Hallo Leute,
Ich möchte hier gerne etwas über meine psychische Befindlichkeit schreiben, in der Hoffnung, dass jemand ähnliche Erfahrungen gemacht gemacht oder auch andere und mir dazu etwas antworten kann.
Ich bin 45 Jahre alt und habe seit 20 Jahren große Probleme durch Phasen extremer Müdigkeit gehabt. Teilweise konnte ich deswegen nicht arbeiten oder studieren. Auch jetzt muss ich während meines Tagesablaufes sehr aufpassen, dass ich mich nicht überfordere, weil ich sonst schnell regelrechte “Zusammenbrüche” habe, wo gar nichts mehr geht und ich nur noch zitternd vor Schwäche im Bett liege.
Dazu kommt, dass ich dazu neige, viel von mir zu verlangen, am liebsten ganz viel und ganz perfekt arbeiten möchte und immer wieder merke, dass ich das nicht kann, ja dass ich nicht einmal normal belastbar bin. Dies hat mich lange Zeit sehr unglücklich gemacht. Ich fühlte mich als Versager.
Vor zwei Wochen wurden bei mir anlässlich einer RBN nach Kernspinn- und “normaler” neurologischer Untersuchung die starke Verdachts- Diagnose MS gestellt, da ich eindeutige Kernspinnbefunde habe. Meine Beschwerden der mangelnden Belastbarkeit wurden dem Fatigue-Syndrom zugeschrieben.
Ich war nach der Diagnosestellung keineswegs geschockt, wie es meine sehr netten und fürsorglichen Ärzte von mir erwarteten, sondern bekam einen Anfall von totaler Euphorie. Ich war so erleichtert darüber, dass ich krank bin und nicht verrückt oder ein Schlappschwanz oder Weichei, wie ich bisher gedacht hatte. Es war eine solche Entlastung für mich, dass ich mich nicht dafür verurteilen muss, dass ich nicht so leistungsfähig bin, wie andere Menschen, sondern dass es dafür gute handfeste und nachweisbare Gründe gibt.
Nun ist diese Euphorie abgeklungen und es folgte eine Phase großer Angst vor der Zukunft. Ich bin in der Ausbildung zur Lehrerin, muss zur Zeit noch auf einen Referendariatsplatz warten und schreibe an meiner Dissertation. Die Vorstellung dem Schuldienst nicht gewachsen zu sein ist in meiner Situation, da ich nicht mehr die Jüngste bin, nicht unproblematisch. Ich habe vorher als Krankenschwester gearbeitet aber auch diesen Beruf wegen der Schwächezustände und Parästhesien in Armen und Beinen, die ich mir damals noch nicht erklären konnte, aufgegeben.
Meine Augenärztin sagte mir, dass ich Entspannungsübungen machen sollte und immer wieder Erholungsphasen in meine Arbeitsabläufe integrieren soll. Diese Idee fand ich sehr schön. Es kam mir vor, als hätte sich für mich durch die Diagnosestellung, die Tür zu einem besseren und bewussteren Leben geöffnet, in dem ich mir das gönnen darf, was ich brauche.
Aber nun ist diese Tür wieder zugefallen. Dadurch dass die Neuritis am Abklingen ist und ich wieder fast normal sehen kann, fühle ich mich gesund und etwas in mir will mich immer weiter antreiben zu arbeiten und zu arbeiten. Dass das wiederrum in Erschöpfung enden muss (selbst ohne MS) ist mir theoretisch klar, aber ich kann es nicht umsetzen. Ich kann mir irgendwie die Ruhe nicht gönnen, die ich eigentlich brauche und die gut für mich wäre.
Das Gefühl krank zu sein und ein Recht auf Schonung und Entspannung zu haben ist völlig verschwunden und ich trauere fast ein wenig den manifesten körperlichen Symptomen hinterher.
Hat jemand ähnliche Erfahrungen gemacht? Bis jetzt habe ich immer nur darüber gelesen, dass Leute die Diagnose schlimm fanden.
Wie schafft man es, gut zu sich zu sein, auch wenn man sich gesund fühlt?
Wie kann man zu einem vernünftigen Leistungsniveau finden?
Einigen hier scheint das ja gelungen zu sein, aber ich fühle mich, wie jemand mit einer gespaltenen Persönlichkeit. Ich bin zwar krank, merke davon aber nichts mehr und ich bin gesund, aber doch nicht ganz so gesund wie andere.
Kennt jemand ähnliche Anpassungsprobleme? Wie seid ihr damit umgegangen?
lg
Martina