Menschen mit MS und die vielfältigen Symptome der Multiplen Sklerose standen im Fokus, am 17. Welt-MS-Tag Ende Mai. Die begleitende Kampagne „1.000 Gesichter und Deins: Leben mit Multipler Sklerose“ zeigte diese Vielfalt eindrücklich an persönlichen Lebensgeschichten und warb damit in der Öffentlichkeit um Verständnis, gerade auch für die oft „unsichtbaren“ Symptome, die das Leben der Betroffenen maßgeblich bestimmen können.
Am 28. Mai feierte AMSEL den Welt-MS-Tag: Es lockten zwei Webseminare, ein Infostand mitsamt Symptome-Fühlstraße und eine Abendveranstaltung mit drei Fachvorträgen. Allein zur Abendveranstaltung nahe dem Stuttgarter Hauptbahnhof kamen knapp 130 Besucher. Doch eins nach dem anderen.
Nach dem Motto „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung“ trotzten die Ehrenamtlichen der AMSEL an ihrem Info-Stand unter den Arkaden eines Hotels im Europaviertel dem frischen Wind und dem einen oder anderen Regenschauer. Bei bester Stimmung, wie Organisator Ralf Fischer zufrieden feststellte. Auch Amelie, 35 (seit 21 Jahren an MS erkrankt, im Alter von 14, und nun zum ersten Mal ehrenamtlich im Einsatz für AMSEL) ließ sich vom Wetter nicht abhalten. Die Stuttgarterin sagt: "Der Welt-MS-Tag bedeutet für mich, offen und transparent mit der Krankheit umzugehen und die Awareness in der Öffentlichkeit zu erhöhen."
Die Teilnehmer der beiden AMSEL-Web-Seminare konnten diese bequem von zu Hause aus verfolgen. Später im SpardaWelt Eventcenter lud AMSEL nach drei Vorträgen über diverse MS-Symptome zu einem Flying Buffet zu lockeren Gesprächen ein.
Im Dschungel der Institutionen und der Sozialgesetzgebung
Regina Huber, Diplomsozialarbeiterin (FH) vom Beratungsteam der AMSEL gab im ersten Web-Seminar des Tages einen Überblick über "Leben mit MS: Soziale und rechtliche Aspekte".
Welche Rechte, welche Pflichten hat man als chronisch Erkrankter im beruflichen Kontext? Wo gibt es Anlaufstellen und Unterstützungsangebote? – Generell riet die Referentin, sich frühzeitig zu informieren und Handlungsalternativen je nach individueller Situation abzuwägen – gerne auch mit Unterstützung des AMSEL-Beratungsteams.
Weiterhelfen können zum Beispiel die Studienberatungen der Universitäten und Hochschulen, die Schwerbehindertenvertretung im beruflichen Kontext, das Versorgungsamt oder Bürgerbüro der Stadt für den Antrag auf Schwerbehindertenausweis, die Agentur für Arbeit für den Gleichstellungsantrag, die örtliche Rentenberatung und viele andere mehr. Große Bedeutung komme der detaillierten Beschreibung der Krankheitssymptome und ihrer Häufigkeit zu, dies untermauert durch fachärztliche Gutachten oder auch den Entlassbericht von Reha-Einrichtungen mit Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens.
Ihre Botschaft an alle MS-Betroffenen: Sie müssen sich nicht allein zurechtfinden im Dschungel der Institutionen und der Sozialgesetzgebung. Das A und O sind Kommunikation und das Wissen, wo Unterstützung zu bekommen ist.
"Beziehung zu dritt"
Was macht eine gelingende Paarbeziehung, besonders unter der Belastung einer MS, aus? Dieser Frage ging die zweite Onlinereferentin des Tages im Seminar "Miteinander stark: MS und Partnerschaft" nach. Dr. rer. medic. Sabine Schipper, Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin und Geschäftsführerin des DMSG Landesverbandes NRW, erklärte: In einer solchen „Beziehung zu dritt“ hätten Kommunikation und positive Bewältigungsstrategien einen noch höheren Stellenwert als in Beziehungen ohne eine zusätzliche Herausforderung wie die MS:
- Akzeptanz der nicht änderbaren Situation,
- Toleranz für die Grenzen beider Partner,
- das Aushalten von Trauer und Wut,
- das Stärken der vorhandenen Stärken wie auch
- das Aushandeln von Kompromissen.
Dies gelinge am besten mit Humor, Zuneigung und Respekt. Kleine Ausrutscher und Seitenhiebe seien mit Freundlichkeiten auszugleichen, so der Rat der Medizinwissenschaftlerin.
Und was ist mit Sex? Offene Gespräche mit dem Partner und dem Arzt können helfen, Barrieren abzubauen, denn Sexualität und Bedürfnisse können sich aufgrund der neurologischen Schädigungen durch die MS verändern. Hinzu kommen möglicherweise psychische Blockaden, Versagensängste. Ein Merksatz der Psychologin: „Liebe braucht Sinnlichkeit, Streicheleinheiten. Sie findet auch im Kopf statt und lässt jede Menge Entdeckungen zu.“
Drei der 1.000 „MS-Gesichter“ und ihre Behandlung
Großes Interesse zeigten die knapp 130 Teilnehmer der Präsenzveranstaltung an den Vorträgen zu Symptomen der MS und ihrer Behandlung. Begrüßt wurden sie vom Vorsitzenden der AMSEL Adam Michel.
