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Vollmundige Forschungsnachrichten

Manche Nachrichten spielen mit der Hoffnung chronisch Erkrankter. So auch ein aktueller Text zur Erforschung von Schüben bei Multipler Sklerose.

Etwas "schwarz auf weiß" zu lesen - das galt lange Zeit als Garant für den Wahrheitsgehalt der Zeilen. Zwar war dies vor der Entwicklung des Internets und der sozialen Medien auch nicht immer der Fall - man denke nur an die "Zeitungsente", doch hat sich durch die neuen Medien sehr viel verändert: Zum einen kann jeder mit Zugriff aufs Netz alles veröffentlichen – auch jede Unwahrheit –, zum anderen können Laien heute leichter Fachliteratur lesen. Sie finden sie im Netz anstatt nur in den Printausgaben spezialisierter Verlage.

Das hat zunächst viele Vorteile: Transparenz und freie Meinungsäußerung zum Beispiel. Es birgt gleichzeitig aber auch Gefahren, vor allem, wenn Menschen Nachrichten weiterverteilen, deren Inhalt sie nicht geprüft haben oder gar nicht prüfen können. Aber auch, wenn Laien fachliche Nachrichten nur selbst lesen, die sie nicht oder nicht gut einordnen und abschätzen können, führt das nicht selten zu Missverständnissen.

Chronisch Kranke besonders gefährdet

Kommt dann noch dazu, dass bereits die Überschrift einen (lang ersehnten) Durchbruch signalisiert, der nicht bereits in den ersten Zeilen relativiert wird, dann werden schlicht falsche Hoffnungen geweckt. Gerade Menschen mit nicht heilbaren chronischen Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose sind hier gefährdet. Sie sind aufgrund der Unheilbarkeit eher bereit, an "die" schnelle Lösung zu glauben, denn nach der sehnen sie sich verständlicherweise.

Schlimm ist es, wenn Betroffene dann ohne Nutzen womöglich viel Geld investieren oder gar andere wirksame, wenngleich nicht heilsame Therapien auslassen, weil sie alle Hoffnung auf etwas setzen, was sich nicht erfüllt. Schlimm ist aber auch schon, wenn Laien suggeriert wird, ein neuer, kaum geprüfter Forschungsansatz, sei zum Greifen nahe, stehe bald zur Verfügung.

Das leite ich doch gleich mal weiter...

Liest man als MS-erkrankter Laie "Schübe einfach abschalten", dann kann es durchaus sein, dass man hierhinter vermutet, eine Lösung für die eigene Erkrankung gefunden zu haben. Zumal die Überschrift ja schon eine "einfache" Lösung ankündigt. Und der oder die Autoren der Pressemeldung im ersten Absatz die Formulierung wählen, der T-Zell-Silencer (um den geht es konkret) könne Schübe "biologisch, unmittelbar, innerhalb weniger Minuten und dabei nebenwirkungsfrei für die Patienten stoppen und somit die Behandlung von Autoimmunerkrankungen revolutionieren".

  • Prof. Mathias Mäurer erläutert auf MS-Docblog genau, warum die Methode nicht einfach auf den Menschen übertragbar ist.

Was tun? Einfach nichts mehr zu lesen, wäre natürlich falsch. Alles aufmerksam zu lesen, hilft dagegen sehr. Und mitdenken. Das muss man speziell bei dieser Pressemeldung auch, dann erfährt man im vorletzten Absatz, dass es bisher nur "in vitro"-Versuche gab. Im Umkehrschluss heißt das: Am Menschen (oder auch nur am Tier) wurde der Ansatz noch gar nicht geprüft. Bis das der Fall ist, und bei positiven Ergebnissen der T-Zell-Silencer zugelassen werden könnte, vergeht rund ein Jahrzehnt. Und wer mitdenkt beim Lesen, kann seine Zweifel bekommen, ob eine Aussage wie "nebenwirkungsfrei" überhaupt getroffen werden kann, bevor das in Studien an Lebewesen nachgewiesen wurde.

Kann ich das auch haben?

Sicher haben auch medizinische Laien ein logisches Verständnis und eine Firma, die einen neuen Ansatz erforscht, sollte darüber auch berichten dürfen. Doch hier kommen zwei Dinge zusammen: Wir alle werden heute überflutet von Nachrichten und lesen darum eben nicht alles aufmerksam. So lässt sich der kleine Hinweis auf die Petrischale ("in vitro") gern überlesen. Und der Absender der Nachricht scheint nicht wirklich daran interessiert zu sein, seinen Ansatz passend zum Stand der Forschungen zu veröffentlichen. Was also hängenbleiben könnte, ist: Topp!, da gibt es eine neue Möglichkeit, Schübe zu stoppen, das leite ich gleich mal weiter und beim nächsten Termin frage ich meinen Neurologen, ob ich das auch haben kann. Bis zu dem Klarheit schaffenden Termin hat die Meldung dann bereits ihre Runde durch Facebook, Insta und Twitter gemacht.

Der Weg der Erforschung neuer Ansätze ist ein permanentes Ausdünnen: Viele Ansätze, die in vitro funktionieren, zeigen sich schon im Tiermodell als Sackgasse. Und von den wenigen, die später auch am Menschen untersucht werden, schaffen es wiederum nur einige wenige durch bis in Studienphase III (in der neben der Sicherheit auch Wirksamkeit und zum Beispiel Dosierung doppelt verblindet an vielen Menschen geprüft werden). Von diesen nochmals reduzierten Ansätzen kommen nur wenige bis zur Zulassung, denn hier wird nochmals geprüft, ob das Wirkungs-Nebenwirkungsprofil eine Zulassung überhaupt rechtfertigt.

Gute Nachricht: Es wird geforscht!

Die eigentlich gute Nachricht ist also leider nicht, dass es in absehbarer Zeit eine schnelle und völlig nebenwirkungsfreie Möglichkeit geben wird, Schübe zu verhindern, sondern dass daran überhaupt geforscht wird. Und das ist definitiv wichtig und berichtenswert.

Sollte eine solche Methode, um Schübe beim Menschen zu verhindern, oder eine Alternative zum Kortison tatsächlich gefunden worden sein, wird amsel.de gewiss darüber berichten. Wo wir über frühe Forschung mit Zellen oder im Tiermodell berichten, erwähnen wir das spätestens eingangs des Textes. Damit eben keine falschen Hoffnungen geschürt werden und dennoch Forschungsfortschritt und -intensität bezüglich der MS deutlich werden.

Quellen: MS-Docblog.de, 15.03.2021; idw-online.de; 09.03.2021.

Redaktion: AMSEL e.V., 03.04.2021