

Was denkt Ihr darüber? Sollen wir uns für Tysarbi entscheiden? Hat die Uni-Klinik irgendeine Motivation so extrem schnell Tysarbi zu verschreiben?

Danke für euren Input/Kommentare vorab

VG, Tom

hallo tom,

unikliniken unterliegen nicht demselben spardruck wie niedergelassene ärzte. der niedergelassene arzt wird gesetzlich dazu gezwungen, das billigste zu verschreiben, was noch zweckmäßig ist. daher wird ein niedergelassener neuro nur ungern tysabri verschreiben, ich habe jetzt schon mehrmals gehört, dass sich welche geweigert haben, aus kostengründen. ich würde die gelegenheit beim schopf fassen und zugreifen,tysabri ist schließlich das beste was es zurzeit gegen ms gibt. alles gute!

Hallo,

ergreift die angebotene Chance durch die Uniklinik.
Tysabri ist zur Zeit das wirksamste MS Medikament auf dem Markt!

Mfg
Uwe

Hi bettina,

ich bin mir nicht sicher, ob das schon die ganze Wahrheit ist. Meine Freundin ist momentan noch privat versichert, weshalb es den niedergelassenen Ärzten wurscht sein könnte, welches Medi sie verschreiben. Wir haben aber genau die gleichen Erfahrungen gemacht wie Tom und seine Freundin: Der niedergelassene Neuro und sogar der Chefarzt der größten hiesigen Klinik-Neurologie haben uns klar gesagt, dass Tysabri für meine Freundin nicht zugelassen ist (nur schwere Fälle und nur nach vorhergegangener Versuche mit Interferonen und Glatirameracetat). In der Uniklinik der nächstgrößeren Stadt haben wir aber die Info bekommen, dass Tysabri ein zugelassenes Medi sei und es somit im Belieben des Arztes stehe, ob er es verschreibt oder nicht.
Da es zu der Zeit noch um Erstschubbehandlung ging und noch nicht um Basistherapie, hatten wir das Thema erstmal nicht vertieft. Der niedergelassene Neuro hier meint nun, dass er (vor Interferon-/Glatirameracetat-Behandlung) nicht damit anfangen würde, Tysabri zu verschreiben. Wenn wir aber die Uniklinik dazu bekommen würden, meiner Freundin die allererste Tysabri-Infusion zu geben, dann würde er sich auch nicht mehr quer stellen und das verschreiben, so dass wir nicht immer pendeln müssten.
Da müssen noch irgendwelche Motive jenseits des Budget-Drucks bei gesetzlich Versicherten eine Rolle spielen. Aber wir verstehen’s nicht. Vielleicht will er die Verantwortung nicht übernehmen, falls es doch zu PML oder ähnlich Schlimmem kommt … Keine Ahnung :frowning:

Hallo Bert,

"nur schwere Fälle und nur nach vorhergegangener Versuche mit Interferonen und Glatirameracetat). "

Entscheidend sind die Wörtchen “und”.
Die sind nämlich nicht richtig. Dort müßte ein "oder " stehen
Es steht nirgends, dass man mit “allen” oder “mehreren”
MS-Therapien scheitern muss. Was ein “schwerer Fall” ist, ist
auch nicht genau definiert. Die Neuros haben also einigen
Spielraum. Nur wenn ein Patient überhaupt keine Beschrwerden/Schübe
hat und noch keine BT vorher, ist Tysabri nicht zugelassen.

“Vielleicht will er die Verantwortung nicht übernehmen, falls es doch zu PML oder ähnlich Schlimmem kommt…”
Das mit der Verantwortung ist eher unwahrscheinlich. Er muss
aufklären und die Risiken beschreiben. Die Entscheidung bleibt dann immer
noch beim Patienten.

Das PML-Risiko ist ja auch nicht mehr das was es mal war:
13.000 Tysabri-Patienten und kein einziger PML-Fall.

