Welt MS Tag - einmal anders

Der virtuelle Welt MS Tag der AMSEL hat es geschafft, viele Menschen mit Multipler Sklerose trotz Kontaktsperre zusammenzubringen. Über 500 Teilnehmer waren per Internet zugeschaltet. Ein schöner Erfolg, trotz Corona. Die Fotostrecke bietet auch einen Blick hinter die Kulissen.

"So etwas haben wir alle noch nicht erlebt!", konstatiert Prof. Peter Flachenecker am Mittwochabend. Der beherzte Ausspruch des Arztes im Vorstand der AMSEL lässt sich sowohl auf die Corona-Krise als Ganzes beziehen als auch auf den virtuellen Welt MS Tag der AMSEL: ein mit Vorträgen und Web-Seminaren angefüllter Tag. Inklusive der Möglichkeit, per Chatfunktion Antworten auf individuelle Fragen zu erhalten. Und damit eine gelungene Alternative zu persönlichen Treffen auf Marktplätzen oder in Einkaufspassagen wie sonst üblich im Rahmen des Welt MS Tages.

"Das war eine tolle Veranstaltung, auch und gerade weil im Web erlebbar. Vielen Dank!" - Die Teilnehmer waren rundum begeistert, wie ihr Feedback per Chatfunktion zeigte. Manch einer war sogar froh darüber, dass der Welt MS Tag virtuell stattfand: So konnten auch weniger mobile Leute und einige aus anderen Bundesländern teilnehmen. Ein weiterer Vorteil, den eine Teilnehmerin erkannt hat: Zuhause kann man sich zwischendrin einfach mal hinlegen und entspannt zuhören. Das geht auf einem Marktplatz nur bedingt. Und: Es passten weit mehr Teilnehmer in die virtuellen Räume als in einen realen Seminarraum.

Diese Vorteile für die Betroffenen hat Prof. Mathias Mäurer, Mitglied im Ärztlichen Beirat der AMSEL und Autor für MS-Docblog, ebenfalls gesehen und fügt hinzu: "Persönlich empfinde ich es zwar nach wie vor seltsam, nur mit seinem Bildschirm zu kommunzieren und keine unmittelbare Reaktionen auf das Gesagte zu erhalten - aber die vielfältigen und interessierten Fragen haben mir dann doch gezeigt, dass meine Inhalte angekommen sind, was mich gefreut hat." - Genau so sollte es laufen in einer Krise: Sich auf entstandene Vorteile konzentrieren und diese genießen anstatt nur die neuen Nachteile zu sehen.

Schwierigkeiten auch als Chance sehen

Das passt zu einem der vier Web-Seminare, die parallel zum "Actionraum" mit seinen vier Vorträgen und dem Rahmenprogramm liefen: Heike Meißner vom Quellenhof in Bad Wildbad sprach über "Resilienz – was die Seele stark macht!" Eine, wenn nicht die wichtigste Säule der Resilienz ist Optimismus, also in neuen Situationen und Schwierigkeiten auch eine  Chance zu sehen, so die Klinische Neuropsychologin GNP / Psychologische Psychotherapeutin, NRQ.

Kein Symptom vergessen, auch nicht die unsichtbaren

Michael Hägle, Sozialarbeiter B.A. und bei der AMSEL für die Beratungsstelle Süd zuständig, leitete das Web-Seminar zum Thema Widerspruch. Wichtig, wenn man denn Widerspruch gegen eine Ablehnung einlegen müsse, sei zu beschreiben, was passiert, wenn man das Hilfsmittel oder die beantragte Pflege nicht bekommt. Zum Beispiel: Ein Tremor in der Hand lässt einen sein Brot nicht schneiden. Beim Pflegeantrag ist es wichtig, kein Symptom zu vergessen, auch nicht die unsichtbaren. Am besten, man geht nach einer Liste vor. Das AMSEL-Team berät gern, am besten noch vor dem ersten Antrag.

Pflegeantrag während Coronakrise möglich

Karin Svete, erläuterte, wie man mit der Pflege klarkommt, nicht zuletzt finanziell, was man beachten sollte und, ja, ein Verschlimmerungsantrag sei natürlich auch in Coronazeiten möglich. Damit der Aussicht auf Erfolg hat, empfiehlt es sich, sich vorher beraten zu lassen, so die gerichtlich zugelassene Rentenberaterin im Teilgebiet der Pflegeversicherung.

Atmen - mit dem ganzen Körper

Ein ganz besonderes Web-Seminar ging mit dem ganzheitlichen Atmen über die Bildschirme, denn bei der diplomierten Atemtherapeutin Margret Spreemann war Mitmachen angesagt. Wer nun denkt, ein solches Web-Seminar würde sich aufs reine Ein- und Ausatmen konzentrieren, der liegt natürlich völlig falsch. Bei Margret Spreemann wurde außerdem gedehnt und gegähnt, es wurden Grimassen geschnitten, der eigene Körper abgeklopft, Hände aufgelegt, um den Atem zu spüren, die Arme mit eingesetzt und vor allem immer wieder in sich hineingehorcht, was sich denn durch die Übung geändert hat.

