Die Höhe und der Umfang möglicher Pflegeleistungen ist vom ermittelten Pflegegrad (PG) des Pflegebedürftigen abhängig. Und nicht selten kommt es bei der Einstufung in die Pflegegrade, die den individuellen Hilfebedarf festlegt, immer wieder zu Problemen oder zu fehlerhaften Einstufungen. Grund: Viele Gutachten werden vom Medizinischen
Dienst per Aktenlage erstellt, da den Gutachtern nicht ausreichend aussagekräftige Unterlagen vorliegen. Folge: Viele Pflegebedürftige und ihre Pflegepersonen können Leistungen, die sie dringend benötigen und die ihnen eine korrekte Pflegegradeinstufung zugänglich machen würde, nicht in Anspruch nehmen. Die Pflegegrade reichen von 1 (geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit) bis 5 (schwerste Beeinträchtigung).
Je nach Pflegegrad bietet die gesetzliche Pflegeversicherung verschiedene Leistungen zur Unterstützung an, die die Pflegebedürftigen selbst, aber auch die angehörigen
Pflegepersonen entlasten sollen. Mit dem neuen Rechtsanspruch, der sich aus § 42a, SGB XI ergibt, sollen vor allem auch die Entlastungsmöglichkeiten für pflegende
Angehörige weiter gestärkt werden.
1. Versorgung Pflegebedürftiger bei Vorsorge oder Rehabilitationsleistungen der Pflegeperson (§ 42a, SGB XI)
Wenn eine Pflegeperson eine Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme in Anspruch nimmt, haben Pflegebedürftige seit 1. Juli 2024 Anspruch, in der gleichen Vorsorge- oder Rehabilitationsklinik versorgt zu werden, wenn die Pflege dort sichergestellt werden kann. Die Rehabilitationseinrichtungen können hierzu auch ambulante Pflegedienste oder stationäre Kurzzeitpflegeeinrichtungen in der Nähe mit einbeziehen. Dieser Anspruch
besteht bereits ab dem Pflegegrad 1 und wird nicht auf den Anspruch auf Kurzzeitpflege angerechnet. Damit soll es pflegenden Angehörigen erleichtert werden, parallel an einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme teilzunehmen.
Inbegriffen sind alle pflegebedingten Aufwendungen einschließlich der Aufwendungen für Betreuung, Leistungen der medizinischen Behandlungspflege, Unterkunft und Verpflegung sowie Übernahme der betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen. Pflegbedürftige haben Anspruch auf Erstattung der erforderlichen Fahrt und Gepäcktransportkosten, die in diesem Zusammenhang entstehen. Erstattungsfähig sind nach vorheriger Antragstellung auch Kosten für besondere Beförderungsmittel, deren Inanspruchnahme wegen der Art oder Schwere der Pflegebedürftigkeit erforderlich ist.
Stellt die Pflegeperson einen Antrag auf Leistungen der medizinischen Vorsorge oder zur medizinischen Rehabilitation bei seiner Kranken- oder Rentenversicherung und wünscht die Versorgung des Pflegebedürftigen in derselben Einrichtung, stellt der Antrag zugleich einen Antrag des Pflegebedürftigen an seine gesetzliche bzw. private Pflegeversicherung dar, sofern der Pflegebedürftige zustimmt.
Für die Dauer der Versorgung des Pflegebedürftigen im Rahmen des § 42 a SGB XI ruht der Anspruch auf Pflegegeld. Die soziale Sicherung für die Pflegeperson wird jedoch weitergezahlt.
Können die Pflegebedürftigen nicht in der gleichen Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung versorgt werden, koordinieren die gesetzlichen oder privaten Pflegekassen auf Wunsch der Pflegeperson und mit Einwilligung des Pflegebedürftigen dessen Versorgung.
Es ist zu erwarten, dass MS-Betroffene und ihre Angehörigen hier noch auf Umsetzungsschwierigkeiten in der Praxis stoßen werden. Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen müssen noch geeignete Konzepte erstellen und entsprechende Versorgungsverträge schließen. Mangelnde Kapazitäten einer pflegerischen Versorgung innerhalb der Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung, zu wenig freie Kapazitäten bei ambulanten Pflegediensten bzw. freie Plätze in stationären Einrichtungen können entsprechende Planungen weiterhin erschweren.
Pflegende Angehörige sollten auch bedenken, dass ein gemeinsamer Aufenthalt mit dem Pflegebedürftigen in der gleichen Rehaklinik den Erfolg der eigenen Rehabilitationsziele möglicherweise beeinträchtigen kann. Um wieder ausreichend Kraft für die Pflege zu schöpfen oder auch für die erforderliche Genesung eigener Erkrankungen, kann es sinnvoll sein, sich für andere Lösungen zu entscheiden.
