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Aktiv im Beruf mit MS – Teil 1: Wissenswertes rund um Ihre Rechte als MS-Erkrankter in Ausbildung, Beruf und Rente

In beruflicher Hinsicht verlangt die MS mit ihren verschiedenen Verlaufsformen häufig individuelle Anpassungen. Das Fallbeispiel von Frau H. stellt mögliche Herausforderungen vor, die MS-Erkrankten im Laufe ihres Berufslebens begegnen können, von der Ausbildung bis zur (Früh-) Rente. - Teil 1 der Serie geht auf Unterstützungsmöglichkeiten während der Ausbildung, Offenbarungspflichten, Absicherungen im Falle einer Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit sowie auf Rechtliches während der Probezeit ein.

Fallbeispiel: Frau H. erhält im Alter von 18 Jahren die Diagnose MS und befindet sich gerade in einer sozialversicherungspflichtigen Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau. Sie hatte während der Ausbildung einen Schub mit Taubheitsgefühlen in der linken Hand, der sich fast komplett zurückgebildet hat. Die Symptome beeinträchtigen sie bei der Arbeit nicht. Die Ausbildung kann erfolgreich abgeschlossen werden.

→ Liegt eine erhebliche Krankheitsaktivität im frühen Alter vor, wodurch der Erfolg der Ausbildung gefährdet sein kann, ist es sinnvoll, sich hinsichtlich seiner Möglichkeiten beraten zu lassen. Gut zu wissen ist, dass Nachteilsausgleiche wie bspw. Prüfungsverlängerungen, zusätzliche Pausen und Einzel- statt Gruppenprüfungen möglich sind, wenn z.B. durch die Fatigue Konzentrationsschwierigkeiten bestehen. Dafür ist vor der Prüfung ein ärztlicher Nachweis notwendig. Die Besonderheit bei Auszubildenden ist, dass nach Ablauf der Probezeit von max. vier Monaten das Ausbildungsverhältnis nicht mehr ordentlich gekündigt werden darf.

Sollte das Ausbildungsziel nicht in der vorgesehenen Zeit erreicht werden, besteht in Ausnahmefällen auch die Möglichkeit einer Verlängerung der Ausbildungszeit. Eine Unterbrechung der Ausbildung ist im Berufsbildungsgesetz nicht vorgesehen. Im Falle von ausbildungsrelevanten gesundheitlichen Einschränkungen, die den Erfolg der Ausbildung gefährden, sollte frühzeitig Kontakt mit den zuständigen Kammern wie IHK oder HWK aufgenommen werden sowie ggf. ein Antrag auf Schwerbehinderung und Gleichstellung gestellt werden.

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Frau H. ist sich unsicher, ob sie ihrem Arbeitgeber dennoch von ihrer MS berichten soll.

→ Eine grundsätzliche Offenbarungspflicht besteht nicht. Eine Diagnose muss dem Arbeitgeber zu keinem Zeitpunkt genannt werden. Fragen des Arbeitgebers zu gesundheitlichen Einschränkungen können zulässig sein, müssen aber konkret in Beziehung zum Arbeitsplatz stehen. So wäre Frau H. verpflichtet, etwaige Einschränkungen zu nennen, wenn sie die wesentlich geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen kann. Wäre bspw. in ihrem Fall langes Stehen ein wesentlicher Bestandteil der Stelle und würden Mobilitäts- und Gleichgewichtsstörungen vorhanden sein, könnte dies für ihre Tätigkeit eine relevante Einschränkung bedeuten.

Bestehen bekannte Gesundheitsstörungen, welche die geforderte Arbeitsleistung beeinträchtigen oder sogar zu einer Fremd- oder Eigengefährdung führen, besteht sogar eine unaufgeforderte Offenbarungspflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Hätte Frau H. eine festgestellte Schwerbehinderung gehabt, hätte sie der Arbeitgeber danach fragen können, wenn das Arbeitsverhältnis bereits sechs Monate besteht. Dies ist rechtens, um die ordnungsgemäße Durchführung des Arbeitsverhältnisses gemäß den besonderen gesetzlichen Pflichten gegenüber Schwerbehinderten zu gewährleisten.

