Spenden und Helfen

"Einmal mehr aufstehen als hinfallen"

Luana liebt das Leben, den Fußball, ihre kleine Schwester. In Multiple-Sklerose-Blog schreibt sie darüber, und zwar immer dann, wenn sie einen heftigen Schub hat und danach in Reha ist. Gerade erst 22, hat "Lu" bereits 7 solcher Aufenthalte hinter sich. Ihre Multiple Sklerose schreitet rasch voran. Doch das hindert die quirlige Italo-Schweizerin nicht daran, höchst amüsante Geschichten und Bilder über ihre Reha zu posten.

1. Hallo Luana, gerade bist Du wieder in Reha. Seit wann hast Du eigentlich Multiple Sklerose ?

Die ersten Symptome hatte ich bereits mit 14/15 Jahren - jedoch wusste ich damals noch nicht, was es war. Man stellte im Blut Eisenmangel fest und führte meine Ausfälle auf den Mangel zurück. Die Diagnose kam dann mit 18 Jahren am Montag, 01.11.10, sie war aber mehr ein Zufallsprodukt, weil der Schub unmittelbar nach einer Knieoperation kam und man es dann neurologisch untersuchen ließ. Nun sind es dann bald bereits 4 Jahre, seit ich weiß, was es genau ist. Aber ich weiß noch jedes kleinste Detail !

2. Und wie war die erste Zeit nach der Diagnose ?

 

 

quelle: privat

Das ist Lu vor ihren schweren Schüben. Inzwischen braucht die 22-Jährige einen Rollstuhl, um mobil zu sein.

Sehr, sehr schwer. Der Boden unter den Füßen wurde mir weggenommen. Ich erfuhr, dass ich meinen Fachmittelschul-Abschluss nicht machen darf, weil ich die Diagnose einige Monate vor der Abschlussprüfung bekam, weil ich zulange weg war. Außerdem musste ich die Klasse wechseln - das war die beste Klasse, die ich je hatte (habe heute noch mit fast allen Kontakt, die haben zu mir gehalten). Ich verlor auch einige Menschen, die mir sehr am Herzen lagen, die konnten nicht damit umgehen. Ich verstand die Welt nicht mehr, war sehr verzweifelt. Nach und nach wurde mir auch bewusst, dass sich jetzt praktisch alles verändern wird. Mir wurde auch sehr schnell klar, dass ich nie wieder so Fußball und Tennis spielen kann, wie das zuvor der Fall war (schnell fortschreitende MS) Ich kann mich noch an jedes kleinste Detail erinnern, wie es die ersten Wochen nach der Diagnose war. Ich habe sehr viel geweint, aber heimlich. Wenn ich Besuch hatte, wollte ich stark sein, auch für meine Familie. Habe mich auch sehr lange gegen eine Therapie beim Psychiater gewehrt. Es war eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Ich machte mir auch oft Gedanken darüber, was denn das Leben noch für einen Sinn hatte !

Ich bin sehr dankbar dafür, dass meine Familie und meine Freunde mich immer wieder aufgefangen haben, wenn ich wieder in ein Tief fiel. Durch den Sport hatte ich gelernt zu kämpfen und immer einmal aufzustehen als hinzufallen, das hat mir auch sehr geholfen.

3. Deine MS lässt Dir seitdem wenig Ruhe, oder ?

Ja, das ist leider so. Seit dem ersten Schub im Herbst 2010, hatte ich kein Jahr ohne Schübe. Im Jahr sind es immer zwischen 2-4 (heftige) Schübe. Das schlimmste Jahr war das 2013. Da war ich von Mitte April bis Mitte August durchgehend (mit Ausnahme von 7 Tagen) im Spital und in der Reha. Und dann wieder von Ende Oktober bis Ende Januar 14 durchgehend Spital und Reha.

