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Tatort Blut-Hirn-Schranke

Psychosen, Bewegungsstörungen, epileptische Anfälle, geistiger Leistungsabbau: Multiple-Sklerose-Patienten mit NMDAR-Autoantikörpern im Blut könnten zusätzliche neuropsychiatrische Störungen erleiden, wie deutsche Forscher herausfanden.

 

 

Bei der Multiplen Sklerose gelingt es falsch programmierten, autoimmun aktiven T-Zellen, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und ins Gehirn einzudringen.

Wie genau sie das machen, haben Forscher noch nicht herausgefunden.

Wissenschaftler des CNMPB und des Max-Planck-Instituts für Experimentelle Medizin weisen bei 10% aller untersuchten Probanden NMDAR-Autoantikörper im Blut nach, die bei einer Schädigung der Blut-Hirn-Schranke neuropsychiatrische Störungen hervorrufen können.

Als 'NMDAR-Autoantikörper Enzephalitis' wurde eine akute Erkrankung des Gehirns bezeichnet, deren mögliche Ursachen und Behandlung in einer Vielzahl neuerer Publikationen beschrieben werden. Auf molekularer Ebene geht sie mit einer Unterfunktion von Glutamat- Rezeptoren (NMDAR) einher, welche ausgelöst wird durch im Gehirn anwesende Autoantikörper gegen diese Rezeptoren.

Zirkulierende NMDA-Rezeptor Autoantikörper

Symptome der Erkrankung können Psychosen, Bewegungsstörungen, epileptische Anfälle, oder geistiger Leistungsabbau in verschiedener Ausprägung sein. Basierend auf meist nur kleinen Gruppen von Patienten, beleuchten die bisherigen Arbeiten jedoch weder die Relevanz von NMDAR Autoantikörpern im Blut für die Krankheitsentstehung, noch existieren belastbare Daten über ihre Vorkommenshäufigkeit bei gesunden Menschen.

Bemerkenswerte neue Erkenntnisse liefert eine aktuelle Studie von Prof. Hannelore Ehrenreich und ihrem Team vom Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin und vom Göttinger DFG-Forschungszentrum und Exzellenzcluster Mikroskopie im Nanometerbereich und Molekularphysiologie des Gehirns (CNMPB). Die Studie belegt erstmals, dass im Blutserum von über 10% der insgesamt fast 3000 untersuchten Probanden NMDAR-Autoantikörper zu finden sind, und zwar völlig unabhängig davon, ob es sich um Gesunde oder Kranke handelt.

Erstaunlicherweise sind Antikörpertiter, Antikörperklassen und Antikörperwirksamkeit bei gesunden Menschen und neuropsychiatrisch Erkrankten vergleichbar. Deshalb stellten die Autoren der Studie sich die logische zentrale Frage: Wenn diese Autoantikörper irgendeine pathologische Rolle spielen, warum bleiben dann gesunde Autoantikörperträger gesund?

Tatort Blut-Hirn-Schranke

In einer Serie von gezielten Tierexperimenten konnten die Wissenschaftler zeigen, dass Voraussetzung für die Auslösung von Symptomen durch diese Autoantikörper und damit für die Krankheitsentstehung eine Störung der Blut-Hirn-Schranke ist. Diese physiologische Barriere grenzt im gesunden Organismus das zentrale Nervensystem wie eine Art Filter vom allgemeinen Blutkreislauf ab und schützt so das Gehirn vor zirkulierenden Erregern und Giften.

Eine Störung ihrer natürlichen Barrierefunktion ermöglicht den im Blut zirkulierenden Autoantikörpern den Übertritt in das Gehirngewebe. Auf diese Weise erreichen sie die im Hirn lokalisierten NMDA-Rezeptoren und können durch entsprechende Wechselwirkungen eine Beeinträchtigung der Hirnfunktion erzielen, in deren Folge psychoseähnliche Symptome, epileptische Anfälle oder kognitive Störungen ausgelöst werden.

Sind die Gene und Influenzaviren schuld ?

"Mit anderen Worten, über 10% aller Menschen trägt eine ’tickende Zeitbombe’ in sich, die nur durch eine intakte Blut-Hirn-Schranke unterdrückt wird", so Ehrenreich. Eine Störung der Blut-Hirn- Schranke kann beispielsweise durch einen Schlaganfall, ein Schädelhirntrauma, oder auch eine einfache Virusinfektion hervorgerufen werden. In diesem Zusammenhang zeigen die Wissenschaftler in einer weiteren, retrospektiven Erhebung an einem großen Kollektiv, dass der Schweregrad der neurologischen Symptomatik bei Patienten mit durchgemachter Hirnverletzung, und damit einer vorübergehenden oder anhaltenden Störung der Blut-Hirn-Schranke, erhöht ist, wenn ihr Blutserum NMDAR-Autoantikörper aufweist.

Erstmals stellten sich die Autoren der Studie auch die Frage, welche Faktoren überhaupt auslösend für die Bildung solcher NMDAR-Autoantikörper sein könnten: Warum erwirbt man solche Autoantikörper? Sie fanden einerseits vergangene Influenza-Infektionen vom Typ A oder B mit dem Auftreten dieser Autoantikörper assoziiert, andererseits identifizierten sie mittels einer genomweiten Assoziationsstudie auch einen genetischen Risikofaktor, der mit der NMDAR Biologie in Zusammenhang steht.

Multipler Sklerose-Patienten auf NMDA untersuchen

Die unter Erstautor Christian Hammer veröffentlichte Studie ist nicht nur konzeptionell neu, sie liefert zudem bedeutende Erkenntnisse über einen pathophysiologischen Mechanismus, der für die Neuropsychiatrie wie auch für andere klinische Disziplinen von entscheidender Relevanz ist. Die Empfehlung der Wissenschaftler: "Patienten mit akuter oder chronischer Beeinträchtigung der Blut- Hirn-Schranke, etwa nach Hirnverletzung, Schlaganfall, entzündlicher Hirnerkrankung einschließlich Multipler Sklerose, sollten auf die Präsenz von Autoantikörpern gegen NMDA-Rezeptoren im Blut untersucht werden". Dies könnte dazu beitragen, mittels geeigneter Therapieverfahren den Krankheitsverlauf zu verbessern und langfristigen Komplikationen vorzubeugen.

Quelle: Gemeinsame Pressemitteilung von CNMPB und MPIEM, 20.09.2013: Max-PIanck-Institut für Experimentelle Medizin: http://www.em.mpg.de/index.php CNMPB – Exzellenzcluster & DFG-Forschungszentrum: http://www.cnmpb.de

Redaktion: AMSEL e.V., 16.10.2013