Prof. Dr. med. Thomas Henze, Neurologe und Mitglied im Ärztlichen Beirat der DMSG, beleuchtete paroxysmale Symptome wie bspw. die MS-bedingte Trigeminusneuralgie als eine Erscheinungsform dieser blitzartig einschießenden Schmerzen und Missempfindungen. Wie so vieles an der MS sind sie nicht vorhersehbar, dauern Sekunden bis Minuten, kommen und gehen, pausieren manchmal über Wochen und lassen sich nicht eindeutig an einem Trigger festmachen.
Neben Schmerzen können Sensibilitätsstörungen der Extremitäten bis hin zu lokalem Juckreiz, kurzfristige Artikulationsstörungen oder auch Schluckauf auftreten. Unerlässlich für die Diagnose ist die genaue Beschreibung der Symptome durch den Patienten, wobei Prof. Henze ein Schmerztagebuch empfiehlt. Technische Untersuchungen wie MRT sind in der Regel nicht erforderlich. Als Therapie empfehlen sich bekannte Antikonvulsiva oder Antiepileptika, deren Dosierung individuell bis zur gewünschten Wirksamkeit angepasst werden muss. Die Häufigkeit paroxysmaler Symptome im Krankheitsverlauf einer MS liegt bei bis zu 17 % (Freiha et al. 2020).
Ein weiteres belastendes Symptom ist das Uhthoff-Phänomen, eine vorübergehende Verschlechterung der MS-Symptomatik unter Wärmeeinfluss wie sommerlichen Temperaturen oder bei körperlicher Aktivität. 60 bis 80 % der MS-Betroffenen kennen dieses Phänomen, das generell vorhandene MS-Symptome temporär verstärkt oder auch neue Symptome spürbar macht. Oft sind die Muskelkraft und die Sehfähigkeit beeinträchtigt.
Nach den Worten von Prof. Dr. med. Peter Flachenecker, Chefarzt am Rehabilitationszentrum Quellenhof, Bad Wildbad, und Vorsitzender des Ärztlichen Beirats der AMSEL, ist das jedoch kein Grund, komplett auf Reisen in wärmere Urlaubsländer zu verzichten. Denn das lästige Phänomen kann die vorhandenen Entzündungsherde nicht „anheizen“ und bildet sich bei gemäßigten Temperaturen wieder vollständig zurück. Außerdem lasse es sich mit Hilfsmitteln wie Kühlkleidung, Ventilatoren oder Sport nur in klimatisierten Räumen gut managen. Ein Sprung ins kühle Wasser tue ein Übriges, so der Neurologe mit Blick auf die kommende Urlaubssaison.
Univ.-Prof. Dr. med. Friedemann Paul von der Charité Berlin referierte – per Videozuschaltung – über Schlafstörungen und Restless-Legs-Syndrom, die bei MS-Betroffenen deutlich häufiger auftreten als im Schnitt der Bevölkerung und die nicht zuletzt Auswirkungen auf die Intensität der Fatigue haben. Abzuklären seien hier die Ursachen: mit Fragebögen zur Schlafqualität als einfachstes Diagnose-Tool und im zweiten Schritt mit der Untersuchung im Schlaflabor.
Liegt eine obstruktive Schlafapnoe (Atemaussetzer) vor, kann eine Atemmaske für die Nacht Erleichterung bringen. Abgeklärt werden muss weiters die Ursache der Fatigue: liegt sie primär in den Prozessen der MS oder ist sie Folge von internistischen Erkrankungen wie Schilddrüsenerkrankungen, Anämie? Therapiert werden könnten solche Schlafstörungen pharmakologisch und durch eine geeignete Schlafhygiene bzw. -edukation wie gleichbleibenden Wach-/ Schlafrhythmus, abends Koffein- und TV-Verzicht und leichte Kost.
"Ich war heute bei der Abendveranstaltung in Stuttgart – vielen, vielen Dank dafür! Toll organisiert, super vorbereitet, 3 gute Fachvorträge und super leckeres Fingerfood zum Schluss. Vielen, vielen Dank dafür! Bis zum nächsten Jahr!" schreibt eine Teilnehmerin abends noch auf Facebook. – Die Rückmeldungen zeigen: Der Weg zum 17. Welt-MS-Tag hatte sich für alle gelohnt, auch wenn die Gäste den Heimweg auf regennassen Straßen antreten mussten.
Vorträge vom Welt-MS-Tag 2025 als Videos
In den kommenden Wochen stellt AMSEL e.V. die Live-Mitschnitte der drei Vorträge online. Vorab bereits auf AMSELplus:
1. Paroxysmale Symptome
Prof. Dr. med. Thomas Henze, Neurologe, Mitglied im Ärztlichen Beirat der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG), Lappersdorf
2. Uhthoff-Phänomen
Prof. Dr. med. Peter Flachenecker, Chefarzt am Neurologischen Rehabilitationszentrum Quellenhof, Bad Wildbad, Vorsitzender des Ärztlichen Beirats und Neurologe im Vorstand der AMSEL
3. Restless-Legs-Syndrom und Schlafstörungen
Univ.-Prof. Dr. med. Friedemann Paul, Leitung des Experimental and Clinical Research Center (ECRC), Charité – Universitätsmedizin, Berlin
AMSEL e.V. dankt der GKV-Gemeinschaftsförderung Baden-Württemberg, die im Rahmen der Selbsthilfeförderung der gesetzlichen Krankenkassen die Realisierung der Aktivitäten zum Welt-MS-Tag unterstützt hat.
Redaktion: AMSEL e.V., 04.06.2025