Seit dem April 2013 bin ich jetzt fix an den Rollstuhl gebunden. Seit Oktober 2013 ist mein linkes Auge auch stark betroffen. Die zwei letzten Schübe waren so heftig, dass sie den Sehnerv irreversibel zerstört haben, deshalb das Pflaster und die Augenklappe. Das ging alles leider unheimlich schnell, trotz Medikamenten ! Die Ärzte haben es mir aber bereits zu Beginn gesagt, dass sie vermuten, dass es eine sehr aggressive Form der MS ist - leider behielten sie recht...

4. Das ist ein ganz schön heftiger Start für eine so junge MS in einer so jungen Patientin - wie bringst Du bei all dem eine solchen Humor auf ?

Natürlich ist das nicht immer so, aber ich bin der Meinung, das jedes Schlechte irgendwodurch auch etwas positives hat. Durch die Spital- und Reha-Aufenthalte habe ich sehr tolle Menschen kennengelernt, die ich nicht mehr missen möchte in meinem Leben.

Ich war auch schon vor der Diagnose ein sehr fröhlicher und aufgestellter Mensch, machte immer Witze. Manche Dinge sind so verletzend oder schlecht, wenn ich das nicht mit Humor nehmen würde, dann würde ich wohl daran zerbrechen. Ich finde Lachen ist halt auch so eine Art Therapie, zumindest für mich. Ich habe ein so gutes Umfeld, das macht einfach Spaß. Das gibt mir so viel Kraft ! Ehrlich gesagt kann ich es nicht genau sagen, wahrscheinlich ist es halt auch ein Teil meines Charakters. So bin ich. Natürlich schmerzen mich viele Dinge sehr, und natürlich machen mich viele Dinge traurig und ich bin auch oft verzweifelt, aber der Humor hilft mir, dass ich etwas besser damit umgehen kann. Ich sage auch immer, wer hier in der Schweiz jammert, der jammert auf einem hohen Niveau. Wenn ich an die Kinder in Syrien, Irak etc. etc. denke dann geht es mir noch recht gut.

Das Leben ist schon hart genug, Humor kann da NIE schaden. Und es ist auch kurz, also warum die Zeit verschwenden und immer verbittert zu sein ?! Wenn ich durch meinen Humor jemanden zum Lachen bringen kann, dann geht für mich die Sonne auf...

5. Das ist definitiv der Fall in Deinem Blog ! Wir liegen hier regelmäßig fast unterm Tisch vor Lachen. Ich sag nur "Tröte", Deine frühaufstehende Zimmernachbarin derzeit, und "schnadige Schoggischnitten" ! Gibt es dafür eigentlich eine Übersetzung ?

SCHNADIGI SCHOGGISCHNITTE beschreibt einen Mann, der echt extrem toll aussieht. Von dem man am liebsten grad die Nummer hätte, der Traumprinz schlechthin. "Schoggi" heisst übersetzt Schokolade, also ist der Mann SÜSS wie Schokolade ;)
Ein Begriff der im Fussball Trainingslager 2010 entstanden ist, einige Monate vor meiner Diagnose.

6. Aha, danke für die Einweisung ins Berner Deutsch ! Aber ich hatte Dich unterbrochen - wie hilft Dir Dein Humor?

Es macht mir einfach Spaß mit Freunden zu lachen und auch mal das Kind in mir rauszulassen. Bei einer Blutwäsche im Spital zum Beispiel gilt es ernst, deshalb will ich so oft es geht lachen und Spaß haben. Natürlich muss ich auch sagen, dass es nach der Diagnose überhaupt nicht so war, und ich manchmal auch depressiv bin und mein Zimmer nicht verlasse, den Kopf in den Sand setze. Und ich bin auch immer noch in diesem Prozess die Multiple Sklerose zu akzeptieren, was halt sehr schwierig ist für mich - aber ich glaube die MS-ler wissen alle, wovon ich spreche. Da kommt halt dann mein Umfeld zum Zug und die Psychotherapie, diese Dinge holen mich wieder aus diesem Tief heraus, albern mit mir herum und dann kann ich es auch auf meine Weise wieder mit Humor nehmen. ABER DAS WAR EIN LANGER, STEINIGER WEG BIS ICH DAS ETWAS GELERNT HABE.
Dinge, die mich vor zwei Jahren extrem verletzt haben, nehme ich heute mit viel Humor.

