Hallo mohnche,
herzlichen Dank für dein Lob! Naja, ich würde mich, wie wahrscheinlich wir alle, lieber mit ganz was anderem befassen als mit dieser MiStkrankheit, aber da ich sie schon mal habe, komme ich besser damit zurecht, wenn ich verstehe, was in meinem Körper vorgeht, was die Ärzte mit mir anstellen, und wie die Medikamente wirken.
Krankheiten sind etwas, womit ich mich, nolens volens, fast mein Leben lang befassen musste, denn ich war schon als Kind öfter krank als gesund, und seit ich in der Pubertät war, waren meine Eltern auch nur noch krank. Meine große Schwester war schon aus dem Haus, sodass ich meine Eltern allein an der Backe hatte.
Ich muss etwa ein Viertel meiner Grundschulzeit im Bett verbracht haben. Wenn ich mit den verfügbaren Büchern durch war (Durchschnittsverbrauch 1 Buch pro Tag), las ich die Zeitschriften meines Vaters, z.B. “Reader’s Digest”, “hobby” und dergleichen. Ab acht las ich auch Frakturschrift, kein Buch war vor mir sicher. Hausfrauliches Grundwissen wie Kochen, Putzen, Flicken, war aber nicht so meins (ist es heute noch nicht).
Zwischen meinen Bronchitiden (ja, das ist der Plural) und Lungenentzündungen sah ich immer mal wieder kurz die Schule von innen und lernte mal eben den Stoff von den letzten Wochen nach. Ich habe trotz meiner seltenen Anwesenheit nur einmal im Unterricht total versagt: als ich das tägliche Morgengebet vor dem Unterricht der Klasse vorbeten musste.
Simple vier Zeilen. Das war bei mir immer da-rein-da-raus gegangen, ich konnte es nicht. (Den 23. Psalm hätte ich gekonnt.) Ich musste es dann -zigmal schreiben. Sonst habe ich die Sachen, die wir auswendig lernen mussten, immer perfekt gekonnt. Es war wirklich nur dieses eine kurze Gebet. Nach der Strafarbeit konnte ich es aber und kann es bis heute, wodurch mir der pädagogische Wert von Strafarbeiten bewusst wurde.
Aber ich fange schon wieder an zu faseln! Zum Thema: Also, wenn du Sonne, Sauna, heiße Bäder, heißes Essen usw. usf. gut verträgst, sehe ich keinen Grund, warum du darauf verzichten solltest - dann gehörst du einfach zu jenen MSsies, die vom Uhthoff-Syndrom verschont geblieben sind.
Uhthoff bei mir: das ist, wenn ich zu warm dusche und meine Beine nachgeben. Ich dusche zwar im Sitzen, aber um vom Duschhocker aufstehen zu können und mit Rollator von der Dusche bis zum Bett zu kommen, brauche ich genug Muskeltonus, und dafür muss ich für die 10 m Gehstrecke genug abgekühlt sein.
Uhthoff ist, wenn das Essen oder Getränk zu warm war und ich liegen bleiben muss, bis ich mich wieder abgekühlt habe, weil ich sonst zusammenfalle wie ein Soufflé, wenn ich aufzustehen versuche. Warme Mahlzeiten und Getränke sind riskant und nur im Liegen zuträglich.
Uhthoff ist, wenn ich etwas Anstrengendes gemacht habe, z.B. fünf Minuten stehen und gehen (immer am Rollator), um den Abfall zum Mülleimer zu bringen, und anschließend bei derselben Expedition nach draußen auch noch den Briefkasten zu leeren.
Nach dieser sportlichen Höchstleistung bin ich so erhitzt, dass ich manchmal gerade noch den Weg vom Aufzug bis in die Wohnung zur nächsten Sitz- oder Liegegelegenheit schaffe. Manchmal schaffe ich ihn auch nicht mehr. Dann geben meine Beine nach, als wäre ich eine Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hat. Manchmal lande ich auch so verknotet wie eine ebensolche. Kreuzbandriss war dabei auch schon inbegriffen.
Um nach so einer Anstrengung wieder auf die Beine zu kommen, hat es sich bewährt, wenn ich gar nicht erst versuche, hoch zu kommen, sondern mich flach auf den Fliesenboden lege. Besonders gut ist es, wenn dabei mein T-shirt nass ist. Das kühlt! Ich brauche dann nur zehn Minuten still auf den Fliesen zu liegen, dann ist die Körperkerntemperatur ein paar Zehntel Grad runter, meine Beine funktionieren wieder, und ich komme wieder hoch, indem ich mich an einem Stuhl oder am Rollator hochziehe.
Uhthoff ist, wenn ich geduscht habe, danach ohne unfreiwilligen Bodenkontakt glücklich ins Bett gelangt bin, und dann gerne noch ein bisschen gelesen hätte, aber alles nur verschwommen und doppelt sehe. Das vergeht aber nach ein paar Minuten, zumal ich meine Haare an der Luft trocknen lasse. Auch das kühlt.
Prof. Dr. Wilhelm Uhthoff war Augenarzt (er hatte auf den Tag genau 101 Jahre vor mir Geburtstag, das verbindet uns!), und beschrieb 1890 als erster “die nach körperlicher Anstrengung auftretende vorübergehende Verschlechterung der Sehschärfe bei Patienten mit Multipler Sklerose.” ( http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Uhthoff ). Es ist also wirklich zuerst das Sehvermögen, wo sich sein Syndrom bemerkbar macht.
Ich habe mich damit arrangiert; man ist inzwischen von mir gewöhnt, dass ich auch im Winter keinen dicken Mantel trage und dass ich im Oktober noch mit kurzen Ärmeln herumlaufe, bzw. -humple. Mein Temperaturfenster ist sehr eng: von 19 °C abwärts macht mir die Spastik zu schaffen, ab 24 °C Herr Uhthoff. Fieber holt mich von den Beinen; wenn ich weiß, dass ich welches bekommen werde, muss ich mich rechtzeitig vorher hinlegen. Nun ja, man arrangiert sich, so gut es geht.
Das Gute an diesen ganzen Störungen ist, dass sie durch Abkühlung gebessert oder behoben werden können. Deswegen mache ich mir darum nicht groß einen Kopf. Could be worse! Ich lebe immer noch allein, kann mich selbst waschen und anziehen, und das war nach dem “Crash”, den meine MS mir 2003/04 (vor der Diagnose) bereitet hat, nicht zu erwarten.
Danke fürs Lesen; ich habe jetzt ein Rendezvous mit Willi U., treffe ihn unter der Dusche, mal sehen, ob er mir heute ein Bein stellt, dieser Wüstling.
Liebe Grüße!
Renate