Welt MS Tag im Herzen Stuttgarts

Volle Webseminare, super spannende Vorträge und ein nur leicht verregneter Tag am Infostand: AMSEL berichtet über die Aktionen anlässlich des 16. Welt MS Tages.

Sinnbildlicher könnte ein Infostand über Multiple Sklerose zum Welt MS Tag unter dem Motto #MutigundStark einen kaum begrüßen: Wegen des Windes, der im Stuttgarter Europaviertel unweit des Bahnhofs um die Ecken pfiff, hatten die Ehrenamtlichen um Ralf Fischer kurzerhand ihre Broschüren, Flyer und Postkarten am Tisch festgeschnallt – mit Rolligurten aus dem Auto. Symbolisch auch für den Umgang mit der MS: Hilfsmittel finden und nutzen. "Man muss improvisieren können", erklärt Jürgen Wolf, Gruppenleiter der AMSEL-Gruppe in Bad Cannstatt. Und Ralf Fischer, Vorstandsmitglied der AMSEL bekräftigt, man müsse das Beste daraus machen. Das sei zwar nicht optimal, aber "Das ganze Leben ist nicht optimal", so der Deizisauer.

#MutigundStark am Infostand

Aufgeben, den Infostand womöglich wegen schlechter Wetterprognosen absagen, kam für den Kontaktgruppenleiter gar nicht in die Tüte. Und schnell entspinnt sich hier tags vor dem offiziellen Welt MS Tag ein Gespräch unter den fünf Standbetreuern. Auch Gerda Mutard von der Kontaktgruppe Göppingen ist mit von der Partie. Wie fast jedes Jahr, "weil ich mich hier wohlfühle." Sie sei ein richtiger Fan solcher Aktionen, überhaupt, gemeinsam mit anderen Betroffenen... "Das sagt man ja heute nicht mehr", unterbricht sich die 77-Jährige selbst. Sondern? "Erfahrungsexperte!" Aha.

Als Erfahrungsexpertin müsse sie für sich sagen: So schlimm kam alles gar nicht, wie sie damals als junge Frau befürchtet hatte. Aus der Angst heraus, bald nicht mehr so mobil zu sein, hatte sie seinerzeit beschlossen, möglichst bald anstrengende Reisen zu machen, solange das noch ginge. Tolle Erlebnisse, damals auf einem Eselsritt im jordanischen Petra. Oder die Gruppenreise durch Südafrika. Und jetzt: Kann sie immer noch gehen, abgesehen von einer (indirekt auch durch die MS verursachten) Arthrose im Knie. Auf den Beinen bleiben werde sie noch eine Weile, ist die Süßenerin überzeugt. Immer in Bewegung zu bleiben, sagt sie, sei das Wichtigste für ihre Zukunft mit MS. Was ihr dabei hilft, ist, gebraucht zu werden. Von ihrer Familie. Aber auch von der AMSEL-Gruppe an "Erfahrungsexperten".

Eine Frau in mittlerem Alter tritt hinzu, wird begrüßt. "Ich wollte mal kurz sagen, dass ich es gut finde, was die AMSEL so macht", lobt sie. Stellt sich vor als Stephanie aus Schwaikheim. Sie sei AMSEL-Mitglied, aber nicht in einer Gruppe. Als Neuerkrankte damals hätte es sie erschreckt zu sehen, wenn es manchen Betroffenen, äh: Erfahrungsexperten schlecht ging. Und, zack!, ist sie in ein Gespräch mit Ralf verwickelt. Gut möglich, dass eine AMSEL-Gruppe demnächst Zuwachs bekommt.

Was kommt auf den Teller und wie geht man um, mit MS?

Wem der Weg nach Stuttgart zu weit (oder im aktuellen Fall) zu nass war, für den bot AMSEL auch online Möglichkeiten, sich weiterzubilden als "Erfahrungsexperten": Zwei Web-Seminare zeigten, wie man durch Ernährung und positive Emotionen neue Stärke gewinnen kann.

