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Schreiben als Therapie

Man muss seine Kraftquellen finden

Seit 1992 weiß sie, dass sie MS hat. Damals wurde durch eine Kernspintomo-graphie zur Gewissheit, was Christine Fischer vorher seit langem geahnt, aber nicht definitiv gewusst hat, und, wie sie heute sagt "vielleicht auch nicht wissen wollte." Die allerersten Symptome, so erinnert sie sich heute, hatte sie wahrscheinlich bereits als Schülerin. Damals zeigten sich akute Augenprobleme, die sich aber wieder gelegt haben.

"Ich wollte es wissen und auch wieder nicht."

1982 hatte sie eine Sehnervenentzündung, da war sie noch in Behandlung bei ihrem Hausarzt, 1986 ist sie zum ersten Mal zum Neurologen gegangen, der ihren Beschwerden aber nicht den Namen MS gegeben hat. 1992 geht sie wegen eines massiven Schubes zu einem anderen Neurologen, der ihr sagt, er glaube nicht, dass es MS ist. Da sie selber aber mittlerweile aufgrund der eigenen Lektüre über die Krankheit fast sicher ist, dass sie MS hat, wechselt sie den Neurologen. Die Gefühle, die sie damals bewegen, beschreibt sie: "Auf der einen Seite wollte ich es wissen, wollte, dass es mir einer sagt, aber auf der anderen Seite auch nicht."

Die Diagnose bewältigen

Mit der Diagnose endet die Zeit der Ungewissheit, beginnt eine neue Zeit. Christine Fischer will wissen, wie gehe ich mit meiner Krankheit um, sucht psychologische Beratung. "Durch die Anfangsgespräche habe ich meinen Weg gefunden," sagt sie. Als die Psychologin ihr Tiefenpsychologie vorschlägt, lehnt sie ab. "Es bringt nichts, in der Vergangenheit zu suchen."
Die Gespräche haben ihr gezeigt, sie war zu sehr mit ihren Kindern, mit ihrer Familie beschäftigt, hat zuwenig auf sich selbst geachtet. Eine schwierige Zeit beginnt, in der die aufgeschlossene Frau aus Tamm alles abblockt. "Ich wollte aus Angst von allem nichts wissen." Auch für ihre Familie ist diese Zeit belastend. Miteinander darüber gesprochen haben sie nicht, ihren Töchtern hat die heute 52jährige eine Kinderbroschüre über MS hingelegt. Sie weiß aber nicht, ob sie sie gelesen haben, darüber sprechen wollten sie auf jeden Fall nicht. Erst in einem viel späteren Gespräch sagt die ältere Tochter: "Ich wusste schon, dass da was Schlimmes war." Ihr Mann, so vermutet sie, ahnte bestimmt schon früher als sie, dass sie MS hat. "Aber er hatte auch Angst, wusste nicht, wie gehe ich damit um."

Im Rückblick glaubt Christine, die kurze Strecken läuft, ansonsten den "Rollstuhl sehr gerne als Hilfsmittel benutzt", den Grund für den Ausbruch ihrer MS zu kennen. Damals befand sie sich in einer Phase, die sie gefühlsmäßig sehr belastet, gestresst hat. Die Frage, ob sie den schlimmen Schub hätte verhindern können, stellt sie sich nicht. Wie alles hat auch die späte Diagnose für sie zwei Seiten: "Es war gut, dass die MS nicht so früh diagnostiziert wurde, sonst hätten wir unsere Töchter nicht adoptieren können. Andererseits wäre es gut gewesen, es zu wissen, dann hätte ich versuchen können, bestimmte Stresssituationen zu vermeiden." Heute kennt sie die Situationen, die sie unter zu hohen Druck setzen, sehr genau, versucht, sich auf sie einzustellen, indem sie genau auf die Signale ihres Körpers achtet.

Meine Kraftquelle ist das Schreiben

1996 ist Christine Fischer noch ein gutes Stück davon entfernt. Damals ist sie aber psychisch soweit, zum ersten Mal in Rehabilitation zu gehen. In der "Solidargemeinschaft" des Quellenhofes in Bad Wildbad findet sie Freunde, sie findet Menschen, denen es körperlich sehr viel schlechter geht als ihr selbst, durch ihre positive Ausstrahlung aber Menschen zu sich ziehen. Und sie fragt sich, woran das liegt, und stellt fest, "sie haben Kraftquellen, etwas, was ihnen Energie gibt." Und sie erkennt auch: Ich als Person bin wichtig. Und wenn ich als Person mir etwas Gutes tue, kann ich auch etwas weitergeben." Wieder zuhause in Tamm beschäftigt die Frage nach dem eigenen Ich und den eigenen Kraftquellen die Mutter zweier Kinder weiter. Sie beginnt ihre Gedanken, die ihr durch den Kopf gehen, GefŸhle, die sie beschäftigen, Begegnungen, die sie berühren, handschriftlich aufzuschreiben, dann in den Computer zu übertragen und dort mit Blumenbildern und ähnlichem zu verschönern. Das Verschönern ist für sie die Fortsetzung ihrer Beschäftigung mit dem Geschriebenen. Sie verfasst Lyrik, schreibt kein Tagebuch. "Ich spüre bestimmte Gefühle und gehe ihnen nach."

