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Digitalisierung im Gesundheitswesen

Digitalisierung begegnet uns überall – und hat die Art, wie wir leben, stark verändert: Autofahren mit Navigationsgerät, Videokonferenzen im Beruf, Austausch in sozialen Netzwerken, Urlaubsbuchung im Internet oder Online-Shopping sind alltäglich geworden. Die Digitalisierung macht auch vor dem Gesundheitswesen keinen Halt. Da Menschen mit einer chronischen Erkrankung wie Multiple Sklerose besonders viele Kontakte mit dem Gesundheitswesen haben, lohnt sich ein Blick auf die Neuerungen gerade für MS-Betroffene und ihre Angehörigen.

Anmerkungen vorab

Aktuell kann es bei der Einführung der verschiedenen Anwendungen und Leistungen zu zeitlichen Verzögerungen kommen, die vorgestellten Themen beziehen sich daher auf die ursprünglich vorgesehenen Fristen. Es ist möglich, dass einzelne Bereiche noch nicht wie beschrieben verfügbar sind. Die vorgestellten Anwendungen richten sich vorranging an gesetzlich Versicherte. Private Krankenversicherungen nutzen diese zwar teilweise ebenfalls, können aber davon auch abweichen.

Im Gesundheitswesen soll die Digitalisierung Abläufe optimieren, verschiedene Träger miteinander vernetzen und das Gesundheitsmanagement von Patienten erleichtern und stärken. together stellt die neuen Anwendungen auf Basis der Telematikinfrastruktur (TI) sowie weitere aktuelle Entwicklungen und Neuerungen im Gesundheitswesen vor, die vor allem auch für Menschen mit MS von Bedeutung sein können.

Datenautobahn Gesundheitswesen

Viele Patienten nutzen bereits Apps oder Videosprechstunden bei ihrem Arzt. Die Kommunikation im Hintergrund läuft ebenfalls vermehrt digital ab. Grundlage dafür bietet die sogenannte Telematikinfrastruktur (TI). Sie ist vergleichbar mit einer Datenautobahn, speziell für das Gesundheitswesen. Die TI bietet laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung eine sichere Kommunikation zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen, dazu gehören Ärzte, Krankenhäuser, Psychotherapeuten, Apotheker und Krankenkassen. Sie soll eine bessere Versorgung ermöglichen, wichtige medizinische Patienteninformationen künftig schneller und einfacher verfügbar machen und die Autonomie von Versicherten stärken, indem sie eine weitreichende Kontrolle über ihre Daten erhalten. Für MS-Erkrankte, die gegebenenfalls viele Arztberichte und Medikamente im Blick haben müssen, kann die Digitalisierung spürbare Erleichterungen bringen. Die TI-Anwendungen umfassen das Notfalldatenmanagement (NFDM), den elektronischen Medikationsplan (eMP), die elektronische Patientenakte (ePA), die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) und das elektronische Rezept (eRezept).

Die elektronische Gesundheitskarte (eGK)

Der „Schlüssel“ für die Nutzung vieler Anwendungen der TI bietet die elektronische Gesundheitskarte (eGK), die bereits 2015 eingeführt wurde. Mit einer persönlichen Identifikationsnummer (PIN), die separat bei der zuständigen Krankenkasse erhältlich ist, können bspw. die Stammdaten selbstständig geändert werden und so die Daten in der Arztpraxis beim nächsten Praxisbesuch mit einem Klick aktualisiert werden. Die Anwendungen der TI sind nur mit Eingabe der PIN möglich. Eine Ausnahme bildet der Zugriff auf die Notfalldaten, um zu gewährleisten, dass Ärzte in Notfällen Zugriff auf diese Daten haben.

Notfalldatenmanagement (NFDM)

Versicherte können ihre persönlichen Daten zur Gesundheit, wie Informationen zu Allergien, chronischen Erkrankungen und Medikamenten, digital auf ihrer eGK speichern lassen. Im Notfall stehen alle relevanten Informationen zur Versorgung sofort zur Verfügung. Auch können Kontaktdaten bspw. von Angehörigen gespeichert werden, die im Notfall informiert werden sollen. Angelegt wird dieser Datensatz in der Regel vom Hausarzt, da dieser einen umfassenden Überblick über vorliegende Befunde, Diagnosen und Therapiemaßnahmen hat. Eine Aktualisierung hingegen kann jeder behandelnde Arzt und Psychotherapeut vornehmen, wenn für den Notfall relevante Informationen vorliegen.

Elektronischer Medikationsplan (eMP)

Der einheitliche eMP, in dem die Medikation und Hinweise zur Anwendung übersichtlich und für die Patienten verständlich dargestellt werden, soll für mehr Medikationssicherheit sorgen und unerwünschte Arzneimittelwirkungen vermeiden. Insbesondere betrifft dies Menschen, die über einen längeren Zeitraum mehrere Arzneimittel gleichzeitig benötigen.