Der neue gesetzliche Anspruch kann aber pflegenden Angehörigen die Option ermöglichen, sich um ihre eigene Gesundheit kümmern zu können, ohne Angst haben zu müssen, dass der Pflegebedürftige nicht adäquat versorgt wird.
Sollte die Mitaufnahme des Pflegebedürftigen in der Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung nicht möglich sein, bleibt weiterhin die Möglichkeit, ab Pflegegrad 2 die Kurzzeitpflege in Anspruch zu nehmen. Hierbei ist jedoch oftmals ein nicht unwesentlicher Eigenanteil zu leisten. (siehe auch 4. Kurzzeitpflege).
Praxisbeispiel:
Herr Meier, der seine pflegebedürftige Ehefrau betreut, muss zur Reha. Die Klinik kann seine Frau nicht aufnehmen. Herr Meier beantragt Kurzzeitpflege für seine Ehefrau.
Die Pflegeversicherung übernimmt die Kosten bis zum Höchstbetrag von 1.774 Euro. Da die tatsächlichen Kosten der Einrichtung 2.500 Euro betragen, muss die Familie die Differenz von 726 Euro selbst tragen. Sollten Leistungen der Verhinderungspflege bzw. Leistungen des Entlastungsbetrages noch nicht vollständig genutzt sein, kann der Differenzbetrag ggf. auch hierdurch noch finanziert werden.
2. Entlastungsbetrag (§ 45 b SGB XI)
Pflegebedürftige ab Pflegegrad 1 haben Anspruch auf einen Entlastungsbetrag von 125 Euro, zum 1.1.2025 von 131 Euro monatlich. Dieser kann für unterschiedliche Dienstleistungen eingesetzt werden, wie etwa Betreuungs- und Entlastungsangebote. Dazu können zählen: Hilfe im Haushalt, Begleitung zu Ärzten /bei Spaziergängen.
Die Pflegekassen informieren darüber, welche Dienstleister zugelassen sind. [Anm.d.Red.: Neu ist, dass private Pflegepersonen (Nachbarn beispielsweise) diese Leistungen ohne Anerkennung durch die Pflegekassen erbringen dürfen. amsel.de wird darüber noch ausführlich berichten.]
Nicht genutzte Beträge können angespart und zu einem späteren Zeitpunkt eingesetzt werden, z.B. auch für den Eigenanteil der Kurzzeitpflege. Bis zu 40 Prozent der Beträge der Pflegesachleistungen können zusätzlich als Entlastungsleistung umgewidmet werden.
3. Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI)
Diese Leistung kann ab Pflegegrad 2 in Anspruch genommen werden, wenn die Pflegeperson vorübergehend verhindert ist, beispielsweise wegen Krankheit oder Urlaub. Verhinderungspflege (auch Ersatzpflege genannt) gibt es bisher, wenn mindestens sechs Monate gepflegt wurde. Die Pflegekasse übernimmt in diesem Fall die Kosten bis zu 1.612 Euro pro Jahr und maximal für eine Dauer von sechs Wochen. Leistungen der Kurzzeitpflege und Verhinderungspflege können flexibel miteinander kombiniert werden. Nicht in Anspruch genommene Kurzzeitpflege kann in Höhe von 806 Euro in die Verhinderungspflege übertragen werden.
Bei der Inanspruchnahme einer tageweisen Verhinderungspflege z.B. aufgrund eines Urlaubs der Pflegeperson, wird das Pflegegeld um 50 Prozent gekürzt. Stattdessen kann es sinnvoll sein, die stundenweise Verhinderungspflege in Anspruch zu nehmen. Dies ist
möglich, wenn die Pflegeperson keine 8 Std. am Tag abwesend ist. Bei der stundenweisen Verhinderungspflege bleibt das Pflegegeld unberührt.
Bei Verwandten und Verschwägerten bis zum 2. Grad ist eine Kostenerstattung auf den 1,5-fachen Betrag des Pflegegeldes beschränkt. Verdienstausfall und Fahrtkosten können zusätzlich, bis max. 1.612 Euro erstattet werden. Bei Verwandten und Verschwägerten ab dem 3. Grad sowie Nachbarn und Bekannten, die die Ersatzpflege nicht berufsmäßig ausüben, werden die tatsächlichen Kosten bis zu 1.612 Euro durch die Pflegekasse erstattet.
Ab Juli 2025 werden die Leistungsbeträge der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege zu einem gemeinsamen Jahresbetrag zusammengefasst (dem sog. Entlastungsbudget) und können jährlich bis zu 3.539 Euro von den Anspruchsberechtigten flexibel für beide Leistungsarten eingesetzt werden. Auch die erforderliche Vorpflegezeit entfällt ab diesem Zeitpunkt.