Am Vormittag drehte sich alles um Ernährung. Dr. med. Dipl. oec. med. Verena Isabell Leussink betonte die Bedeutung einer antientzündlichen Ernährung bei MS. Und auch wenn es keine spezielle MS-Diät gibt, gibt es verschiedenste Diätformen, die jedoch individuell auf den Patienten abgestimmt sein sollten, um wie bei Medikamenten unerwünschte Nebeneffekte zu vermeiden. Nicht nur das, was wir essen, könne Einfluss auf die MS haben, auch weitere Faktoren. Adipositas wirke sich bspw. ungünstig aus, positiv dagegen wirken angemessene Bewegung, ausreichend Schlaf, ein gutes Stressmanagement und vor allem soziale Aktivitäten. Auch Fasten scheine – zumindest im Tiermodell – einen positiven Einfluss auf die Reparaturfähigkeit des Nervensystems zu haben.

Mehr Wissenswertes zur Ernährung bei MS bietet auch die AMSEL-Wissensseite „MS und Ernährung“; die Empfehlungen der DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) sind hier nachzulesen: www.dge.de

Den Ernährungsvortrag sowie die Vorträge der Abendveranstaltung finden Mitglieder der AMSEL in Kürze exklusiv in AMSELplus.

Am Nachmittag ging es im Web-Seminar mit Cristina Galfetti, M.A. und Patienten-Coach aus der Schweiz, um die „Herausforderung MS meistern“. MS bedeutet „anders gesund sein“ zitierte sie einen ihrer Klienten und ermutigte ihre Teilnehmer zur Ressourcen- statt Defizitorientierung, zum Ansatz der Saluto- statt Pathogenese, weg von der Krankheit und hin zur Gesundung. Dieser Paradigmenwechsel sollte sich auch in der Sprache niederschlagen: „wegen“ wird zu „trotz“, „nicht“ wird zu „noch nicht“, „irgendwann“ wird zum konkreten Ziel „ab Montag“. Ihren Patienten rät sie, die Herausforderungen durch die MS aufzulisten, sich Bewältigungsstrategien und Handlungsoptionen zurechtzulegen und ihr Netzwerk als Verbündete und Erinnerer zu aktivieren, um für jede Herausforderung gerüstet zu sein. Die Junge Ini-Gruppen der AMSEL seien eine „großartige Ressource“, so eine Teilnehmerin.

Großes Interesse gab es auch am Spätnachmittag an den Präsenzvorträgen der AMSEL zum Welt MS Tag: Achtsamkeit, Stammzelltherapie und Bewegung standen auf dem Programm. Prof. Dr. med. Peter Flachenecker begrüßte die gut 150 Gäste im SpardaWelt Eventcenter und führte so kompetent wie charmant durch den Abend.

Stammzelltherapie bei MS: wie ein zweiter Geburtstag?

Über Nutzen und Risiken einer Stammzelltransplantation bei MS sprach Prof. Dr. med. Christoph Heesen, Oberarzt und Leiter der MS-Ambulanz am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Der Leiter der deutschen Taskforce zur autologen Stammzelltherapie des Krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS) stellte klar, dass die eigentliche Therapie die Immunsuppression sei, nicht das Verfahren. Würde man das Immunsystem so weit herunterfahren ohne zu transplantieren, würde der Mensch sterben.

Heesen beschrieb unterschiedliche Konzepte zur Transplantation sowie Verfahren, Voraussetzungen und Kosten für eine autologe Stammzelltransplantation (kurz aHSCT) bei MS. Offene Fragen seien u.a. die Wirksamkeit einer aHSCT bei MS im Vergleich zuhochwirksamen Behandlungenin Bezug auf die Reduktion der Schubarte, das Aufhalten der Behinderungsprogression und die Stabilisierung der MRT-Aktivität, eine frühe Anwendung als First-Line-Therapie, kurz- und langfristige Sicherheitsaspekte und der Einsatz der aHSCT bei der progredienten MS. Das Ziel einer aHSCT sei aber nicht die Verbesserung der MS, denn das sei mit der Therapie nicht möglich, so betonte anschließend auch noch einmal Prof. Flachenecker, sondern eine Stabilisierung des aktuellen Gesundheitszustandes und das Verzögern weiterer Verschlechterungen.