Zum Bsp. mieden mich paar Schülerinnen weil sie dachten MS sei ansteckend. Das verletzte mich halt sehr und gab mir das Gefühl dreckig und wie die Pest zu sein. Wenn ich heute etwas Essbares teile mit jemanden oder ich jemanden umarme, dann sage ich immer: "Jetzt hast du halt einfach dann MS", nun jetzt finde ich es lächerlich und deshalb sage ich dann diesen Spruch, halt einfach als Witz. Das ist dann wie meine Art damit umzugehen. Hätte ja nichts gekostet kurz zu fragen ob MS ansteckend sei...

7. Das stimmt ! Im Zweifel kann man nachfragen. Wie bist Du eigentlich auf www.ms-blog.de gekommen, warum schreibst Du hier ?

Die Multiple Sklerose Gesellschaft der Schweiz hatte einen Bericht von der DMSG veröffentlicht. Und via DMSG auf Facebook fand ich dann amsel.de , dann führte eins zum anderen.

Ich habe ganz viele tolle Berichte gelesen und war auch auf der Suche nach einer neuen Blogseite. Diese fand ich perfekt, weil alles mit der MS zu tun hat. So können auch meine Freunde, die meinen Blog verfolgen, noch andere verfolgen und etwas lernen. Auch ich kann immer wieder Neues, und Wichtiges dazulernen.

"MS-Blog.de als Bewältigungsstrategie"

Ich schreibe hier, weil es mir persönlich sehr hilft. Das ist neben der Therapie beim Psychiater auch eine Art Bewältigungsstrategie. Hier habe ich das Gefühl, dass ich verstanden werde, weil wir alle etwas gemeinsam haben. Das Schreiben hilft mir diese ganzen Eindrücke, Gefühle etc. besser verarbeiten zu können. Und ich fühle mich dadurch auch etwas mit meinen Freunden und meiner Familie verbunden, weil ich weiß, dass diese den Blog lesen - wenn ich anderen damit helfen kann, oder auch nur eine kleine Freude machen kann mit meinen Texten, dann lohnt sich das allemal.

8. Denkst Du den Tag über schon dran, was Du später im Blog aufschreibst oder fallen Dir die Sachen erst abends ein vor dem Laptop ?

Wenn ich Zeit finde, schreibe ich den Blog verteilt über den ganzen Tag, weil ich mir Dinge nicht mehr so lange merken kann und Abends oft erschöpft und müde bin. Oft schreibe ich mir auch kurz eine Notiz auf dem Handy, wenn ich etwas unbedingt erzählen will, aber noch keine Zeit habe, es auf dem Macbook aufzuschreiben, sonst geht es vergessen ;) Einige Ideen kommen aber dann auch beim Schreiben noch spontan hinzu. Es ist eigentlich ein guter Mix aus darüber nachdenken am Tag und spontan am Macbook beim Schreiben.

Was schlussendlich überwiegt hängt von den Therapiezeiten und meinem körperlichen Befinden ab.

9. Danke, liebe Luana, für all diese Infos über Dich. Jetzt wissen wir ein einiges mehr über "Fußball-Junkie Lu", wie Du Dich aufwww.ms-blog.deauch nennst. Wer Deinen Blog verfolgt, weiß dass Dich grade auch noch eine Erkältung plagt mitten in der Reha: Also mach es gut, gönn‘ Dir auch mal eine Pause und gute Besserung ! Lass‘ wieder von Dir hören !

Redaktion: AMSEL e.V., 10.10.2014