Um den eMP nutzen zu können, müssen Patienten mindestens drei verordnete, systemisch wirkende Arzneimittel über einen Zeitraum von mindestens 28 Tagen einnehmen. Mit Einwilligung des Patienten kann der Medikationsplan elektronisch auf der eGK gespeichert werden. Damit die behandelnden Akteure einen Einblick in den Medikationsplan bekommen, ist eine Zustimmung der Patienten durch die Eingabe der PIN notwendig. Auf Patientenwunsch hin kann die PIN-Funktion auch deaktiviert werden, sodass bspw. Ärzte und Apotheker direkt Zugriff auf den eMP haben.

Die Aktualisierung erfolgt in der Regel über die Hausärzte, welche die Patienten schwerpunktmäßig betreuen und Therapie- bzw. Maßnahmen zur Diagnostik koordinieren. Gut zu wissen: Apotheker sind genauso wie die weiteren behandelnden Fachärzte verpflichtet, den Medikationsplan auf Patientenwunsch hin zu aktualisieren, sollte sich die Medikation ändern.

Elektronische Patientenakte (ePA)

In dieser digitalen Akte haben Patientendie Möglichkeit, ihre medizinischen Daten verschlüsselt und zentral auf Servern in Deutschland zu speichern. Die für die Behandlung notwendigen Akteure können schnell und einfach auf alle wichtigen Informationen zugreifen, die für die Behandlung notwendig sind. 

Die ePA kann Befunde, Therapiemaßnahmen, Behandlungsberichte, den Medikationsplan und Notfalldatensatz beinhalten. Bisherige in Papierform vorliegende Unterlagen können ebenfalls in die ePA eingestellt werden. Auch Impfpass, Mutterpass, Kinder-Untersuchungsheft und zahnärztliches Bonusheft können seit Anfang 2022 hinterlegt werden, ebenso Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und Rezepte.

Für eigene Unterlagen, wie z.B. ein Tagebuch zur Dokumentation der Fatigue, besteht ebenfalls die Möglichkeit, diese in der ePA abzulegen. Diese Daten können auch außerhalb der Arztpraxis über das Smartphone bzw. Tablet und in einer App der zuständigen Krankenkasse oder am Computer eingesehen und aktualisiert werden.

Patienten sind mit der ePA umfassend über die Diagnose und Therapie informiert und können über ihre Gesundheit besser mitbestimmen. Die Patienten entscheiden im Rahmen eines Berechtigungsmanagements darüber, welche Daten gespeichert werden, wer auf welche Dokumente zugreifen darf und ob Daten wieder gelöscht werden. Es ist Aufgabe der Krankenkasse, nicht des Arztes, bei der Führung der ePA zu unterstützen und aufzuklären. AMSEL empfiehlt, sich bei den zuständigen Krankenkassen über die Möglichkeiten, Funktionsweisen und Freigaben der sensiblen Daten im Rahmen der ePA beraten zu lassen, um einen bewussten Umgang mit der ePA zu bekommen.

Elektronisches Rezept (eRezept)

Das Papierrezept hat für gesetzlich Versicherte bald ausgedient. Damit soll die Behandlung mit Arzneimitteln noch sicherer und Abläufe in Arztpraxen und Apotheken vereinfacht werden, um bspw. Fehler in der Ausgabe von Arzneimitteln zu verhindern.

Bei Videosprechstunden müssen Patienten künftig nicht mehr in der Arztpraxis vorbeikommen, um ihr Rezept abzuholen. Auch bei Arztbesuchen vor Ort erhalten Patienten künftig ein eRezept. Das elektronisch signierte eRezept wird digital übermittelt. MittelsSmartphone wird das Rezept über die sogenannte „eRezept-App“ verwaltet, welche an die TI angeschlossen ist. Das eRezept kann mit dem übermittelten Rezeptcode bei einer Apotheke vor Ort oder in einer Online-Apotheke eingelöst werden. Alternativ kann das eRezept auch als Papierausdruck mit dem erforderlichen Rezeptcode von der Arztpraxis ausgehändigt werden.

Personen, die bspw. in der Mobilität eingeschränkt sind und für die der Weg zum Arzt oder in die Apotheke eine große Hürde ist, können die verschriebenen Medikamente auch von anderen Personen wie Angehörigen oder Nachbarn abholen lassen. Voraussetzung ist, dass beauftragte Personen ebenfalls eine elektronische Gesundheitskarte mit PIN haben. Mittels einer Familienfunktion können Patienten ihre eRezepte auf Wunsch anderen Personen in deren eRezept-App zugänglich machen.

In Zukunft sollen auch verordnete Leistungen wie etwa Heil- und Hilfsmittel oder die häusliche Krankenpflege schrittweise elektronisch verordnet werden. Wenn es Arztpraxen in Einzelfällen noch nicht möglich ist, ein eRezept auszustellen, wird übergangsweise wie bisher ein Papierrezept erstellt, um die Arzneimittelversorgung sicherzustellen.

Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU)

Seit 1. Oktober 2021 müssen gesetzlich Versicherte keinen Durchschlag der Arbeitsunfähigkeit („gelber Schein“) mehr an die zuständige Krankenkasse schicken. Die Praxen erledigen dies auf digitalem Weg. 