Viele an MS Erkrankte erhoffen sich durch eine Offenlegung ihrer Diagnose mehr Rücksicht, Verständnis und Unterstützung von Kollegen und Vorgesetzten. Die Erfahrung zeigt aber, dass dies nicht immer zutrifft. Die Reaktionen auf eine solche Offenbarung sind nur schwer abschätzbar und reichen von Verständnis und Unterstützung bis hin zu offener Ablehnung und schnellen Trennungsversuchen.

Da bei Frau H. keine nennenswerten Einschränkungen vorhanden sind, hat sie sich entschieden, sich dem Arbeitgeber nicht zu offenbaren.

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Frau H. machte sich bereits vor ihrer Ausbildung Gedanken darüber, wie sie zukünftig finanziell abgesichert wäre, sollte sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Die Eltern von Frau H. hatten aufgrund dessen damals schon, vor Diagnosestellung und Ausbildungsbeginn, eine private Berufsunfähigkeitsversicherung für sie abgeschlossen.

Der Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung nach Diagnosestellung wäre kaum möglich. Ausnahmen gibt es, wenn überhaupt, nur sehr wenige. Bspw. bieten manche größere Arbeitgeber Gruppenversicherungen mit vereinfachten Gesundheitsfragen an. Grundsätzlich bietet eine passende private Berufsunfähigkeitsversicherung eine höhere finanzielle Sicherheit, wenn der Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann. Eine bestehende Versicherung kann unter Umständen trotz der MS-Diagnose aufgestockt werden. Die gesetzliche (Teil-) Erwerbsminderungsrente federt nur einen Teil des Einkommensverlustes ab. Die Kündigung einer Berufsunfähigkeitsversicherung ist daher nicht zu empfehlen.

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Frau H., mittlerweile 23 Jahre alt, wurde nach ihrer Ausbildung vom Betrieb übernommen. Gesundheitlich geht es ihr weiterhin gut, sie hat keine beeinträchtigenden Symptome der MS, kommt gut mit ihrer verlaufsmodifizierenden Therapie zurecht. Einen Schwerbehindertenausweis hat sie bisher nicht beantragt.

→ Liegen erhebliche Einschränkungen durch die MS vor, sollte ein Schwerbehindertenausweis in Betracht gezogen werden, da damit rechtliche Nachteilsausgleiche verbunden sind. Ab einem Grad der Behinderung (GdB) von 30 besteht die Möglichkeit den Integrationsfachdienst einzubinden, der bei Problemen am Arbeitsplatz vermittelt und gemeinsam verschiedene Lösungsmöglichkeiten beleuchten kann. Hier ist es wichtig, früh Maßnahmen zu ergreifen und nicht erst, wenn Konflikte schon verfestigt sind. Ab einem GdB von 30 besteht auch die Möglichkeit einer Gleichstellung, durch die der besondere Kündigungsschutz und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben greifen. Ab einem GdB von 50 besteht weiterhin die Möglichkeit, fünf zusätzliche Urlaubstage zu beantragen.

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Frau H., mittlerweile 27 Jahre alt, hatte den Wunsch ihren Betrieb zu wechseln, um eine Filiale in einem anderen Unternehmen zu leiten. Sie beginnt mit einer sechsmonatigen Probezeit ihre neue Stelle.

→ In aller Regel wird bei einem neuen Arbeitsverhältnis auch eine Probezeit vereinbart. Während einer Probezeit kann immer ohne Angabe von Gründen gekündigt werden. Sollte es z.B. unerwartet zu Krankheitsaktivitäten kommen, ist eine Kündigung durch den Arbeitgeber, selbst bei Vorliegen einer Schwerbehinderung, nicht ausgeschlossen.

Weitere Infos bietet auch die Broschüre „(Schwer-) Behindertenrecht“, verfügbar unter www.amsel.de/shop,Tel. 0711 69786-0 oderinfoamselde.

Quelle: together 03.23

Redaktion: AMSEL e.V., 06.10.2023