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Stellungnahme zu intrathekalen Stammzellen

19.02.08 - Die aktuelle Stellungnahme des Ärztlichen Beirates der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG), Bundesverband e.V. zur Warnung vor der Behandlung der Multiplen Sklerose mit intrathekalen Stammzellen.

Hier die aktuelle Stellungnahme Medizin/Therapie Nr. 1 / 2008:

"Stammzellen sind Zellen, die in unterschiedliche, spezielle Körperzellen ausreifen können. Embryonale Stammzellen können wir als Alleskönner bezeichnen, denn sie haben das Potenzial, sich in jede Zellart zu entwickeln, während erwachsene" (adulte) Stammzellen deutlich weniger Freiheitsgrade der Entwicklung haben. Embryonale Stammzellen sind derzeit und in absehbarer Zukunft für eine Anwendung bei Patienten nicht geeignet.

Autologe Stammzellen werden aus dem Knochenmark von Patienten gewonnen und nach Aufreinigung demselben Patienten (=autolog) wieder therapeutisch verabreicht. Dies Verfahren wird als autologe hämatopoetische Stammzelltherapie (AHSCT) bezeichnet. Das regenerative Potenzial autologer Stammzellen ist Gegenstand intensiver Forschung in verschiedenen Bereichen der klinischen Medizin.

Bei den sog. hämatopoetischen Stammzellen handelt es sich um eine Gruppe von Vorläuferzellen aus dem eigenen Knochenmark des Patienten, die heute z.B. vor hochdosierter Chemotherapie von Patienten mit Krebserkrankungen gewonnen werden, um die untergegangenen Blut- und Immunzellen im Bedarfsfall rasch ersetzen zu können und die Blutbildung wieder in Gang zu bringen, ggf. gefördert durch die zusätzliche Gabe von speziellen Wachstumsfaktoren.

Intravenöse Stammzelltherapie in der MS-Forschung

Mit ähnlichen Methoden wird derzeit im Rahmen von internationalen Therapie-Studien die Anwendung der intravenösen Stammzelltherapie bei verschiedenen
Autoimmunerkrankungen untersucht, so auch bei MS. Hierbei werden mit Chemotherapie im ersten Schritt autoreaktive (selbst zerstörende) Immunzellen ausgelöscht, um danach in einem zweiten Schritt mittels Injektion der Knochenmarks-Stammzellen sozusagen ein neues Immunsystem zu erreichen - ohne die autoreaktiven Zellen. Die ersten Veröffentlichungen zu diesen Studien werden in internationalen Fachkreisen durchaus kontrovers diskutiert, da die Destruktion im Gehirn, die Hauptursache bleibender Behinderung bei der MS ist, bei diesen schon schleichend fortschreitenden Verläufen der Erkrankung nicht gestoppt werden kann. Hinzu kommt eine hohe Nebenwirkungsrate mit z.T tödlichem Ausgang bei 4% der behandelten Patienten in den veröffentlichten Berichten. Wissenschaftlich umstritten ist nach wie vor die Behauptung, dass eine Differenzierung von hämatopoetischen (Blut-) Stammzellen in verschiedene Gewebezellen, (u.a. auch Nervenzellen und Markscheiden bildende Oligodendrozyten) nach intravenöser Gabe in vivo überhaupt erfolgt.

Warnung vor intrathekaler Stammzelltherapie

Eine jetzt seit kurzem auch in Deutschland kommerziell angebotene "intrathekale Stammzelltherapie" bei MS weicht von dem Verfahren der intravenösen Verabreichung ab und führt statt dessen eine Injektion dieser Zellen direkt an der Stelle in den Rückenmarkskanal, wo normalerweise zu diagnostischen Zwecken Liquor/Nervenwasser entnommen wird. Dies ist wissenschaftlich nie systematisch erprobt und auf seine Wirkungen und Gefahren getestet worden. Wir halten diesen
Weg für gefährlich und müssen vor der Anwendung ausdrücklich warnen.

Die Anbieter dieser Methode sprechen von einer Wirksamkeit der Therapie bei der Mehrheit der Patienten ("bei mehr als 80% der behandelten Patienten sehen wir positive Wirkungen"). Diese Versprechungen sind nicht belegbar. Das Verfahren soll ambulant durchgeführt werden. Die Kosten für die vorab (!) zu bezahlende Behandlung betragen lt. Werbebroschüre/Internet über € 5500.-, und werden nicht von den Krankenkassen erstattet.

Die intrathekale Gabe von Medikamenten (niemals Zellen!) wird bisher in der Neurologie nur bei Krebserkrankungen (Chemotherapie) und bei schwerer Rückenmarksbeteiligung im Rahmen einer MS (Kortikosteroide) durchgeführt. Aus tierexperimentellen Studien (Maus) wissen wir, dass sog. Stammzellen direkt ins Immunsystem eingreifen können; neuronale Stammzellen können bei Mäusen mit experimenteller Immunentzündung auch Regeneration fördern, aber diese neuen experimentellen Erkenntnisse dürfen nicht ohne sorgfältige und den hohen Sicherheitsanforderungen angepasste Therapiestudien auf den Menschen übertragen werden. Bei MS gibt es leider keinerlei Beweise, dass zerstörte Axone/Nervenfasern beim Erwachsenen durch Stammzellen wieder auswachsen können.

Resumé

Wir sehen das in der Werbung angepriesene Verfahren der intrathekalen Stammzelltherapie bei MS in der dargestellten Form als potentiell gefährlich an; wissenschaftlich sind keine Therapieeffekte und nicht einmal die potentiell schweren Nebenwirkungen bekannt. Von einer Durchführung der intrathekalen Stammzelltherapie außerhalb einer klar definierten Therapiestudie raten wir daher dringend ab. Wenn auch die autologe hämatopoetische Stammzelltherapie bei bösartigen hämatoonkologischen Erkankungen erfolgreich eingesetzt wird, fehlt doch für die Behandlung der MS bisher ein allgemein akzeptierter Wirksamkeitsnachweis.

Der Vorstand des Ärztlichen Beirats der DMSG, Bundesverband e.V.

  • Prof. Dr. K.V. Toyka und Prof. Dr. Heinz Wiendl,
    Klinische Forschungsgruppe für Multiple Sklerose und Neuroimmunologie, Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Würzburg
  • Prof. Dr. Hans-Peter Hartung
    Neurologische Klinik, Klinikum der Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
  • Prof. Dr. R. Gold
    Neurologische Klinik im St. Josef-Hospital,
    Klinikum der Ruhr-Universität Bochum
  • Prof. Dr. Reinhard Hohlfeld,
    Institut für Klinische Neuroimmunologie,
    Universitätsklinikum Großhadern der Universität München

Hannover, den 15. Februar 2008
Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft
Bundesverband e.V.
Küsterstr. 8
30 519 Hannover"

Quelle: DMSG Bundesverband, Februar 2008 (Stellungnahme)

Redaktion: AMSEL e.V., 19.02.2008