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Bundesteilhabegesetz verabschiedet

Multiple Sklerose kann zu Behinderungen führen. Ob das neue Gesetz wirklich zu mehr Teilhabe und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen führt und ob die Änderungen ausreichen, ist umstritten.

Die Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von behinderten Menschen ist das Ziel des Bundesteilhabegesetzes (BTHG), das gerade noch rechtzeitig vor dem Jahreswechsel am 30.12.2016 in Kraft getreten ist. Dass der Zeitplan eingehalten werden konnte war keinesfalls selbstverständlich, denn der Gesetzesentwurf war bis zuletzt heftig umstritten. Zahlreiche Behindertenverbände hatten gegen den ursprünglichen Entwurf heftig protestiert und konnten dadurch noch wichtige Verbesserungen erreichen. In dem Beteiligungsverfahren der "Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz" haben auch Mitglieder und Mitarbeiter der AMSEL mitgewirkt und die Vorbereitung des Gesetzesverfahrens aktiv mitgestaltet.

Mit dem BTHG soll die UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahre 2008 in nationales Recht überführt werden. Ob dies gelungen ist, darüber gehen die Meinungen weiterhin auseinander. Während die Gesetzesmacher das BTHG als großen sozialpolitischen Entwurf feiern und von einem grundlegenden Systemwechsel sprechen, sehen Kritiker in dem Gesetz nur einen ersten Schritt zur Verbesserung der Teilhabe von behinderten Menschen.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales beschreibt die Maßnahmen und Ziele des Bundesteilhabegesetzes wie folgt:

Frühzeitige Intervention

Die Träger von Reha-Maßnahmen, wie etwa die Bundesagentur für Arbeit oder die gesetzliche Rentenversicherung, sind zukünftig verpflichtet, frühzeitig drohende Behinderungen zu erkennen und einer chronischen Erkrankung oder Behinderung mit geeigneten präventiven Maßnahmen rechtzeitig entgegenzuwirken.

Verfahren

Ein Reha-Antrag reicht zukünftig aus, um Reha-Leistungen von verschiedenen Trägern zu erhalten. Die individuelle Unterstützung soll im Mittelpunkt stehen und ein Gerangel um Zuständigkeiten vermieden werden. Dafür werden die Regelungen zur Zuständigkeit und zur Einführung eines trägerübergreifenden Teilhabeplanverfahrens für alle Rehabilitationsträger gesetzlich definiert.

Unabhängige Beratung

Der Bund fördert auch mit finanziellen Mitteln ein träger- und leistungserbringerunabhängiges Netzwerk von Beratungsstellen für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige. Insbesondere Beratungen von Menschen mit Behinderungen durch Menschen mit Behinderungen sollen dabei angeboten werden.

Eingliederung und Teilhabe

  • Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sollen verbessert werden. Für Lohnkostenzuschüsse und Unterstützung im Betrieb gibt es ein Budget für Arbeit in Höhe von 100 Mio. Euro.
  • Die Teilhabe an Bildung wird als selbständige Reha-Leistung konkretisiert. Assistenzleistungen für höhere Studienabschlüsse wie z.B. ein Masterstudium werden ermöglicht.
  • Die Leistungen zur sozialen Teilhabe werden neu strukturiert, ergänzt und konkretisiert.
  • Das Recht auf Elternassistenz wird neu geschaffen. Mütter und Väter mit Behinderungen erhalten damit einen klaren Anspruch auf die erforderlichen Leistungen bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder.

Schwerbehindertenvertretung

Schwerbehindertenvertretungen in Unternehmen und Werkstätten erhalten mehr Rechte und Möglichkeiten, damit Menschen mit Behinderung mehr mitbestimmen können.

Systemwechsel bei der Eingliederungshilfe

Die Eingliederungshilfe wird aus der Sozialhilfe (SGB 12) herausgelöst und die Einkommens- und Vermögensanrechnung wird verbessert. Der Vermögensfreibetrag wird deutlich erhöht. Einkommen und Vermögen des (Ehe-)Partners sollen künftig nicht mehr angerechnet werden.

Qualitätskontrolle

Durch bessere Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen sowie Sanktionsmöglichkeiten soll sichergestellt werden, dass Leistungen auch tatsächlich erbracht werden und eine gute Qualität sichergestellt wird.
Das BTHG ist ein sogenanntes Artikelgesetz, durch das eine Reihe von Fachgesetzen, insbesondere aus dem Sozialrecht, geändert werden. Die einzelnen Gesetzesreformen des BTHG treten in 4 Stufen in Kraft. Die ersten Änderungen gab es bereits zum 1.1.2017, weitere Änderungen folgen 2018 sowie 2020 und 2022.

Wichtige Regelungen treten 2017 in Kraft:

  • Bei der Eingliederungshilfe nach dem SGB 12 wird der Vermögensfreibetrag ab 1.4.2017 von aktuell 2.600 Euro auf zunächst 25.000 Euro erhöht. Ab 2020 soll der Freibetrag dann bis zu 50.000 Euro betragen.
  • Im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB 12 wird ein zusätzlicher Freibetrag von bis zu 25.000 Euro für die Lebensführung und die Alterssicherung anerkannt. Voraussetzung ist, dass dieser Betrag ganz oder überwiegend als Einkommen aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit der Leistungsberechtigten während des Leistungsbezugs erworben wird.
  • Im Schwerbehindertenrecht wird ein eigenes Merkzeichen für taubblinde Menschen eingeführt.
  • Haupt- und ehrenamtliche Personen, die Kontakt mit Leistungsberechtigten haben, dürfen nicht in Einrichtungen beschäftigt werden, wenn sie rechtskräftig wegen bestimmter Straftaten verurteilt sind. Vorgaben zur Vorlage eines entsprechenden Führungszeugnisses werden erstellt.

Damit sind wichtige Regelungen bereits umgesetzt, von denen auch MS-Betroffene profitieren können. Ob die Umsetzung der weiteren Schritte des BTHG im vorgesehenen Zeitrahmen erfolgen kann, hängt sicherlich auch davon ab, wie die Ergebnisse der noch in diesem Jahr anlaufenden modellhaften Erprobung der neuen Regelungen zur Eingliederungshilfe ausfallen. Das Gesetz ist zwar beschlossen, aber elementare Fragen zur Umsetzung sind noch zu klären.

Autor: Jürgen Heller, Dipl. Sozialarbeiter (FH)

Redaktion: AMSEL e.V., 02.02.2017