Gruss
samoa

Hi Tom,

soweit ich das beurteilen kann, ist Tysabri gerade (mit einigem Abstand) das potenteste Mittel auf dem Markt, das in den Krankheitsprozess eingreift und dadurch langfristig Schübe verhindert. Allerdings sollte man sich m. E. darüber bewusst sein, dass das Sicherheitsrisiko bei Tysabri unklar ist. Das ist auch der offizielle Grund dafür, dass nicht jeder MSler sofort Tysabri bekommen darf, wobei es viele Mutmaßungen darüber gibt, dass der eigentliche Grund eher in dem astronomischen Preis für das Medi zu suchen sei.

Bei einer Kombinations-Studie mit Avonex (und bei einer Studie zu Morbus Crohn, also einer ganz anderen Krankheit) kam es zu einigen wenigen Fällen einer schweren Viruserkrankung im ZNS, die ansonsten nur bei Menschen mit schwachem Immunsystem auftritt, z. B. HIV-Infizierten: PML heißt die Krankheit (Hab vergessen, wofür die Abkürzung steht). Bei zwei oder drei Menschen führte das zum Tod, wobei ein bißchen unklar ist, inwieweit das wirklich an Tysabri gelegen hat. Außerdem sind die Fälle bei MS-Kranken nur in der Kombinationstherapie aufgetreten, also bei Probanden, die sowohl Tysabri als auch Avonex bekommen haben, also zwei Substanzen, die auf unterschiedliche Weise beide das Immunsystem drosseln. Das Medi wurde daraufhin erstmal vom Markt genommen, ist jetzt aber seit ein, zwei Jahren wieder auf dem Markt. In den USA kann das jeder (zahlungsfähige) MSler bekommen. Es gibt dort eine spezielle Sicherheitsstudie, an der jeder teilnimmt, der das Medi bekommt. Zur Zeit sind das wohl so etwa 10.000 Menschen. Weltweit geht die Zahl wohl eher gegen 20.000. Und bislang gibt es wohl keinerlei Berichte darüber, dass irgendjemand, der nur Tysabri nimmt, PML oder eine ähnlich schlimme Krankheit bekommen hätte. D. h. es sieht so aus als wenn es kein Risiko für reine Tysabri-Nutzer gibt. Allerdings kann man so ein Urteil angesichts der relativ kurzen Dauer, die das Medi auf dem Markt ist, schlecht fällen. Wer weiß, was in 2, 5 oder 15 Jahren ist.

Soweit ich das als medizinischer Laie verstanden habe, hindert Tysabri bestimmte Immunsystem-Zellen daran, die sog. Blut-Hirn-Schranke zu überschreiten. Das Immunsystem kann also nicht mehr ins ZNS gelangen. Das wirft für mich als Laien ganz allgemein die Frage auf: Was ist denn, wenn es im ZNS mal irgendwelche Erreger gibt, um die sich das Immunsystem kümmern sollte? Der für PML verantwortliche JC-Virus ist wohl ein solcher Erreger.

Wenn du dich näher informieren möchtest, solltest du mal die Threads der letzten 2 Monate in diesem Forum durchgehen, die im Titel auf Tysabri hinweisen. Es gab dazu sehr ausführliche Diskussionen, teilweise auch mit Links zu weiterführenden Infos. Wie gesagt: Es sieht so aus als wäre Tysabri gerade das beste MS-Medi auf dem Markt - aber vielleicht gibt es auch ein erhebliches Riskiko, worauf allerdings nicht so sehr viel hinweist. Ich denke dennoch, dass jeder Tysabri-User sich dessen bewusst sein sollte.

Ansonsten würde ich mit dem Uniklinik-Arzt abklären, ob er sich sicher ist, dass ihr da auch keine Scherereien mit der Krankenkasse hinterher habt. Ich kann das überhaupt nicht beurteilen, aber ich habe da so ein wenig die Befürchtung, dass die Krankenkassen quengeln könnten, wenn ein Arzt Tysabri einfach verschreibt, obwohl Interferon und Glaterameracetat noch nicht ausprobiert worden sind.