Junge Pflegebedürftige unter 25 Jahren mit den Pflegegraden 4 oder 5 profitieren bereits seit Januar 2024 vom vorgezogenen Entlastungsbudget. Der Anspruch beträgt derzeit 3.386 Euro. vgl. „Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG)“. Diese Veränderungen sollen dazu beitragen, die Unterstützung für Pflegebedürftige
und ihre Angehörigen zu verbessern und ihnen mehr Flexibilität in herausfordernden
Situationen zu bieten.
Praxisbeispiel: Stundenweise Verhinderungspflege
Die Berechnung einer stundenweisen Verhinderungspflege könnte wie folgt aussehen, wenn die Pflege von einem Bekannten, der nicht bis zum 2. Grad verwandt oder verschwägert ist, übernommen wird.
Pflegesituation:
- Pflegebedürftiger: Frau Meier (Pflegegrad 3)
- Pflegender Angehöriger: Herr Meier (Ehemann)
- Verhinderungspflegeperson: Frau Schulze (Nachbarin, nicht verwandt)
- Kosten/Pflegesatz: Frau Schulze erhält einen Stundenlohn von 15 Euro
- Dauer: 2 - 3 Stunden pro Tag
- Pflegeart: Stundenweise Verhinderungspflege
- Anzahl der Gesamtstunden im Jahr 2023: 120 Stunden (auf 50 Tage im Jahr verteilt)
- Berechnung
Gesamtkosten = 120 Stunden x 15 Euro = 1.800Euro - Endergebnis:Die Pflegebedürftige bekommt 1.612 Euro aus der Verhinderungspflege von der Pflegekasse erstattet. Die restlichen 188 Euro bekommt sie im Rahmen der nicht in Anspruch genommenen Kurzzeitpflege, die in die Verhinderungspflege übertragen werden kann (bis zu 806 Euro), voll erstattet. Das Pflegegeld von Frau Meier bleibt unverändert.
4. Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI)
Zusätzlich zur Verhinderungspflege kann Kurzzeitpflege in Anspruch genommen werden, wenn die häusliche Pflege zeitweise nicht möglich ist. Die Pflege findet dann in einer vollstationären Pflegeeinrichtung statt. Hier übernimmt die Pflegekasse bis zu 1.774 Euro pro Jahr für maximal acht Wochen. Nicht in Anspruch genommene Verhinderungspflege kann in Höhe von 1.612 Euro in die Kurzzeitpflege übertragen werden. Ein Leistungsanspruch besteht jedoch erst ab Pflegegrad 2. In der Zeit der Kurzzeitpflege
wird das Pflegegeld um 50 Prozent gekürzt.
5. Tagespflege und Nachtpflege (§ 41 SGB XI)
Die Tagespflege ermöglicht es Pflegebedürftigen, tagsüber in einer Einrichtung betreut zu werden. Sie ist besonders sinnvoll für Menschen, die tagsüber Unterstützung benötigen, aber abends in ihrem gewohnten Umfeld bleiben möchten. Zu den Leistungen der Tagespflege gehören Angebote wie Bewegung, Spiele, kreative Tätigkeiten oder Gedächtnistraining, die zur psychischen und physischen Gesundheit beitragen. Tagespflegeeinrichtungen bieten zudem die Möglichkeit, soziale Kontakte zu pflegen, die zum Wohlbefinden der Pflegebedürftigen beitragen können.
Zusätzlich zur Tagespflege gibt es auch die Nachtpflege, die eine Betreuung in der Nacht sicherstellt. Dies ist besonders für pflegebedürftige Personen wichtig, die nachts Unterstützung benötigen, aber tagsüber in ihrer gewohnten Umgebung leben möchten.
Die Kosten für die Tages- und Nachtpflege können teilweise von der Pflegeversicherung erstattet werden, abhängig vom individuellen Bedarf und Pflegegrad (PG 2: 689 Euro, PG 3: 1.298 Euro, PG 4: 1.612 Euro, PG 5: 1.995 Euro).
Die Leistungen der Tages- und Nachtpflege ermöglichen eine professionelle Betreuung, während gleichzeitig die Selbstständigkeit und das alltägliche Leben der Betroffenen gefördert wird.
Fazit
Die neuen Regelungen und bestehenden Entlastungsangebote bieten pflegenden Angehörigen wertvolle Unterstützung und ermöglichen es ihnen, sich selbst besser um ihre Gesundheit zu kümmern. Dennoch sollten Sie sich genau über die jeweiligen Leistungen und deren Bedingungen informieren, um mögliche finanzielle Belastungen
zu minimieren. Pflegende Angehörige sollten sich nicht scheuen, diese Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen, um ihre eigene Lebensqualität zu
erhalten und die Pflege langfristig sicherzustellen.
Autorin: Anja Kirsch, Expertin Pflegeversicherung / Gerichtlich zugelassene Rentenberaterin im Teilgebiet Pflegeversicherung
Quelle: together 3/24
Redaktion: AMSEL e.V., 17.02.2025