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Stammzelltherapie bei MS: immer wieder Thema

So auch auf dem ECTRIMS-Kongress 2022. Was sie kann und welche Patienten überhaupt davon profitieren können, darüber berichtet unter anderen Prof. Mathias Mäurer.

Viele glauben, die Stammzelltherapie sei die Lösung für Patienten mit Multipler Sklerose. Sie könne die MS für immer stoppen. Das stimmt leider nicht. Doch die Tatsache, dass Kassen in Deutschland eine Stammzelltherapie bei MS selten übernehmen und sie hierzulande nur an wenigen Standorten möglich ist, scheint sie für manche umso erstrebenswerter zu machen.

Dabei muss man genau hinsehen:

  • Was bringt die Stammzelltherapie wirklich?
  • Wem bringt sie etwas?
  • Welche Risiken sind damit verbunden?
  • Und nicht zuletzt: Gibt es Alternativen, um eine ähnliche Wirkung zu erreichen?

Wie häufig bei wissenschaftlichen Fragen gehen die Meinungen über den Erfolg einer Stammzelltherapie bei MS auseinander. Das liegt auch daran, dass seriöse Studien zu dieser Methode oft weniger als 30 Teilnehmer haben, noch dazu nicht zu verblinden sind, und somit unterschiedliche Ergebnisse liefern. Zum Vergleich: Bei Phase-2- und Phase-3-Studien für MS-Medikamente sind in der Regel mehrere Hundert, wenn nicht mehrere Tausend Probanden eingebunden.

Was ist das überhaupt, eine Stammzelltherapie (AHSCT)?

Kurz und einfach erklärt, was das überhaupt ist: Bei der autologen hämatopoetischen Stammzelltherapie (AHSCT) nimmt der Patient ein Medikament, eine Chemotherapie, um erst einmal Immunzellen, genauer Vorläuferzellen, aus dem Rückenmark herauszulösen und ins Blut zu schwämmen. Diese Stammzellen werden dann ähnlich wie bei einer Blutspende entnommen. Der Patient erhält danach eine einwöchige aggressive Chemotherapie, die sein Immunsystem (sämtliche weiße Blutkörperchen) zerstört, bevor seine hämatopoetischen Stammzellen wieder zurück in seinen Körper gebracht werden. Sie sollen sich dort wieder ansiedeln und das Immunsystem wieder aufbauen.

Direkt nach der Chemotherapie ist die gefährlichste Zeit für Patienten. Sie sind ohne Immunsystem und könnten an jedem kleinen Infekt sterben. Das passiert zwar heute seltener als noch vor ein paar Jahrzehnten, kommt jedoch noch vor. Man versucht, die Patienten zu isolieren, bis sich ein neues – weniger "MS-lastiges" – Immunsystem gebildet hat. Noch Monate danach ist Vorsicht geboten vor allen Erregern.

Trotz Stammzelltherapie: Die MS ist nicht "weg"

Allerdings bleiben auch nach der Stammzelltherapie angeborene MS-Faktoren im Körper des Patienten. Es handelt sich also nicht um einen kompletten Neustart des Immunsystems, sondern um einen Neustart mit einigen "alten Bekannten". In den meisten Fällen verläuft die zuvor hochaktive MS danach zwar weit weniger heftig, aber sie ist nicht „weg“.

Zweifelsohne ist die Stammzelltherapie dennoch eine sehr stark wirksame MS-Therapie. Wobei sie, gemessen an der Schubreduktion, vergleichbar mit den stärker wirksamen zugelassenen MS-Therapien ist, etwa Ocrelizumab oder Natalizumab. Das gilt auch für eine mögliche Verbesserung oder Verschlechterung des EDSS-Wertes.

Dass eine AHSCT Natalizumab und Ocrelizumab im Hinblick auf eine Verbesserung des EDSS-Wertes nur marginal überlegen ist, zeigte auch eine aktuell auf dem ECTRIMS-Kongress vorgestellte australische Analyse mit Daten des MS Base Datenpool.

Besser hochwirksame MS-Mittel als Stammzelltherapie?

Die stark wirksamen MS-Therapien sind also durchaus eine Alternative zur Stammzelltherapie. Gerade sie erreichen bezüglich der MS eine ähnliche Wirkung im Immunsystem, ohne es an irgendeinem Punkt komplett zu zerstören.

    Alternativen zur Stammzelltherapie existieren also. Es gibt jedoch zwei ganz wesentliche Faktoren, welche die Stammzelltherapie für MS-Patienten zudem weniger interessant machen als zugelassene MS-Wirkstoffe der Wirksamkeitsklasse 3:

    1. Erstens kommt überhaupt nur ein Bruchteil der MS-Patienten für eine Stammzelltherapie infrage. Diese sollten möglichst jung, vor allen Dingen eher kurz an MS erkrankt sein und dazu einen hochaktiven, entzündlichen Verlauf haben, der mit zugelassenen stark wirksamen MS-Therapien nicht zu stabilisieren ist. Auch kann die Stammzelltherapie Symptome und Behinderungen, die sich nicht mehr zurückbilden können, nicht rückgängig machen. Sie "repariert" keine bereits untergegangenen Nerven und beseitigt keine Läsionen. Für eine Stammzelltherapie sollten die Patienten relativ fit sein. Tatsächlich interessieren sich jedoch oft ältere Patienten für die Stammzelltherapie, die weit fortgeschritten sind in ihrer MS, kaum noch entzündliche Krankheitsfortschritte haben und somit für die Methode ausscheiden.
    2. Zweitens bedeutet eine Stammzelltherapie einen riskanten und invasiven Eingriff in den Körper. Gemessen an Tabletten, Infusionen oder Injektionen ist eine Stammzelltherapie deutlich invasiver.

    Vor dem Hintergrund, dass es bereits zugelassene MS-Wirkstoffe gibt, deren Wirkungsgrad vergleichbar ist mit einer Stammzelltherapie, ist es verwunderlich, dass dennoch manche Menschen mit MS ins Ausland gehen, um sich dort auf eigene Kosten einer Stammzelltherapie zu unterziehen. In der Schweiz hat 2018 eine Klinik eine Zulassung für Stammzelltherapie bei MS erhalten. Die Auswahlkriterien für Patienten sind jedoch, wie oben erwähnt, auch hier sehr eng.

    Quellen: MS-Docblog, 07.11.2022; ECTRIMS 2022, Abstract (engl.), 26.10.2022; Universitätsspital Zürich, aufgerufen am 18.11.2022.

    Redaktion: AMSEL e.V., 17.11.2022