Hi samoa,

danke für die Hinweise.
Ich war mir auch selber nicht so sicher, ob das stimmt, als ich die “und” schrieb.

Ich verstehe trotzdem nicht, warum sich die Neuros hier so sträuben, der Uni-Klinik-Arzt das aber wesentlich gelassener zu sehen scheint. Liegt’s vielleicht daran, dass die Uni-Klinik-Ärzte die Studien lesen, die niedergelassenen Ärzte aber nur die Richtlinien?

Wo ich dich gerade “am Wickel” hab, samoa: Ich glaube, du warst es, die vor einiger Zeit in einem der Tysabri-Threads geschrieben hat, dass es Medis mit über 20 Fällen von PML gibt, die bislang aber überhaupt noch nicht vom Markt genommen wurden. Warst du das?
Ich hatte dazu damals noch gefragt, was das denn für Medis sind, aber keine Antwort erhalten - wahrscheinlich, weil der betreffende Thread da schon nicht mehr auf der ersten Seite gewesen war. Kannst du mir das vielleicht jetzt beantworten?

Hallo Bert,

ich denke die Gründe warum manche Neuros Tysabri
nicht verschreiben wollen sind menschlich und nachvollziehbar:

  • Budgetsituation
  • lückenhafte Kenntnisse
  • Vorsicht
    Leider ist es halt so, dass man entweder “Glück hat” oder sich
    “auf die Hinterbeine stellen muss”.
    Selber informieren ist sowieso immer gut.

Das Medikament mit den PML-Fällen ist Rituxan.
Hier der Link dazu:
http://www.gene.com/gene/products/information/pdf/rituxan_DHCP_Letter.pdf

(Bezüglich MS gab es mit Rituxan eine Phase II Studie)

Gruss
samoa

Hallo Bert,

<<Es gibt dort eine spezielle Sicherheitsstudie, an der jeder teilnimmt, der das Medi bekommt.>>
Das ist keine richtige Studie sondern ein spezielles Überwachungsprogramm, dass
nur für Tysabri erfunden wurde. Die FDA überlegt aber derzeit, dieses Überwachungs-programm allgemein einzuführen.

Tysabri wurde von der FDA mit dem angenommenen
PML-Risiko von 1:1000 zugelassen. Man hat dabei das maximale Risiko angenommen:
3000 Studienteilnehmen aus der Kombinationstherapie mit Avonex; drei PML-Fälle =
Risiko 1:1000. Wenn man diese 1:1000 mit statistischen Mitteln betrachtet, dann kann dieses Risiko durch die ca. 13.000 Tysabri-User jetzt schon nicht mehr stimmen. Wenn weiterhin kein PML-Fall auftritt, dann besagt dieses statistische Modell, dass bald auch 1:5000 nicht stimmen kann.
Ich habe gelesen, dass die “normale” Häufigkeit von PML bei 1:20.000 liegt.
Bei HIV (starke Immunschwäche) liegt sie bei 3-5%.

<<Soweit ich das als medizinischer Laie verstanden habe, hindert Tysabri bestimmte Immunsystem-Zellen daran, die sog. Blut-Hirn-Schranke zu überschreiten. Das Immunsystem kann also nicht mehr ins ZNS gelangen. Das wirft für mich als Laien ganz allgemein die Frage auf: Was ist denn, wenn es im ZNS mal irgendwelche Erreger gibt, um die sich das Immunsystem kümmern sollte?>>
Deine Folgerung ist schon begründet. Gott sei Dank tummeln sich hinter der Blut-Hirn-Schranke wesentlich weniger Erreger als davor. Ich würde das aber als riesen Vorteil
von Tysabri sehen. Während “herkömmliche” Chemotherapien, das Immunsystem
sehr stark beinträchtigt oder sogar auslöscht, macht Tysabri “nur” die Blut-Hirn-Schranke für das Immunsystem dicht. Vor der Blut-Hirn-Schrank wirkt das Immunsystem aber
noch.

Gruss
samoa

Hallo samoa,

danke für deine Antworten - und deine Berichtigungen. :slight_smile:

LG,

Bert