Halb voll oder halb leer?

Warum ist für manche Menschen das Glas immer halb voll, für andere halb leer? Gründe dafür nannte Heike Meißner, Klinische Neuropsychologin GNP, Psychologische Psychotherapeutin und beschrieb, was dazu beitragen kann, die Widerstandsfähigkeit ( = Resilienz) zu erhöhen. Auch wenn es einigen Menschen buchstäblich in die Wiege gelegt sei, psychisch besonders widerstandsfähig zu sein, so spielen auch unsere Prägung, Erfahrungen und Umweltfaktoren eine große Rolle (z.B. berufliche Erfolgserlebnisse, behütetes Elternhaus, stabile Partnerschaft, Familiengründung etc.), wie wir mit Krisen umgehen bzw. wie wir daraus erlernt haben, damit umzugehen. Darüber hinaus gebe es aber einige Faktoren (die sogenannten sieben Schlüssel der Resilienz), die wir selbst in der Hand haben bzw. beeinflussen können, um unsere Widerstandsfähigkeit und unsere Seele zu stärken.

Achtsamkeit sei ein weiterer wichtiger Baustein zur Stärkung der Resilienz. Die Säulen der Achtsamkeit seien ähnlich wie die der Resilienz: bspw. achtsam wahrzunehmen, was ist,  Akzeptanz- und Lösungsorientierung, belastbare soziale Netze oder eine wertschätzende Kommunikation. Die erfahrene Neuropsychologin ermutigte dazu, nicht gegen Dinge zu "kämpfen", die wir nicht ändern können, denn das würde uns buchstäblich noch mehr Energie rauben. Stattdessen bestärkte sie die Teilnehmer darin, mit sich selbst gut umzugehen und Aufgaben zum Beispiel in mehrere Häppchen aufzuteilen, um sich nicht zu überfordern.

Training ist nicht gleich Training

Dass auch Sport eine gute Methode sei, sich und der MS Gutes zu tun, das zeigte Sportwissenschaftler Dr. Alexander Tallner. Dabei komme es allerdings vor allem auf das Was und Wie an. Studienergebnisse hätten z.B. gezeigt, dass kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining der Fatigue am besten entgegenwirken kann, wogegen jedes Training allein nicht so wirkungsvolle Ergebnisse gezeigt habe. Ein gezieltes Training sei das A und O. Intervalltraining böte nicht nur eine geringere Hürde beim Einstieg zu regelmäßigem Training, sondern bringe auch mehr Leistung und eine Verringerung der Fatigue mit sich.

Welch breite Wirkung Bewegung grundsätzlich auf eine Verhinderung/ Verzögerung der Erkrankung, auf den Krankheitsverlauf und auf bestehende Krankheitssymptome haben und wie es gelingen kann, dauerhaft aktiv zu bleiben, beschrieb der Innovationsmanager für Digitale Therapie und Rehabilitation am Zentrum für Telemedizin e.V., Erlangen. Zusammen mit AMSEL arbeitet er an einem Forschungsprojekt zu den Auswirkungen von Bewegung auf die Multiple Sklerose.

Mit einem Get-together und guten Gesprächen ging der Tag zu Ende. Ein gelungener Welt-MS-Tag. Auch dank des Engagements der vielen engagierten Ehrenamtlichen bei AMSEL.

AMSEL e.V. dankt der GKV-Gemeinschaftsförderung Baden-Württemberg, die im Rahmen der Selbsthilfeförderung der gesetzlichen Krankenkassen die Realisierung der Aktivitäten zum Welt-MS-Tag unterstützt hat.

Redaktion: AMSEL e.V., 04.06.2024