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Studie sucht Biomarker für den progredienten MS-Verlauf

Die Multiple Sklerose ist nach wie vor eine große Herausforderung für Patienten wie Ärzte und Forscher. Besonders die schleichenden Verläufe sind bisher nur bedingt behandelbar. Das hängt auch damit zusammen, dass sich mögliche Erfolge nur schwer messen lassen. Prof. Hayrettin Tumani, Mitglied im Ärztlichen Beirat der AMSEL, hat daher eine Studie initiiert, die Biomarker für den Verlauf bei progredienter MS finden will. Die Onlineredaktion der AMSEL sprach mit ihm.

Herr Prof. Tumani, EmBioProMS (EMerging blood BIOmarkers in PROgressive Multiple Sclerosis) heißt die Studie, wofür steht das und wie gehen Sie dabei vor?

Wie Sie in der Überschrift einführend bemerkt haben, geht es bei der Studie darum, im Blut nachweisbare Biomarker, die sich in Entwicklung befinden und bisher vielversprechende Ergebnisse aufweisen, hinsichtlich ihrer Eignung zur Erfassung der schleichenden Progression bei Menschen mit MS zu untersuchen. Dabei gehen wir so vor, dass bei über 200 Patienten zunächst über insgesamt 5 Jahre mindestens einmal jährlich klinisch untersucht und dabei Blutproben abgenommen werden. Bei den jährlichen Visiten werden eine vordefinierte Reihe klinischer Untersuchungen einschließlich Gehgeschwindigkeit, Feinmotorik der Hände und Gedächtnisverarbeitungszeit durchgeführt. Zudem werden eine Reihe von Fragebögen zur Selbsteinschätzung der Lebensqualität, Depression und Fatigue ausgefüllt. In der Blutprobe werden dann die neuen Biomarkerproteine gemessen und mit o.g. ärztlich erhobenen klinischen Befunden und Ergebnissen der Fragebögen zur Selbsteinschätzung verglichen. An bestimmten Zentren werden auch Untersuchungen des Gehirns mit Magnetresonanztomographie (MRT) und des Augenhintergrunds mit OCT durchgeführt und ausgewertet.    

Warum ist es so wichtig, den Verlauf bei schleichender MS messen zu können?

Die routinemäßig angewandten Untersuchungen wie Anamnese, klinische Untersuchungen und MRT liefern wertvolle Informationen über die Entzündungsaktivität der Erkrankung und können bei der Therapieentscheidung hilfreich sein. Diese Parameter sind bei Patienten mit progredienter MS leider nur begrenzt nützlich, weil die über Jahre hinweg ablaufende schleichende Behinderungszunahme, zumindest innerhalb eines kurzen Zeitraums, nicht zuverlässig erfasst werden kann. Um die Behinderungszunahme und die Krankheitsprogredienz (besser und schneller) zu ermitteln, braucht es daher zusätzliche und zuverlässigere Parameter, die auch die Aktivität im Gehirn und Rückenmark berücksichtigen. Solche Parameter könnten auch bei der Bewertung potenzieller Medikamente für die progredienten Verläufe behilflich sein, um schließlich eine geeignete Therapie zu finden oder diese ggf. umzustellen.

Gibt es schon erste Ergebnisse oder Tendenzen?

Die erste Zwischenanalyse unserer Querschnittsdaten ergab, dass die bisher eingeschlossenen Studienteilnehmer bezüglich ihrer Verlaufsform, Häufigkeit der Erstsymptome, Krankheitsdynamik und bisherige Therapie ein repräsentatives Spektrum der progredienten MS-Patienten darstellen.  Bisherige Ergebnisse zeigten, dass höhere Blutwerte für die Biomarker NfL und GFAP mit einer etwas höheren Progredienz der Erkrankung korrelieren. Durch definierte Grenzwerte konnten wir nach einer einmaligen Bestimmung des Blutbiomarkers NfL bei ca. 93% der Patienten eine Progredienz oder Aktivität in den letzten 2 Jahren feststellen. Die Patienten mit Progredienz in den letzten 2 Jahren hatten auch aufgrund der Selbsteinschätzung signifikant schlechtere Werte auf den Depression-, Müdigkeit- und Lebensqualitätsskalen. Diese Ergebnisse belegen, dass auch ein "patientenzentrierter" Ansatz wesentlich zu einer besseren Klassifizierung der Patienten beitragen und somit eine wertvolle Ergänzung bei der Behandlungsentscheidung sein kann.

Muss es ein Blutbiomarker sein und was ist der Unterschied zwischen NfL und GFAP?

Bisher waren Biomarker für die MS in erster Linie nur im Nervenwasser (Liquor) nachweisbar, was deren regelmäßige Untersuchbarkeit durch wiederholte Lumbalpunktionen bedingte. Mit der Einführung neuer und empfindlicher Nachweistechniken für Proteine ist es mittlerweile möglich geworden, hirnspezifische Moleküle auch im Blut zuverlässig zu bestimmen, was deren regelmäßige Untersuchbarkeit deutlich erleichterte.

Die Neurofilament-Leichtketten (NfL)spiegeln die Schädigung der Ausläufer der Nervenzellen, sogenannte Axone, wider. Bisher konnte u.a. gezeigt werden, dass Patienten mit Progredienz erhöhte NfL-Werte haben gegenüber Patienten ohne Krankheitsaktivität. NFL ist daher schon heute ein Parameter in Zulassungsstudien für MS-Therapien. Das saure Gliafaserprotein (GFAP), reflektiert dagegen die abnorme Aktivität oder Schädigung der Astrozyten. Die Astrozyten sind sternförmige Zellen der "Glia", einer Zellgruppe im Gehirn, die dort neben den Nervenzellen vorkommt. Bisher konnte gezeigt werden, dass der GFAP-Spiegel im Liquor während eines Schubs sowie vor allem während der progressiven Phase der Erkrankung erhöht ist. Daher könnte GFAP ein guter Indikator für die Progredienz der MS sein.

Wo läuft die Studie und was kann man als Patient mit primär oder sekundär progredienter MS tun, um an der Studie teilzunehmen?

Es handelt sich um eine multizentrische Studie, die bisher an den Universitätskliniken Ulm, Tübingen, Rostock, dem Institut für Klinische Neuroimmunologie der LMU München, der Marianne-Strauß-Klinik, der Medizinischen Hochschule Hannover sowie der Fachklinik Dietenbronn durchgeführt wird. Geplant ist eine Erweiterung der Studie auf weitere Zentren.

An den genannten Zentren können sich Patienten hinsichtlich einer Teilnahmemöglichkeit informieren.

Was kann man sonst noch tun, um diese Forschung zu unterstützen?

Solche Studien benötigen sehr viel Einsatz und Zeit seitens der Patienten, aber auch des Studienpersonals aus Studienassistenten, Ärzten und Forschern, die auch finanziert werden müssen. Wir sind daher den Sponsoren AMSEL Stiftung Ursula Späth, DMSG, DMS-Stiftung und Bayern-DMSG für die finanzielle Unterstützung dieser Studie sehr dankbar. Ich hoffe sehr, dass an o.g. MS-Stiftungen möglichst viel gespendet wird, damit solche Studien durchgeführt werden können.

Redaktion: AMSEL e.V., 27.09.2021