Hallo ursula,
ja, du hast Recht, mich hat das auch etwas irritiert, gerade von dir solche Kommentare zu hören.
Meines Erachtens sind das zwei paar Schuhe: Die Informationspolitik und die Patientenaufklärung sind sicherlich ein großes Problem bei Tysabri. Und ich finde nicht, dass das von Biogen/Elan bzw. FDA/EMEA auch nur annähernd vorbildlich gelöst wird.
Eine ganz andere Frage ist die, ob Patienten in einer Situation selber über ihre Medikation bestimmen sollten oder nicht, in der es gute Gründe sowohl dafür als auch dagegen gibt. Und mein Eindruck war, dass wir uns über diesen Punkt gestritten hatten.
Bei allen Mängeln der Informationspolitik: Wer heute Tysabri nimmt, kann sich in fünf Jahren nicht über eine dann womöglich ausgebrochene PML beschweren. Die Verantwortung trägt jeder Einzelne. Und selbstverständlich die behandelnden Ärzte insofern, als dass sie wirklich sicher gehen müssen, dass zumindest die Basics verstanden worden sind (PML, ungewisse Langzeitfolgen). Wenn das aber gegeben ist, bleibt nur die Eigenverantwortung des Patienten.
Dass die community nach Tysabri “gelechzt” hat, finde ich angesichts der Studiendaten nicht wirklich überraschend: Tysabri ist zwar immernoch kein gutes Medikament, aber eines, das deutlich vielversprechender ist als die Interferone oder Copaxone (wenn wir mal davon ausgehen, dass man den Studiendaten weitgehend vertrauen kann).
Du fragtest rhetorisch:
was meinst du eigentlich, was hier los wäre, wenn jeder, der sich für gut genug informiert hält, jede mögliche therapie erhalten könnte?
Ich denke, es ist eine Aufgabe der Gesundheitspolitik sicherzustellen, dass jeder, der sich für gut genug informiert hält, dies auch wirklich ist bevor er ein Medi erhält. Dann aber sehe ich kein Problem. Wer die möglichen Konsequenzen kennt, sollte auch mit ihnen leben oder sterben können. Alles andere finde ich paternalistisch und einer freien Gesellschaft unwürdig.
Im Übrigen würde das mittelfristig sicherlich Lerneffekte in der breiten Bevölkerung hervorrufen: Pillen schlucken ist etwas ernsthaftes, das man nicht so leichthin tun sollte. Die Sorglosigkeit einer Pillen schluckenden Gesellschaft scheint ja deine Sorge zu sein. Bei tatsächlich eigenverantwortlichem Gebrauch würde die Gesellschaft sicherlich auch etwas bewusster damit umgehen - vielleicht nicht sofort, aber mit der Zeit nach schmerzhaften Lernprozessen. Ein Schulfach “Pharmakologie für den Alltag” könnte auch nicht schaden. Wie gesagt: Alles Probleme der Informationspolitik - da können wir lange drüber diskutieren. Genauso wie natürlich über die schwierigen Fälle: Komapatienten, geistig Behinderte etc. Wer soll da entscheiden? Aber das ist glaube ich nicht der Punkt unserer Diskussion. Der war meines Erachtens: Handelt es sich bei der EMEA-Entscheidung, Tysabri nur bei schwerem Verlauf als Ersttherapie zuzulassen, um eine Bevormundung? Ich sehe keine Möglichkeit, auf diese Frage etwas anderes als “Ja” zu antworten.