Schreiben als Therapie

Das Schreiben ist für die schwarzhaarige Frau eine Sache, die Zeit braucht. Auch Briefe schreiben, denn für sie ist es mehr als die Mitteilung von Tatsachen. Anfänglich hat die positiv denkende Frau, die gerne bummeln geht und Leute beobachtet, die Lyrik mag, und Gedichte sammelt, nur für sich geschrieben: als Therapie. "Viele Gefühle, die raus mussten, die mir bewusst waren und mich bedrückt haben, die habe ich im Schreiben angeschaut. Danach habe ich sie mit dem Papier weggelegt, konnte sie aber immer wieder anschauen." Dann hat sie irgendwann die Texte ihrem Mann zum Lesen gegeben, dem sie sehr gefallen haben. Sie schreibt auf Seminaren und in der Rehabilitation, hat immer ein Buch für ihre Texte dabei. So wurde sie auch von Dritten auf ihre Texte angesprochen, und der Wunsch an sie herangetragen, sie zu veröffentlichen. Während einer Rehabilitation hält sie eine Autorenlesung, ist sich aber unsicher, überfordern die Texte die Menschen oder tun sie ihnen gut? Für sie ist die Lesung kein Problem, denn die Gefühle, die sie zu Papier gebracht hat, sind von ihr verarbeitet. Mittlerweile ist eine kleine Auswahl mit 11 Texten erschienen. "Mut in schweren Tagen" heißt das kleine Heft, das im Kunstverlag Maria Laach erschienen ist (ISBN 3-930990-77-6). Was sie sich von dem Heft wünscht? Dass die Menschen von ihnen berührt werden, sich darin wiederfinden, die Anregungen, kleinen Botschaften, die in ihnen enthalten sind, aufnehmen.

"Malen ohne Vorstellung"

Parallel zum Schreiben hat Christine Fischer in Bad Wildbad mit dem Malen begonnen. In der Kunsttherapie hat sie das "Malen ohne Vorstellung" wiederentdeckt. Für sie ist das Malen eine weitere Möglichkeit, ihren Gefühlen Ausdruck zu geben, und als emotionaler Mensch fällt ihr das im Malen sogar leichter als im Schreiben. Im Gegensatz zum Schreiben muss sie auch aufpassen, dass sie über das Malen nicht alles vergisst, dass es sie nicht zu sehr gefangennimmt und damit zum Stress wird. Christine Fischer ist davon Überzeugt, dass sie ihre Krankheit durch ihre Einstellung beeinflussen kann. "Wenn ich mich psychisch gut fühle, bin ich stärker, kann besser gehen, bin belastbarer und ausdauernder."

Früher ist sie oft an ihre Grenzen und darüber hinaus gegangen, heute versucht sie, rechtzeitig innezuhalten. Natürlich kann auch sie nicht jeglichen Stress vermeiden, das ist ihr klar. Aber er darf nicht zum Dauerzustand werden, das ist sch� dlich fŸr ihre MS, und sie erzählt von einem "hausgemachten" Schub, der folgte, als sie doch einmal wieder über einen langen Zeitraum über ihre Grenzen gegangen ist.

Christine Fischer, die es genießt, einfach nur dazusitzen und ihre Gedanken schweifen zu lassen, lebt in Frieden mit ihrer MS. "Die Krankheit war nicht nur negativ, sie hat mir geholfen, ein anderes Leben zu leben. Früher lebte das Leben mich, heute lebe ich," sagt sie. Sie hadert aber dann mit der MS, wenn sie sieht, wie andere Patienten sich in die Krankheit ergeben, sich selber aufgeben. Das heißt für sie aber nicht, gegen die Krankheit zu kämpfen, sondern seine eigenen Kraftquellen zu suchen, sich eigener, schädlicher Verhaltensmuster bewusst zu werden, und zu versuchen, sie zu ändern. "Schaut in Euch, sucht Eure Kraftquellen.", sagen ihre Texte und Bilder. Wenn ihre eigene MS einen Sinn hat, dann den, anderen zu sagen, "Steht auf, tut etwas!"

Durch die Krankheit führt Sie ein anderes, bewussteres Leben. Früher sei sie leichtlebiger, oberflächlicher gewesen, heute lebt sie jeden Tag bewusst. "Ich genieße die Tage, die wirklich gut sind, und sage mir bei denen, die nicht so gut sind. "Es wird wieder besser. Ich habe die MS gekriegt, aber auch die Fähigkeit, ein optimistischer Mensch zu sein."

Wie kann ich Trost sprechen,
wenn Schicksalsschläge ein Herz
zerbrechen.

Wie kann ich Kraft weitergeben
und Mut für ein mühevolles
Leben, wenn die Krankheit
grausam lähmt und du dich
deiner Hilflosigkeit schämst.

Wie kann ich deine Augen auf die
Kleinigkeiten lenken, die einem
Freude und Glückseligkeit schenken.

Es sind die unscheinbaren Dinge,
die wichtig sind, du hast sie schon
entdeckt, da warst du ein Kind.

Verschließe dich nicht, ein Blick
zurück lohnt, weil noch viel
Energie, Mut, Freude und Kraft
in dir wohnt.

aus: Mut in schweren Tagen

· AMSEL Nachrichten 2/2002

Redaktion: AMSEL e.V., 08.06.2002