Halliwick®-Therapie

Das Halliwick-Konzept ist für MS-Erkrankte mit starker Symptomatik geeignet. Sie können im Wasser Bewegung anders erleben und ausüben als an Land.

Wer bis zum Schultergürtel ins Wasser eingetaucht ist, muss nur noch zehn Prozent seines Eigengewichts tragen. Auftriebskraft, hydrostatischer Druck und Strömungseffekte beeinflussen positiv das Gleichgewichtsverhalten, den Spannungszustand der Muskulatur (Tonus) und das Herz-Kreislauf-System. Für langsame Bewegungen im Wasser bedarf es geringerer Muskelspannung; Spastik kann sich durch die Auftriebskraft reduzieren. Besonders bei Ataxie, Muskelschwäche oder Gangstörungen können MS-Erkrankte Bewegung und Haltung im Wasser trainieren. Die Trägheit des Wassers erlaubt mehr Zeit zum Reagieren. Es besteht keine Sturzgefahr, sodass Bewegungsfehler leichter korrigiert werden können. Das steigert das Selbstvertrauen und erhöht die Motivation für das Training.
Im Wasser können funktionelle Bewegungsabläufe bereits in der frühen Phase der Rehabilitation und mit mehr Wiederholungen geübt werden und sind anschließend in die Schwerkraftsituation an Land übertragbar. Speziell ausgebildete Physiotherapeuten nutzen bei der Wassertherapie nach Halliwick die spezifischen Eigenschaften des Wassers, um MS-Erkrankte zu fördern und in der Bewegung zu aktivieren.

Halliwick ist eine aktive Therapie, die fördert und fordert

Das Halliwick-Konzept geht auf den Briten James McMillan zurück. Er gab in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts an der Londoner Halliwick-Schule körperbehinderten Mädchen Schwimmunterricht, indem er besonders ihre Körperstabilität im Wasser trainierte. Die Mädchen entwickelten sich in der Folge motorisch und kognitiv deutlich besser als jene, die keinen Schwimmunterricht erhalten hatten. McMillan legte mit seiner Schwimmmethode den Grundstein zur späteren therapeutischen Weiterentwicklung des Halliwick-Konzepts zu einer Therapieform, die die grundlegenden spezifischen Eigenschaften des Wassers nutzt und unzählige Problemlösungsansätze von Erkrankten verlangt.
Halliwick ist eine aktive Therapie, die dem Erhalt oder Wiedererlangen von Fähigkeiten, zum Beispiel der Sitzstabilität oder der Sturzprävention, dient. Einzelne Muskelgruppen können trainiert und in ihrer Ausdauerleistung verbessert werden. Dabei kann der Therapeut gezielt auf die spezielle Symptomatik eines jeden MS-Erkrankten eingehen und seine Vorgehensweise individuell anpassen. Er unterstützt den Menschen dabei jeweils nur so viel, wie er benötigt, um sich sicher zu fühlen.

Mit dem Therapeuten zu mehr Eigenständigkeit im Wasser

Der Therapeut führt im Laufe der Behandlung den MS-Erkrankten durch drei Phasen:

1. Die geistige Anpassung an das Wasser:

Ziel ist es, sich selbstständig und ohne Angst im Wasser bewegen und gezielt reagieren zu können sowie die Atmung unter Kontrolle zu haben.
Der Therapeut unterstützt bei der Körper-Kopf-Kontrolle. Die Bewegungen finden zunächst in der aufrechten Position statt und können zum Beispiel mit Rhythmus kombiniert werden. Der Therapeut passt seine Unterstützung individuell den Bedürfnissen des MS-Erkrankten an und baut die Unterstützung schrittweise ab.

2. Die Gleichgewichtskontrolle:

Hierdurch sollen Positionen im Wasser über den Rumpf kontrolliert und gehalten werden können. Dazu gehört das Drehen im Wasser, das Halten des Gleichgewichts in Rückenlage und das ruhige Gleiten bei Turbulenzen im Wasser.
Im Wasser muss der nach oben wirkende Auftrieb gegen die nach unten wirkende Schwerkraft austariert werden, um eine Drehung des Körpers zu vermeiden. Diese physikalisch bedingten Rotationen nutzt die Halliwick®-Therapie zur Behandlung von Defiziten im Bewegungsapparat. Der Therapeut unterstützt den Erkrankten bei Drehungen um verschiedene Achsen und beim Einnehmen der Rückenlage. Er nutzt gezielt Strömungs- und Auftriebseffekte des Wassers, um das Gleichgewicht des Betroffenen zu stören und ihn zu einer Gleichgewichtsanpassung herauszufordern.

3. Die Fortbewegung:

Ziel ist es, allein im Wasser zurechtzukommen und elementare Schwimmfertigkeiten zu erwerben.
Der Auftriebseffekt bewirkt, dass der Mensch sich frei von Hilfsmitteln im Wasser aufhalten kann. Dieses hat einen wichtigen psychologischen Effekt: Der Betroffene lernt, dass er sich in jeder Situation im Wasser sicher bewegen kann. Verfügt er über eine gute Haltungskontrolle, hilft ihm der Therapeut, in Rückenlage mit Hilfe von symmetrischen Handbewegungen zu einer Fortbewegung zu kommen.

Halliwick fördert Selbstvertrauen und Motivation im Alltag

Der Ansatz des Halliwick-Konzepts ist umfassend: Funktion, Aktivität und Teilhabe werden gefördert. Der MS-Erkrankte setzt sich individuelle Ziele und auf diese kann er hinarbeiten. Je nach Schwere und Symptomatik der Erkrankung kann es zum Beispiel ein Ziel sein, das Schwimmen oder das Gehen neu zu erlernen und wieder ein öffentliches Bad zu besuchen. Die Halliwick®-Therapie stärkt das Selbstvertrauen, weil viele MS-Erkrankte merken, dass sie verloren gegangene Fähigkeiten wiedererlangen. Das steigert die Motivation, weiter zu trainieren. Der Ein- und Ausstieg aus dem Becken sowie das Duschen und Anziehen sind Alltagsfertigkeiten, die automatisch mit geübt werden. Der Therapeut begleitet den Schritt zurück in das normale Leben und hilft Aktivitäten außerhalb der Therapien zu fördern.
Wer sich für die Halliwick®-Therapie interessiert, sollte in großen Reha-Zentren nachfragen, ob dort ambulante Therapien angeboten werden. Die häufigste Anwendung ist derzeit allerdings noch im stationären Bereich.

Die Halliwick®-Therapie

  • verbessert Kraft, Koordination und Beweglichkeit,
  • fördert und aktiviert die eigenständige Bewegung,
  • motiviert und gibt Sicherheit für den Alltag.

Letzte Änderung: 17.01.2020