Hallo Luisa,
ich habe SPMS, und wenn ich mich ein paar Tage lang viiiel schlechter als sonst fühle (aber nur dann!!!), gönne ich mir einen Cortisonstoß. Da ich nicht mehr mobil bin, nehme ich dafür Tabletten. Für Infusionen müsste ich früh aufstehen und ein Taxi nehmen, und das wäre stressig, umständlich und teuer.
Außerdem könnte ich das Cortison dann frühestens am Vormittag bekommen, und das ist mir zu spät, dann kann ich abends nicht schlafen. Die körpereigene Cortisolproduktion erreicht frühmorgens ihren Höhepunkt, und Cortison sollte entsprechend diesem zirkadianen Rhythmus eingenommen werden.
Prednisolon und Methylprednisolon vertrage ich nicht, ich bekomme davon Herzrasen, -rhythmusstörungen, Gliederschmerzen, Lähmungen und Verstopfung. Daher kommen Decortin H und Urbason für mich nicht in Frage. Das musste ich meinem Neuro erst vermitteln, vorher hat er nach Schema MSTKG behandelt, und basta.
Die meisten Neurologen sind keine Spezialisten für Glucocorticoide. Bei einem Allergologen oder Rheumatologen ist man da an einer besseren Adresse. Ich bin seit 40 Jahren Allergikerin und habe schon Cortison verschrieben bekommen, als mein Neuro noch den Laufstall unsicher machte. Deswegen kann er bei mir nicht überzeugend den “Übervater in Weiß” geben, in der Rolle würde er durchfallen (und diesen Arzttyp habe ich eh gefressen). Er ist aber weiterbildungswillig und hat sich inzwischen mit den unterschiedlichen (Neben)Wirkungen der verschiedenen Cortisonsorten auseinander gesetzt, nachdem ich ihm einige Literaturhinweise aufgeschrieben habe.
Darum überlässt er es mir, wie und womit ich einen Cortisonstoß mache. Ein guter Arzt kann auch mal zugestehen, dass der Patient seinen Körper besser kennt als er. Ich habe ihm nur versprechen müssen, dass ich ihm Bescheid sage, wenn ich etwas davon nehme.
Ich nehme für einen Cortisonstoß Dexamethason-Tabletten, die ich zuerst nur vom Hausarzt verschrieben bekommen habe, aber inzwischen auch vom Neuro. Das gibt es als Fortecortin® von Merck, aber auch in einigen Generika, da der Stoff schon seit ca. 50 Jahren auf dem Markt ist. Die Generika sind allerdings ebenso teuer wie das Original.
Ich beginne den Cortisonstoß mit 24 mg Dexamethason an den ersten drei Tagen, dann gehe ich runter auf 16 mg, und am fünften auf 8 mg. Ausgeschlichen wird nicht, das ist bei Dexamethason wegen seiner langen Halbwertszeit von ca. 36 Stunden auch nicht nötig.
Wenn ich mich sehr mies fühle, nehme ich am vierten und fünften Tag 16 mg, am sechsten und siebten 8 mg. Aber auch dann beläuft sich die Gesamtdosis bei einem Dexamethasonstoß bei mir auf maximal 120 mg, was ca. 900 mg Prednisolon äquivalent ist. Grundsätzlich nehme ich es nie länger als 7 Tage, um die körpereigene Cortisolproduktion nicht durcheinander zu bringen, und um Langzeitschäden (Osteoporose, Star …) so gering wie möglich zu halten.
Da Cortisone die Magensäureproduktion steigern, egal, ob man Tabletten nimmt, Injektionen oder Infusionen, muss man diese wieder drosseln, um nicht mit der Zeit ein Cortison-Magengeschwür zu bekommen. Dafür nehme ich Omeprazol. Wenn man zu Thrombosen neigt, kann man sich auch noch Heparinspritzen verschreiben lassen (spritzt man subkutan in den Bauchspeck). Ab und zu den Augeninnendruck bestimmen zu lassen, und bei Älteren vielleicht die Knochendichte, ist auch kein Fehler.
Während der Therapie geht es mir spätestens nach 2 Tagen super, da könnte ich Bäume ausreißen. Ich nutze diese Zeit, um ein bisschen zu trainieren, z.B. Treppensteigen. Es tut gut, wenn man ab und zu feststellt, dass das noch geht. Unter Dexamethason könnte ich für die CCSVI-Werber ein überzeugendes Vorher-Nachher-Filmchen machen. Wenn die aufputschende Wirkung nachlässt, bin ich 1 - 2 Tage lang sehr müde und schlafe viel, aber das war’s auch schon mit den Nebenwirkungen.
Da Dexamethason zu den Glucocorticoiden mit kaum ausgeprägten mineralocorticoiden Nebenwirkungen gehört, bekomme ich weder Wassereinlagerungen noch Kaliummangel davon (anders wäre es beim Prednisolon!). Ich bin sowieso auch Herzpatientin (Vorhofflimmern, Rhythmusstörungen - schon lange vor der MS) und vertrage Prednisolon überhaupt nicht, bekomme davon Herzrasen, bzw. von der dadurch verursachten Hypokaliämie.
Da die meisten Glucocorticoide schon jahrzehntelang auf dem Markt sind, rechnen sich längst keine Studien mehr. Daher beruht ihre Anwendung meist auf Erfahrungswerten aus dem Praxisalltag, Vorschriften dazu gibt es so gut wie keine. Auch die Schubtherapie nach MSTKG beruht auf Erfahrungen. Aber wie soll ein Neuro andere Erfahrungen sammeln, wenn er sich nicht dazu überreden lässt, es mal mit einem anderen Glucocorticoid zu versuchen als mit Decortin H und Urbason?
Leichter lassen sich Allgemeinärzte dazu überreden, die interessieren sich nicht für irgendwelche MSTKG-Richtlinien, sondern behandeln aufgrund ihrer Erfahrungen, und für meinen Hausarzt war es kein Problem, dass ich Dexamethason wollte. Er war 2 Jahre in Afrika und behandelt nach dem Grundsatz, gut ist, womit es dem Patienten besser geht, und von allem so viel wie nötig, so wenig wie möglich, auch zur Kostendämpfung.
Die Kosten für Behandlung mit Dexamethason oral sind verhältnismäßig gering, eine Packung mit 50 Tabletten à 8 mg kostet ca. 67 Euro und reicht für 3 Cortisonstöße. Der Magenschutz, z.B. Omeprazol 40 mg (1 Kapsel pro Tag) kostet 30 Kapseln 22 Euro. Klinikkosten usw. fallen nicht an. Es würde sicher zur Kostendämpfung beitragen, wenn man ein paar Tabletten verschreibt, statt das Zeug wichtigtuerisch und umständlich in die Venen laufen zu lassen.
Ich sage “Nein, danke!” zu Decortin und Urbason, und damit bin ich bis jetzt gut gefahren. Mit den Ärzten, die in der MS-Szene Autoritäten sind, x Aufsätze und Bücher veröffentlicht haben, Signierstunden veranstalten, und vor deren großem Namen man einknickt, z.B. Prof Wiethölter, gehe ich allerdings aus dem Weg, da ich nicht wagen würde, so einem zu widersprechen. Mir ist mein Feld-Wald-und-Wiesen-Neuro lieber. Den gebe ich nicht mehr her!
Liebe Grüße
Renate