„Phantasie/Vorstellungskraft ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt“
Albert Einstein
Meine Läsionen in HWS/BWS sind nicht ganz verschwunden. Ein guter Radiologe kann die Schatten im Bild erkennen.
Aber sie sind nicht mehr aktiv, es findet offensichtlich keine weitere Zerstörung statt. Die Merkmale für klassische Rückenmarksherde sind nahezu weg.
Was ist das Besondere an Rückenmarksherden?
In alten Lehrbüchern wurde die MS noch unter den Erkrankungen des
Rückenmarks abgehandelt. Tatsächlich ist das Rückenmark eine bevorzugte
Lokalisation der MS-Herde. Da dieses Thema heutzutage etwas zu kurz kommt,
möchte ich in dieser Frage der Woche kurz darauf eingehen.
Rückenmarksherde sind aus zwei Gründen problematisch:
Das Rückenmark ist nicht viel dicker als ein Finger. Wichtige Nervenbahnen
sind hier auf engstem Raum zusammengedrängt. Darum kann auch eine
kleine Läsion zu erheblichen Ausfällen führen (“klein, aber gemein”).
1.Die MS-Herde im Halsmark sind spindelförmig und liegen oft genau an der
Mittellinie. Sie sind sehr labil und neigen dazu, bei Wetterumschwung,
Stressbelastungen oder aus unerfindlichen Gründen wieder aktiv zu werden.
Das heißt, in dem vernarbten Herd befindet sich eine Restentzündung, die ab
und zu wieder aufflackert. Wenn sich dann erneut ein Umgebungsödem
ausbildet, kann es in mehr oder weniger großem Ausmaß auf die Gegenseite
übergreifen. In der Praxis bedeutet das, dass Herde im Halsmark mal
Sensibilitätsstörungen in den Beinen, mal in den Händen, mal mehr links,
mal mehr rechts bewirken können. Sogar eine Schwäche in beiden Beinen ist
möglich. Man kann dann meinen, es handele sich jedes Mal um Symptome,
die auf einen neu entstandenen Herd zurückzuführen sind, während in
Wirklichkeit nur ein alter Herd nicht zur Ruhe kommt.
2.Es gibt zwei typische MS-Symptome, die im Zusammenhang mit
Rückenmarksherden auftreten:
Das Lhermittsche Zeichen
Das "Korsettgefühl"
Beim Lhermitteschen Zeichen handelt es sich um elektrisierende Schmerzen in der
Halswirbelsäule, die durch das Beugen des Kopfes nach vorn provoziert werden
können. Ursache ist in aller Regel ein Entzündungsherd im Halsmark, wobei der
entzündliche Prozess die Rückenmarkshaut mitbeteiligt. Diese wird beim
Vornüberbeugen des Kopfes etwas gespannt und reagiert mit stromstoßartigen
Schmerzen. Da die Liquorpunktion im Frühstadium der MS oft noch keinen
pathologischen Befund ergibt, sollte der nächste diagnostische Schritt die
Kernspintomographie der Halswirbelsäule sein.
Das “Korsettgefühl” wird von manchen als Eingeschnürtsein (wie von einem zu
engen Korsett), von anderen als “Reifen um die Brust” beschrieben. Oft betrifft es
nur eine Körperhälfte. Um dasselbe Phänomen handelt es sich, wenn berichtet
wird, der Unterschenkel sei “wie in einem Schraubstock” eingezwängt, oder eine
Hand stecke in einem unsichtbaren Handschuh, der zu klein sei.
In jedem Fall beruhen diese Missempfindungen auf einem Herd im Rückenmark.
Wenn die Hand betroffen ist, liegt er im Halsmark (und ist dann oft auch von dem
Lhermitteschen Zeichen begleitet), wenn sich der “Ring” in Höhe des Bauchnabels
befindet, im Brustmark, und wenn die Haut des Unterschenkels zu eng zu sein scheint, im Lendenmark.
Sowohl das Lhermittesche Zeichen als auch das “Korsettgefühl” sind Symptome
des frischen Schubes. Sie sind auf das Umgebungsödem zurückzuführen, das sich
um den frischen Entzündungsherd herum ausgebildet hat. Sie halten in der Regel
nicht länger als Tage oder wenige Wochen an und bilden sich fast ausnahmslos
wieder zurück. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Symptome über Monate und
Jahre mehr oder weniger unverändert fortbestehen.
Quelle: Dr. Wolfgang Weihe