Im Aktionsraum mit vier rund einstündigen Vorträgen plus Pausenprogramm war von 10 bis nach 18 Uhr unglaublich viel los. Zwischen den Vorträgen blieb Zeit, die AMSEL genauer kennenzulernen, dabei zuzusehen, wie Phil Hubbes augenzwinkernder Cartoon zum virtuellen Welt MS Tag entsteht, sich zu dehnen und zu strecken oder mit Sabine Lamprecht den Kreislauf in Schwung zu bringen als Ausgleich zum vielen Stillsitzen.

Keine Reha in Tablettenform

"Es gibt keine Rehaspritze und keine Rehatablette - man muss schon selbst was tun," fasste Prof. Dr. med. Peter Flachenecker den Unterschied zwischen Rehabilitation und anderen Therapiemethoden zusammen. Selbstredend ging der Vorsitzende des Ärztlichen Beirates und Chefarzt der Neurologischen Rehaklinik Quellenhof in Bad Wildbad auch auf die vielen einzelnen Maßnahmen innerhalb einer Rehabilitation ein.

Zweitmeinung einholen heißt auch Stärke zeigen

Prof. Dr. med. Mathias Mäurer stellte fest, dass Alternativen zu prüfen, oft Ziel einer ärztlichen Zweitmeinung sei. Eine Zweitmeinung einzuholen sei legitim und keineswegs ehrenrührig, sondern sogar eine Stärke. Denn es gebe häufig keinen Königsweg bei chronischen Erkrankungen. Schon aus ethischen Gründen könne man eigentlich dem Patienten nicht die eine Behandlung vorschreiben, sondern die Behandlung sei ein Prozess, in dem Präferenzen entwickelt würden, um den besten Weg zu finden. Im zweiten Teil sprach Prof. Mäurer über neue MS-Therapien. Für die neuen BTK-Inhibitoren, die ja im Unterschied zu B-Zell-depletierenden Wirkstoffen die B-Zellen nur verändern, sie aber nicht reduzieren, würden voraussichtlich noch dieses Jahr in Deutschland Patienten für Studien rekrutiert. Bei Interesse solle man sich an sein MS-Zentrum wenden. Auch die Wirkung auf primär progrediente Multiple Sklerose würde hier mit erforscht.

"Nicht jede Lockerung gleich mitmachen."

Priv.-Doz. Dr. med. Mathias Buttmann ging sehr dezidiert auf einzelne Medikamente im Zusammenhang mit dem Corona-Virus ein. Der Chefarzt der Klinik für Neurologie am Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim hatte bereits Ende März einen ausführlichen Ratgeber zu MS und Covid-19 für Patienten und Ärzte veröffentlicht.Nach Buttmanns Ausführungen ist und bleibt die Multiple Sklerose das Hauptproblem, nicht die mögliche Infektion mit dem Corona-Virus. Zur Begründung: MS-Patienten zeigen im Vergleich zur Restbevölkerung weder ein erhöhtes Infektionsrisiko noch schwerere Verläufe der Covid-19-Infektion. Ausschlaggebend sind auch bei ihnen Risikofaktoren durch andere Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Deshalb rät Dr. Buttmann, Schubtherapien, Basis- und Eskalationstherapien beizubehalten und zyklische Therapien fortzusetzen. Lediglich bei einer höher aktiven Immuntherapie und gleichzeitiger Arbeit in Risikobereichen wie Krankenhäusern oder Pflegeheimen rät der Neurologe zu besonderer Vorsicht und gegebenenfalls Krankmeldung. Im Übrigen spricht er sich für eine Pneumokokkenimpfung zusätzlich zur Grippeschutzimpfung aus, um Superinfektionen zu vermeiden und die Krankenhäuser bei einer möglichen zweiten Corona-Welle zu entlasten. Ansonsten genügen die bekannten Schutzmaßnahmen und der Grundsatz “Man sollte nicht jede Lockerung gleich mitmachen“.

Gesund und fleischarm essen

Dr. med. Dieter Pöhlau zeigte im abschließenden Vortrag Nutzen und Grenzen von alternativen Therapien auf. Er betonte gesundes, fleischarmes Essen und Bewegung. Vitamin D solle nur eingenommen werden, wenn ein Mangel vorliege. Von hochdosiertem Vitamin D hält der Chefarzt der Kamillus-Klinik in Asbach nichts, hier fehlten seriöse Studien zur Wirkung einerseits, andererseits könne hochdosiertes Vitamin D Nebenwirkungen verursachen.

Das war der virtuelle Welt MS Tag der AMSEL. In einer Abschlussrunde fasste Prof. Peter Flachenecker noch einmal den Tag zusammen, bedankte sich bei allen Referenten und den vielen Teilnehmern fürs Mitmachen sowie beim AMSEL-Team für die kurzfristige Umorganisation des Welt MS Tages.

#MiteinanderStark – das Motto des Welt MS Tages 2020. Nicht nur für diesen einen Tag im Jahr. Bleiben wir #MiteinanderStark!

Redaktion: AMSEL e.V., 28.05.2020