Der Vorteil: Vergessene oder verloren gegangene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an die Krankenkasse gehören der Vergangenheit an. Alle Krankheitszeiten werden lückenlos dokumentiert. Dies ist bspw. beim Krankengeldanspruch wichtig oder beim nahtlosen Übergang in die (Teil-) Erwerbsminderungsrente. Zudem werden Bürokratie vermieden und Kosten für den Versand der Papierbescheinigung an die Krankenkasse eingespart.

Der Arbeitgeber benötigt noch bis Juli 2022 wie bisher eine ausgedruckte Bescheinigung. Erst ab da werden Arbeitgeber in das elektronische Abrufverfahren einbezogen.Damit erhalten gesetzlich Versicherte künftig nur noch einen Papierausdruck für die eigene Ablage anstatt wie zuvor drei Ausdrucke für Krankenkasse, Arbeitgeber und Versicherten. Arbeitnehmer müssen sich dennoch weiterhin wie bisher fristgerecht beim Arbeitgeber krankmelden und auf lückenlose Folgebescheinigungen achten.

Ausweitung der Krankschreibung per Videosprechstunde

In der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie wurde neu festgelegt, unter welchen Voraussetzungen eine Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bei ausschließlicher Fernbehandlung möglich ist. Danach kann diese nur erfolgen, wenn dem Vertragsarzt im Rahmen der Videobehandlung eine hinreichend sicherere Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit möglich ist. Ein Anspruch darauf besteht nicht. Die Neuregelungen traten zum 19. Januar 2022 in Kraft. Eine erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit soll über einen Zeitraum von bis zu drei Tagen nicht hinausgehen, wenn der Versicherte dem Vertragsarzt bisher nicht persönlich bekannt ist, sonst ist eine Feststellung bis max. sieben Tage möglich. Die Feststellung des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Videosprechstunde soll nur erfolgen, wenn bei dem Versicherten bereits zuvor aufgrund unmittelbar persönlicher Untersuchungen durch den Vertragsarzt eine Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit festgestellt worden ist.

Neuerungen in der häuslichen Krankenpflege-Richtlinie

Versicherte haben künftig vier Werktage Zeit (statt bislang drei), eine Verordnung über häusliche Krankenpflege zur Genehmigung bei ihrer Krankenkasse einzureichen. Bis zur Entscheidung übernimmt die Krankenkasse bereits die Kosten für die verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen in Höhe der vereinbarten Vergütung. Damit soll eine zeitnahe Versorgung gewährleistet werden.

Seit 24. Dezember 2021 kann auch die häusliche Krankenpflege in elektronischer Form verordnet werden, allerdings derzeit noch mit Verzögerungen bei der Umsetzung.

Heilmitteltherapie auch als telemedizinische Leistung

Seit 22. Januar 2022 können Heilmittel unter bestimmten Voraussetzungen anstelle eines unmittelbar persönlichen Kontaktes nach Maßgabe der Verträge gem. § 125 SGB V der Heilmittel-Richtlinie auch als telemedizinische Leistung (Videotherapie) in Echtzeit erbracht werden. Dazu zählen Maßnahmen der physikalischen Therapie, der Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie, der podologischen Therapie, der Ergotherapie sowie der Ernährungstherapie. Aufgezeichnete Videofilme oder digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) stellen keine Behandlung im Sinne dieser Richtlinie dar.

Voraussetzungen:

  • Aus Sicht des Verordners liegt kein wichtiger Grund vor, der gegen eine Durchführung der Heilmittelbehandlung als telemedizinische Leistung spricht. Falls doch, kann auf dem Verordnungsvordruck diese Form der Heilmittelbehandlung durch ein entsprechend gesetztes Kreuz ausgeschlossen werden.
  • Der Patient entscheidet sich gemeinsam mit dem Therapeuten zur Videotherapie. Die Zustimmung des Verordners ist erforderlich und wird vom Therapeuten dokumentiert.
  • Telemedizinische Leistungen sind immer eine Einzelfall-Entscheidung.
  • Die Erbringung von Heilmitteln im Rahmen eines unmittelbar persönlichen Kontaktes hat weiterhin Vorrang vor telemedizinischen Leistungen.
  • Kann die Behandlung als telemedizinische Leistung nicht sachgerecht erfolgen oder entscheiden sich Patient, Therapeut und/oder Verordner gegen eine (weitere) telemedizinische Leistungserbringung, muss die Behandlung im Wege eines unmittelbar persönlichen Kontaktes fortgesetzt werden.

Ebenfalls aktuell und digital: Elektronische Arbeitslosenmeldung

Im Rahmen der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) können sich Bürger neben der persönlichen Vorsprache seit 1. Januar 2022 auch online arbeitslos melden. Um Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erhalten, war das bisher nur persönlich vor Ort möglich. Die elektronische Arbeitslosmeldung nutzt dazu den elektronischen Identitätsnachweis nach dem Personalausweisgesetz. Nur wenn der vorhandene Personalausweis mit der sogenannten „Online-Ausweisfunktion“ ausgestattet ist, ist eine rechtssichere elektronische Form für die Arbeitslosmeldung möglich.

Quelle: together, 01.22, Stand: März 2022.

Redaktion: AMSEL e.V., 24.06.2022