Liebes Forum,
wenn Sie es gestatten, möchte ich ausnahmsweise einmal die Forengrenzen überschreiten und mich sozusagen in die Höhle der AMSEL begeben. Wie einige von Ihnen vielleicht wissen, lehne ich die Cortisonbehandlung des Schubes in aller Regel ab (es sei denn, er sei funktionell so einschränkend, dass aus diesem Grund eine rasche Rückbildung der Symptomatik erstrebenswert wäre). Bisher war ich sicher: Das, was von einem Schub zurückbleibt, ist völlig unabhängig davon, ob ein frischer Schub mit Cortison behandelt wird oder nicht. Und es ist auch egal, ob die Behandlung mit Riesen- oder kleinen Dosen oder frühzeitig oder spät erfolgt.
Nun habe ich gehört, dass in Ihrem Forum wiederholt eine andere Ansicht vertreten worden ist, die auf den ersten Blick sehr überzeugend erscheint. Es wird gesagt, Cortison verhindere die Narbenbildung und dadurch bedingte Myelin- bzw. Nervenfaserschäden. Darum müsse es so früh wie möglich und auch bei „kleineren“ Schüben gegeben werden.
Das ist eine sehr interessante und weitgehende Aussage. Niemand kann wollen, dass ein Medikament mit beträchtlichen Nebenwirkungen wie Cortison ohne hinreichen Grund gegeben wird, ebenso wie es verhängnisvoll wäre, wenn Ärzte diesem Medikament aus falschen Gründen skeptisch gegenüber stehen und es zu selten oder zu spät verordnen würden.
Ich stütze meine ablehnende Haltung (im Wesentlichen auf die Opticusneuritis-Studien von Beck (Beck RW (Optic Neuritis Study Group): The 5-year risk of MS after opticus neuritis. Neurology 49 (1997) 1404-1413, Beck RW et al: A randomized controlled trial of corticosteroids in the treatment of acute optic neuritis. N Engl J Med 326:581, 1992), und mich würde sehr interessieren, auf welchen Studien die von Ihnen vertretene Empfehlung beruht.
Wenn diese ebenso überzeugend sein sollten wie die Opticusneuritis-Studien, würde ich selbstverständlich vom Paulus zum Saulus werden.
Mit freundlichem Gruß
Wolfgang Weihe