CAR-T-Zell-Therapien werden bereits geraume Zeit eingesetzt, um verschiedene Krebsarten zu behandeln. Ihr Einsatz gegen Autoimmunerkrankungen wie verschiedene Rheumaarten und die Multiple Sklerose ist relativ neu und noch in der Forschung. Immer mehr Firmen und Institute untersuchen den Einsatz von CAR-T-Zell-Therapien bei MS.
Besonders interessant und wichtig für Menschen mit progredienten Formen der MS ist ihr Einsatz bei primär progredienter und sekundär progredienter MS. Ein US-amerikanisches Unternehmen erhielt nun die Genehmigung der FDA (Food and Drug Administration) für eine Phase-1-Studie seiner CAR-T-Zell-Therapie für progrediente MS-Verläufe.
Großer Bedarf bei Therapie der progredienten MS
Zur immunmodifizierenden Therapie der primär progredienten MS ist bisher lediglich Ocrelizumab zugelassen. Insgesamt sind Therapien für progrediente MS-Verläufe in aller Regel nicht hochwirksam, im Unterschied zur Therapie der schubförmigen MS. Es besteht also großer Bedarf, um diese Verläufe besser oder überhaupt krankheitsmodfizierend behandeln zu können.
Nur rund 10-15 % aller Menschen mit MS haben von Anfang an einen sogenannten primär progredienten Verlauf. Da die meisten schubförmig-remittierenden Verläufe in einer späteren Phase in einen sekundär progredienten Verlauf übergehen, sind sehr viele MS-Erkrankte, wenn nicht von Anfang an, so doch später, auf wirksame Therapien für dieses Stadium angewiesen. Ob die CAR-T-Zell-Therapie für progrediente Verläufe eingesetzt werden kann, wird intensiv erforscht.
Die CAR-T-Zell-Therapie eliminiert B-Zellen, hat also das gleiche Ziel wie einige B-Zell-gerichtete zugelassene MS-Therapien. Allerdings gehen die lebendigen, auf ein bestimmtes Ziel ausgerichteten Zellen der CAR-T-Zell-Therapie dabei gründlicher und effektiver vor. Kehrseite der Medaille: Sie kann mitunter schwere Nebenwirkungen hervorrufen, weshalb sie vermutlich nur in solchen Fällen eingesetzt werden wird, wo heute bereits zugelassene MS-Therapien nicht wirken.
Wie MS-Therapie, nur gründlicher?
Im Unterschied zu den bekannten und bereits bei MS zugelassenen Antikörpertherapien basiert die CAR-T-Zell-Therapie auf lebenden Zellen, entweder von Spendern oder vom Patienten selbst. Die fremden (oder eigenen) T-Zellen werden (meist nach einer Chemotherapie), aus dem Blut herausgefiltert und mit einem "CAR" beschickt (einem Chimären Antigen-Rezeptor), d.h., ihnen wird ein Zielprotein angeheftet, sie werden (zurück) in den Körper geführt und suchen dort nach ihrem Ziel, um es zu vernichten.
Azer-cel, das nun in den USA die Genehmigung für eine Phase-1-Studie erlangt hat, gehört zur Klasse allogener CAR-T-Zelltherapien, bei denen die Immun-T-Zellen eines Spenders mit einem künstlichen Rezeptor modifiziert werden, um andere Zellen anzugreifen und zu eliminieren. T-Zellen können spezifische Moleküle auf der Zelloberfläche erkennen und zerstören.
CAR-T-Zell-Therapie bei MS weltweit
T-Zellen können so manipuliert werden, dass sie effektiver und spezifischer werden. Azer-cel enthält CAR-T-Zellen, die so modifiziert sind, dass sie "CD19" erkennen, ein Molekül auf der Oberfläche von B-Zellen. Nach der Infusion in den Patienten sollen die modifizierten T-Zellen diese B-Zellen aus dem Blutkreislauf entfernen. Die meisten CAR-T-Zelltherapien werden mit patienteneigenen T-Zellen durchgeführt, wodurch Komplikationen durch von Spendern stammende Zellen vermieden werden. Azer-Cel verwendet zwar fremde, also eigentlich komplikationsreichere T-Zellen von Spendern, hat jedoch ein Verfahren entwickelt, um Komplikationen zu mildern. Zu den möglichen Komplikationen bei einer CAR-T-Zell-Therapie mit fremden Zellen gehört die Graft-versus-Host-Krankheit, bei der die Spender-T-Zellen die gesunden Zellen und Gewebe des Patienten angreifen. Aus Erfahrungen mit Krebspatienten ist bekannt, dass nach einer solchen Therapie die Infektanfälligkeit steigt. Medizinische Nachsorge ist daher Pflicht.
Wann und wo die Studie mit Azer-cel starten soll, ist der Pressemitteilung nicht zu entnehmen. amsel.de wird jedoch darüber berichten, sobald die Informationen vorliegen.
Die CAR-T-Zell-Therapie wird, wie schon erwähnt, weltweit auch bei Multipler Sklerose untersucht. Zuletzt machte ein Spiegel-Artikel auf Untersuchungen an der Berliner Charité aufmerksam. Auch in Hamburg-Eppendorf wurden CAR-T-Zellen bei Multipler Sklerose bereits eingesetzt, bislang ohne schwere Nebenwirkungen. Die CAR-T-Zell-Therapie bei MS befindet sich noch im experimentellen Stadium. Bisher ist sie für keine Autoimmunerkrankung zugelassen. Anträge für klinische Studien in Deutschland laufen bereits.
Quellen: Spiegel , kostenpflichtig, 11.08.2024; Pressemitteilung von Precision Biosciences, 09.08.2024; KKNMS, 24.05.2024.
Redaktion: AMSEL e.V., 16.08.2024