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Der Fatigue auf der Spur

Ein deutsches Forscherteam will die Fatigue gebündelt angehen. Darunter auch Prof. Hayrettin Tumani, Mitglied im Ärztlichen Beirat der AMSEL.

Vor Corona sagte Fatigue den wenigsten etwas. War das übermäßige-Abgeschlagenheits-Syndrom bis zur Pandemie doch beschränkt auf wenige Erkrankungen, etwa Multiple Sklerose und manche Krebsarten. Covid-19 hat das geändert. Fatigue gilt als eines von vielen Covid-19-Symptomen, ist besonders gefürchtet im Rahmen von Long-Covid.

Unter Fatigue versteht man eine chronisch erhöhte Erschöpfbarkeit. Sie kann sich sowohl körperlich als auch mental auswirken und wird von den Betroffenen meist als sehr belastend wahrgenommen. Im Unterschied zu gesunden Menschen, die selbstredend auch "mal müde" sind, vor allen Dingen bei Schlafmangel, im Rahmen eines fiebrigen Infekts oder nach großer Anstrengung, stehen Anstrengung und Müdigkeit bei Fatigue in keinem Verhältnis.

Mehr als erschöpfend

So berichten manche MS-Betroffene zum Beispiel darüber, dass sie nach dem Zubereiten einer einfachen Mahlzeit zu erschöpft sind, diese auch zu essen. Dass bereits kurze Gehstrecken eine längere Pause erfordern oder ihre Aufmerksamkeit bereits nach wenigen Minuten Gespräch oder auch Vortrag schwindet. Bei einigen kommt die Fatigue auch ohne konkreten Auslöser; bei manchen eher zu bestimmten Tageszeiten, bei anderen zu jeder Tageszeit. Fatigue kann den Alltag der Betroffenen so stark beeinflussen, dass sie keiner Arbeit mehr nachgehen können und ist unter MS-Betroffenen oft  Hauptgrund für eine Verrentung.

Besonders bedauerlich ist, dass es keine zufriedenstellende Medikation gegen Fatigue gibt. Am meisten profitieren die Erkrankten davon, ihren Alltag umzustellen und Aktivitäten noch stärker zu planen. Auch regelmäßige Bewegung bzw. Sport (im Rahmen des Machbaren) kann sich, so haben Studien belegt, durchaus (etwas) positiv auf die Fatigue auswirken. Verschwinden tut sie jedoch nicht. Fatigue bleibt ein sehr belastendes Symptom, das den Alltag und das ganze Leben der Erkrankten stark beeinflusst.

Dass durch Corona mehr Menschen als zuvor Fatigue erleben, ist freilich bedauerlich. Einen Vorteil hat das vermehrte Auftreten jedoch: Es wird mehr dazu geforscht. Und so werden hoffentlich Möglichkeiten gefunden, die Fatigue künftig gut zu behandeln.

Gemeinsam gegen Fatigue

Ein Kooperationsprojekt baden-württembergischer Universitäten untersucht die Fatigue nun krankheitsübergreifend. Mit einer Studie sollen mögliche Unterschiede in der Fatigue erkannt, die Fatigue messbar gemacht und Behandlungsansätze gefunden werden. Mit im Boot sind die Neurologischen Kliniken der Universitätsmedizin Mannheim (Prof. Dr. Lucas Schirmer) und des Universitätsklinikums Ulm (Prof. Dr. Hayrettin Tumani) sowie die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim (Dr. Claudia Schilling).

Untersucht werden sollen vier Patienten-Kohorten:

  • Kohorte 1: Long-Covid
  • Kohorte 2: Multiple Sklerose
  • Kohorte 3: Gehirnentzündung (Enzephalitis)
  • Kohorte 4: nicht-entzündliche Kopfschmerzen

Nachweis im Nervenwasser?

Das Forscherteam vermutet eine Entzündungsreaktion im Zentralnervensystem (ZNS) als Ursache für die Fatigue in den ersten drei Kohorten. Darum werden sie den Liquor, also das Nervenwasser der Patienten untersuchen. Im Visier haben die Forscher vor allen Dingen RNA-Transkripte, Proteine und Stoffwechselprodukte, also Transkriptom, Proteom und Metabolom. Computergestützte Bioinformatik-Analysen sollen bei der Auswertung helfen. Neuropsychologische Tests und MRT-Untersuchungen ergänzen die Palette.

Ziel ist es, krankheitsübergreifend oder auch krankheitspezifisch Faktoren zu finden, welche eine Fatigue kennzeichnen. Aus diesen Faktoren wiederum könnten Einsätze für Therapien von Fatigue entstehen.

Das hört sich nach einer gewaltigen und länger dauernden Aufgabe an. Hier allerdings fruchtbare Ergebnisse und Behandlungsmöglichkeiten zu finden, könnte vielen Menschen, darunter auch Menschen mit Multiple Sklerose, den Alltag sehr erleichtern.

Quelle: idw-online, 20.01.2023.

Redaktion: AMSEL e.V., 05.07.2023